Erstellt am: 19. 6. 2012 - 17:00 Uhr
Die Girls von der Northside
Da waren sie alle, die "Girls" von der Northside Brooklyns: Hannah, Marnie, Jessa und Shoshanna. Alle Mädels aus Lena Dunhams erfolgreicher HBO-Serie um vier junge Neo-New-Yorkerinnen, die großen Träumen und kleinen Glücksmomenten nachjagen und dabei beruflich, zwischenmenschlich und in Sachen Sex oft dermaßen hart aufschlagen oder in tabuisierte Randzonen driften, dass TV-Konventionen, Moralvorstellungen und Rollenbilder ins Wanken geraten - und das ist bloß ein Goodie dieser äußerst gelungenen und von Judd Apatow co-produzierten Serie, auf die Kollegin Pia Reiser demnächst ausführlicher eingehen wird.
![© HBO Girls, HBO](../../v2static/storyimages/site/fm4/20120625/girls-hbo-show-lena-dunham_body_small.jpg)
HBO
Und nun saßen diese Girls im geografischen Schnittpunkt ihrer Alltagsdramen im südlichen Asphaltwinkel des McCarren Park zwischen Williamsburg (aka Hipsterhausen) und dem angrenzenden Greenpoint (aka Hipsterdorf). Und sie warteten unter der sengenden Frühsommersonne auf den Beginn des Konzerts auf der Hauptbühne des diesjährigen Northside Festivals. Und viele von ihnen waren allein und wirkten etwas verloren. Andere schnatterten im Rudel. Und manche verwendeten das Smartphone als Schminkspiegel. Und so ziemlich alle waren gewandet wie am Cover des J.Crew oder Urban Outfitters "Magazins". Aber diese Hannahs und Jessas hörten auf Namen wie Isabelle, Katrina, Nomi oder Sarah. Und viele stammten aus Ländern wie Frankreich, Deutschland, Japan oder Israel.
Und diese Girls ließen sich zunächst von den Beach Fossils umgarnen, die als eröffnende Band betont unterkühlt und abwesend agierten, aus deren sparsam arrangierten Gitarrenmelodien jedoch die große Sehnsucht tropfte. Und sie ließen sich im Anschluss von der freundlich vorgetragenen Rebellionsmusik der Thermals aus narzistischen Tagträumen und materiellen Existenzsorgen reißen und zu moderat zorniger Gesichtsmuskelakrobatik animieren. Und sie ergaben sich in Folge den Charme-Attacken von Jens Lekman, der seine Band aufgrund einreiseunfreundlicher Visabestimmungen am Heimatflughafen in Schweden zurücklassen musste und sich bloß an der Gitarre begleitend durch den Hauptteil seines Sets hantelte und erheiternde, im Kern aber tieftraurige Geschichten von Fernbeziehungen und seiner Scarlett-Johansson-Obsession zum Besten gab. Und diese Girls entschwanden nach der of- Montreal-Orgie aus Plüsch-Rock, Glam-Ballett und Trockensex in den lauen Sommerabend Brooklyns hinein in das Abenteuer der Nacht oder zurück in die sündteuren Shoe-Box-Apartments zwischen W-Burg und Greenpoint.
Even boys are "Girls"
Und unter ihnen waren auch viele Boys, denn dieses bis jetzt einzige stimmige Sittenportrait vom Jung sein im Post-Finanzcrash-New York ist sogar was für Männer. Im Publikum fanden sich also auch genug Rays und Charlies und wohl auch einige potentielle Jeffs nur hoffentlich keine Richards.