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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 6. 2012 - 17:27

EM-Journal '12-40.

Ukrainische Euphorie reicht in der Badewanne von Donezk nicht gegen französischen Wiedergutmachungs-Willen.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Das waren die ersten Spiele in der Gruppe D: Frankreich - England und Ukraine - Schweden.

Die Profile der sechzehn teilnehmenden Teams:
Gruppe A
Polen / Griechenland
Russland / Tschechien
Gruppe B
Niederlande / Dänemark
Deutschland / Portugal
Gruppe C
Spanien / Italien
Kroatien / Irland
Gruppe D
England / Frankreich
Schweden / Ukraine

Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journals '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen. Für Regenwetter gibt es Indoors-Screens.

Das war schon nach 20 Minuten klar: Frankreich ist eine ganze Klasse besser als die Ukraine und kann sich rehabilitieren, das schlimme Spiel gegen England vergessen machen. So ist man ein Kandidat fürs Halbfinale.

Blokhins Team hat die Grenzen aufgezeigt bekommen. Mehr als der schöne Kampfsieg gegen Schweden ist auf diesem Level eben nicht drin. (Off-Topic: Nette Erkenntnis für den ÖFB - in dieser Liga können wir also mitspielen).

Gegen einen spielerisch überlegenen Gegner reicht es aber nicht. König Sheva, der durchspielen durfte, weil es ab der 60. Minute, als er keine Luft mehr hatte, eh schon wurscht war, ist kein Wunderwuzzi, der seine Mannschaft jedesmal raushauen kann.

Nach der Entscheidung nur noch taktische Spielereien

Noch ein Angreifer kommt: 15 Milewskiy ersetzt 8 Nazarenko, den ein bissl offensiveren Beißer im zentralen Mittelfeld, das bedeutet eine Systemumstellung. Blokhin stellt jetzt ein 4-3-3 hin.
Ein Hatschertes, Lahmes.
Die beiden Flügel Yarmolenko und Konoplyanka müssen sich mehr ins Mittelfeld fallen lassen, weil vorne drei Mittelstürmer den Platz verstellen. Devic spielt links vor Konoplyanka, der Neue, Milewskiy rechts vor Yarmolenko.
Damit stehen einander dort (rechts) also schon drei Leute (dazu kommt ja noch Gusev) im Weg herum. Sheva darf in der Mitte Kräfte sparen. In so einer Phase rächt es asich, wenn man einen zentralen Spieler mit wenig Radius und keiner Kondition einarbeiten muss. Das ist ganz schlechtes Coaching, Trainer Blokhin...

Frankreich ist's wurscht, die powern weiter - Cabaye trifft in der 65. Minute mit einem wuchtigen Schuß die Stange.

In der 68. kommt 17 M'Vila für 6 Cabaye, auch er kann einen Hybrid Sechser/Achter spielen, wird aber heute halblinks neben Alou Diarra (halbrechts) als zweiter glatter Sechser hingestellt.
Blokhin versucht die schlimmste (selbstverursachte) Baustelle zu reparieren und bringt 8 Aliev (der ist trotz seiner Nummer ein echter Zehner) für 11 Yarmolenko, entlastet also die überbesetzte rechte Seite.

Devic zaubert durch die gegnerische Hälfte wie JD aus Scrubs, er ist aber auch genauso wenig effektiv.

In der 72. setzt Ribery einen 20m-Freistoß knapp drüber; dann holt Blanc den guten Menez vom Platz und setzt 19 Martin ein - der ist kein echter Flügel, orientiert sich aber brav auf die linke Seite. Frankreich spielt jetzt defensiv ein mit dem Zirkel gezogenes 4-4-1-1, das sich offensiv leicht zu einem 4-2-4 aufblasen lässt. Daran ändert sich auch nach dem letzten Tausch in der 76. Minute (9 Giroud kommt für 10 Benzema) nichts.

Die wenig wichtige Schlußphase in Stichworten:
79. Minute: gelb für cden heute nicht so auffälligen Debuchy.
81.: Gelb für den blonden Fiesling Mexes wegen Foulspiel. Alievs Freistoß geht zu deutlich drüber.
87. Minute: Gelb für den blonden Fiesling Tymoshchuk wegen Foulspiel. Nasris Freistoß wird von Pyatov aus dem Kreuzeck gezogen.

Ein Klassenunterschied, der sich dann endlich manifestiert

Zu Beginn der 2. Halbzeit kommt 22 Devic für 10 Voronin, ein neuer Sturm-Partner für Shevchenko.
Und es geht weiter wie bisher - Spielkontrolle und Gefahr für/durch Frankreich, mäßig planvolle Konter der Ukraine.

In der 48. Minute setzt sich Menez rechts gegen zwei Vertediger durch und scheitert wieder an Pyatov. Im Gegenstoß (Konter) schießt Sheva nach einem guten Haken ganz ganz knapp übers Kreuzeck. Das was gegen Schweden klappte, muss gegen Frankreich nicht genügen.
Immerhin zeigt Devic in 5 Minuten mehr als Voronin eine Halbzeit lang; er bringt die nötige Bissigkeit ins Spiel.

Ob das reicht um die höhere Klasse auszugleichen?
Nein.
In der 53. Minute bekommt Menez halblnks einen von rechts kommenden Ball über Benzemas Weiterleitung den Ball ideal in den Lauf und schießt flach ins kurze Eck. 0:1.

Linksverteidiger Selin, der nicht viel machen konnte bei diesem Treffer seines Gegenspielers, kriegt dann zwei Minuten später auch noch eine gelbe Karte.

Das ukrainisch Selbstvertrauen sinkt, das französische steigt. Und das belegt auch der tolle Treffer von Cabaye in der 56. Minute. Vorbereitet hat der Zehner, Karim Benzema, der sich nach einer Drehung und einem Vorstoß zu einem Idealpaß zwischen die Innenverteidiger aufgerafft hat.

Jetzt ist das, was ich fast schon nörgelnd eine Halbzeit lang eingemahnt habe, endlich da: der Klassenunterschied hat sich nun auch im Spielstand manifestiert.

Halbzeit-Fazit:

Ein Mörder-Gewitter, Blitzschläge und vollgetränkten Rasen übertaucht und überlegt, eine Stunde irgendwie totgesschlagen und dann das so nicht ganz erwartetes Bild: Frankreich ist so klar überlegen, dass es schon fast wehtut, dass sie kein Tor gemacht haben. Die Ukraine ist an den Rand ihrer Leistungsgrenze gedrängt, kommt nicht zu allzu viel. Ob sie die Euphoriewelle allein über die 2. Halbzeit retten wird, werma sehen.

Ein Klasseunterschied, der sich nicht niederschlägt

In der 16. Minute macht Menez dann ein schönes Tor (Ribery schickt ihn von halblinks halbrechts ins Loch), aber aus ganz klarem Offside heraus. Zählt nix. Erzählt nur die Geschichte von der deutlichen Überlegenheit der Franzosen; die mittlerweile auch nicht mehr immer nur ausgepfiffen werden, weil diese Art der Fan-Destruktion nicht nur blöd, sondern auch fad ist.

Diarra steht viel im Mittelkreis, Cabaye spielt rechts und links um ihn herum die aktivere Rolle in der Mittelfeld-Zentrale.

In der 24. Minute schließt Yarmolenko die erste wirklich brauchbare Aktion der Ukrainer mit einem guten Schuß ab. Die Offensive hat mit dem Gegner deutlich mehr zu kämpfen als in Spiel 1 gegen Schweden. Zwei Minuten später schießt Menez nach guter Aktion der Franzosen drüber; umgekehrt kommen Les Bleus deutlich leichter durch als gegen England in ihrem Startmatch.

Einen schlimmen Kollektiv-Aussetzer der Hintermannschaft in der 29. läuft und crosst Ribery toll, allein Menez scheitert völlig frei gegen Tormann Pyatov.

Sorry, aber da ist ein Klassenunterschied zu sehen, deutlich.
Das beeinsprucht auch die erste echte Szene von Andriy Shevchenko nicht, als der in der 34. Minute freigespielt wird und per Schuß an Lloris scheitert. Diese punktuellen Stiche halten das Spiel noch offen. Oder Fehler wie der von Clichy in der 37., der Yarmolenko fast zu einer Gelegenheit verhilft.

In der 39. Minute holt Tormann Pyatov einen tollen Kopfball von Mexes (nach Nasri-Freistoß-Cross) gefühlt schon hinter der Torlinie raus. Den nächsten Gegenstoß verhindert Menez und kriegt dafür gelb. Die Schlußphase gehört dann, wie der Beginn, wieder Benzema.

Neustart nach fast einer Stunde Pause

Um 19:01:55 geht es mit einem Schiedsrichterball wieder los - und gleich hinein in die 5. Minute. Der Rasen ist berauchbar bespielbar und Benzema ist der erste Balltret-Tester - per Schuß von linksaußen.

Warum das ukrainische Publikum bei französischem Ballbesitz automatisiert pfeift, erschließt sich mir nicht. Sowas tut man maximal wenn man Gründe dazu (etwa Verzögerung, Unfairness etc) hat; eine Vorgabe kann das nicht sein. Verblödet.

Die Franzosen beginnen das Match in die Hand zu kriegen, vor allem Benzema will es heute scheinbar wissen. Auch Nasri presst immer wieder früh. Die Gegenwehr der Ukraine ist punktuell, ungeordnet.

Gusev hält sein Rechtsverteidiger-Position heute vergleichsweise brav, er tritt seinem Vordermann Yarmolenko nicht ganz so auf die Füße wie in Spiel 1, man hat sich abgesprochen.
Gael Clichy spielt wohl auch gegen diese beiden heute Linksverteidiger, weil er sie mit seinen eigenen Vorstößen auch selber beschäftigt.

Nach einer Viertelstunde Spielzeit denkt keiner mehr an der vergangenen Regenguss, das Blitzgewitter und die lange Pause - die Bedingungen sind einwandfrei.

Die ersten Erkenntnisse der ersten Minuten:

Der Gewitterregen taucht den späten Nachmittag in ein pechschwarzen Abendensemble und durchnässt die Spieler auf das Heftigste.

Frankreichs Debuchy steht rechts wieder weitaus offensiver als Clichy links. Cabaye agiert halbrechts leicht vor dem halblinks postierten Diarra in der Mittelfeldzentrale; Ribery spielt links und Menez rechts, nicht andersrum wie ich gedacht hatte, sie werden aber rochieren, die beiden Herren, j'en suis sure.

Die Ukraine exakt wie im ersten Spiel, zunächst in einem 4-4-1-1, mit Voronin etwas hinter dem vor lauter Eifer platzenden Captain Sheva.

UKRAINE

Tor: 1 Maxym Koval (Dynamo Kiev), 12 Andriy Pyatov (Shakhtar Donetsk), 23 Oleksandr Goryainov (Metalist Kharkiv).

Abwehr: 21 Bohdan Butko (Illychivets Mariupil), 3 Yevgen Khacheridi, 17 Taras Mikhalik (Dynamo Kiev), 5 Olexandr Kucher, 20 Yaroslav Rakitskiy, 13 Vyacheslav Shevchuk (Shakhtar Donetsk), 2 Yevhen Selin (Vorskla Poltava).

Mittelfeld: 4 Anatoliy Tymoshchuk (Bayern München/DEU), 6 Denys Garmash, 8 Olexandr Aliyev, 9 Oleg Gusev, 11 Andriy Yarmolenko (Dynamo Kiev), 14 Ruslan Rotan, 19 Yevhen Konoplyanka (Dnipro Dnipropetrovsk), 18 Sergiy Nazarenko (Tavriya Simferopol).

Angriff: 10 Andriy Voronin (Dinamo Moskau/RUS), 7 Andriy Shevchenko, 15 Artem Milevskiy (Dynamo Kiev), 22 Marko Devic alias Devych (Metalist Kharkiv), 16 Yevgen Seleznyov (Shakhtar Donetsk).
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FRANKREICH

Gardiens: 1 Hugo Lloris (Ol. Lyon), 16 Steve Mandanda (Ol. Marseille), 23 Cédric Carrasso (Bordeaux).

Défenseurs: 2 Mathieu Debuchy (Lille), 13 Anthony Réveillère (Ol. Lyon), 4 Adil Rami (Valencia/SPA), 5 Philippe Mexes (AC Milan/ITA), 21 Laurent Koscielny (Arsenal/ENG), 22 Gael Clichy (Manchester City/ENG), 3 Patrice Evra (Manchester United/ENG).

Milieux: 6 Yohan Cabaye (Newcastle/ENG), 18 Alou Diarra (Ol. Marseille), 17 Yann M'Vila (Rennes), 12 Blaise Matuidi, 14 Jeremy Menez (Paris Saint-Germain), 19 Marvin Martin (Sochaux), 15 Florent Malouda (Chelsea/ENG), 11 Samir Nasri (Manchester City/ENG).

Attaquants: 7 Franck Ribéry (Bayern München/D), 8 Mathieu Valbuena (Ol. Marseille), 20 Hatem Ben Arfa (Newcastle/ENG), 9 Olivier Giroud (Montpellier), 10 Karim Benzema (Real Madrid/SPA).

Nach 5 Minuten kracht ein so lauter Donner, dass Schiri Kuipers das Spiel unterbricht. Es sieht nach einer echten Sintflut aus. Ich schätze dass das zehn Minuten dauern wird. Oder doch eher 20?
Nach zwanzig Minuten kommt die Info, dass erst um 19 Uhr wieder gestartet wird. Na dann bis dann!

Die Ausgangslage vor dem Spiel...

... ist klar, sonnenklar möchte man angesichts des Wetters in Österreich hinzufügen.

Die Ukraine will das Momentum nach dem verblüffenden Auftaktsieg nützen und einfach weitersurfen auf der unerwarteten Erfolgswelle.

Die Franzosen müssen nach dem vielleicht ödesten Spiel der Euro (zumindest die 2. Hälfte war die lahmste ihrer Art) gegen England in die Gänge kommen, wenn sie ihren Co-Favoriten-Status festigen wollen.

Oleg Blokhin liess die Ukraine im 1. Spiel so auflaufen:
12 Pyatov; 9 Gusev, 17 Mikhalik, 3 Khacheridi, 2 Selin; 11 Yarmolenko, 4 Tymoshchuk, 8 Nazarenko, 19 Konoplyanka; 10 Voronin, 7 Andriy Shevchenko, der Kapitän.Wechsel: 15 Milevskiy, 14 Rotan, 22 Devic.

Das ist ein 4-4-2, eigentlich. Weil aber Timo und Nazarenko im Zentrum weit hinten, die beiden göttlichen Flügel Yarmolenko und Konoplyanka aber weit vorne spielen, kann man es auch als 4-2-2-2 lesen. Und weil Gusev der Rechtsverteidiger an sich ein offensiver Mittelfeldspieler ist und dauervorstößt, ist es in Wahrheit ein 3-2-3-2.

Blokhin hat so schon gegen Österreich getestet, spielte so gegen Schweden und jetzt auch gegen Frankreich. Er vertraut also dem Lauf seines Teams und den eigenen Stärken und kümmert sich nicht um die Taktik seines Gegners, und schickt dieselbe Partie, wieder ganz in Gelb, raus:

12 Pyatov; 9 Gusev, 17 Mikhalik, 3 Khacheridi, 2 Selin; 11 Yarmolenko, 4 Tymoshchuk, 8 Nazarenko, 19 Konoplyanka; 10 Voronin, 7 Kapitän Shevchenko.

Auf der Bank ua 8 Aliev, 15 Milevskiy, 14 Rotan, 22 Devic...

Laurent Blanc spielte mit Frankreich in Match 1 so:
1 Lloris, der Kapitän; 2 Debuchy, 4 Rami, 5 Mexes, 3 Evra; 6 Cabaye, 18 Alou Diarra, 15 Malouda; 11 Nasri, 10 Benzema, 7 Ribery. Wechsel: 20 Ben Arfa, 19 Martin. Nicht fit: 17 M'Vila.

Das war ein zu vorsichtiges 4-3-3 mit einem italienisch anmutenden Mittelfeld, mit einem in doppelter Hinsicht spielentscheidenden Diarra im Zentrum, einem total unterverkauften Malouda, und einem nominell rechts spielenden Nasri, der eh immer in die Mitte ziehen konnte, weil Debuchy, der rechte Außenverteidiger seinen Job mitübernahm. Das sah in der Vorbereitung ganz gut aus, griff gegen England aber nicht.

Sah auch Blanc so und stellt seine Dunkelblauen um:

Kapitän 1 Lloris; 2 Debuchy, 4 Rami, 5 Mexes, 22 Clichy; 6 Cabaye, 18 Alou Diarra; 11 Nasri; 7 Ribery, 10 Benzema, 14 Menez.

Auf der Bank sind ua 3 Evra, 15 Malouda, 8 Valbuena, 9 Giroud, 20 Ben Arfa, 19 Martin, 17 M'Vila...

Clichy kommt links hinten für Evra. Es gibt ein defensives Zweiermittelfeld mit Cabaye und Diarra, 15 Malouda wird geopfert. Nasri spielt zentral als Zehner. Der im vorletzten Test exzellente 14 Menez spielt linke Spitze, Ribery rechts, Benzema zentral. M'Vila ist wieder fit, aber nur Ersatz.

Das ist also wieder ein 4-3-3, aber ein gänzlich anders aussehendes, ein forsches, das mit echtem Flügelspiel und einem Nasri mit allen Freiheiten den Gegner einschüchtern will.

Das Spiel findet im von einem Gewitter gebeutelten Donezk statt, Ref ist der Niederländer Kuipers.