Erstellt am: 16. 6. 2012 - 13:13 Uhr
Urban Gardening und Casiosounds
Schon bald ist auch in Berlin die kürzeste Nacht des Jahres, und so langsam müsste man mit den Sommeraktivitäten beginnen, auch wenn es bislang nicht so sommerlich zuging in der Stadt. Zum See fahren, baden, grillen, draußen sein, Open Air-Konzerte besuchen, das alles muss man ja im Sommer machen.
Am Mittwoch konnte man immerhin mitten in Kreuzberg einen Ausflug in die Natur machen – zu den Kreuzberger Prinzessinnengärten. Sie sind nicht das einzige Urban Gardening Projekt in Berlin, aber das Bekannteste. Der Prinzessinnengarten gilt als Vorzeigeprojekt der deutschen Urban Gardening-Bewegung. An einem der unschönsten Plätze Kreuzbergs, einer zugemüllten Brache neben einem befahrenen Kreisverkehr begannen im Sommer 2009 zwei Gartenpioniere einen „nomadischen“ Garten aufzubauen – Kräuter wurden in Tetrapacks gezogen, Kartoffen in Reissäcken gepflanzt. Und so wuchs ein Garten heran, der jederzeit umziehen kann.
christiane Rösinger
Der Prinzessinnengarten ist seit dieser Zeit zum hippsten Gartenprojekt Berlins geworden. Man besetzte den Flughafen Tempelhof für einen Tag, bezog das Winterquartier in einer alten Berliner Markthalle, stellte die Pflanzenkübel im Theater „Hebbel am Ufer“ und auf der Berlinale aus.
Christiane Rösinger
In einem Berliner Problemkiez angesiedelt, gründet sich die Idee des Gartens auf Nachbarschaftshilfe und soziale Beziehungen im Umfeld, man arbeitet man mit Schulen und Kindergärten zusammen. Kommt man aber am Wochenende zum Prinzessinengarten, sieht man hauptsächlich interessierte Touristen aus aller Welt, Architekten, internationale Studiengruppen und grün-alternative Besserverdienende, die sich am urbanen Grün erfreuen. Im Gartencafé gibt es Biolimonade und Kräuterpizza, das abendliche Kräutermenü beläuft sich auf 25 Euro, für Kreuzberg ein recht stolzer Preis. Manchmal scheint es, als wären aus den einstigen Pionieren schon Gentrifier geworden, als wäre die Garten selbst schon ein Motor der Gentrifizierung.
Christiane Rösinger
Wie dem aber auch sei - hier ist auf einer wüsten Brachfläche ein wunderbarer Ort entstanden, der viel Gutes in den Bezirk gebracht hat. Trotzdem befürchten die beiden sesshaft gewordenen Gärtner mit dem Auslaufen des Mietvertrags im Herbst 2013 ein Ende des Projekts. Am Mittwoch Abend spielte im Garten auf der kleinen Holzbühne Jagwa Music, eine Band aus Dar es Salam in Tansania. Eine vierköpfige Percussiongruppe und ein ramponiertes Casio entwickeln verzwickte Grooves die sich in rasender Geschwindigkeit und immer neuen Variationen wiederholen. Dazu kommt eine Tänzerin und ein Sänger, der vom Leben in der Stadt, von Voodo und untreuen Liebhabern singt. Der Musikstil Mchiriku entwickelte sich schon vor Jahren, als die billigen Casio-Keyboards in den Vororten von Dar es Salamaufkamen. Jagwa Music und andere Bands fühlten sich von den Lo-Fi-Sounds des Casio angezogen, integrierten die neuen Sounds in ihre Musik und benannten den Casio in Kinanda um (= „eine Kiste, die Musik spielt“). Die „Kiste“ schlossen sie dann an uralte Verstärker und Megafone an, was zu einem ganz neuen, kribbelnden und verzerrten Klang führte.
Christiane Rösinger
Christiane Rösinger
Das Publikum im Prinzessinnengarten war von dem Sound und der Band vom ersten Stück an fasziniert, die verzerrten Klänge waberten über das nomadische Grün im urbanen Raum und ganz kurz war es da, das Sommerglück in Berlin.
Christiane Rösinger