Erstellt am: 14. 6. 2012 - 16:21 Uhr
Two-Face: Krakaus unbekannte Hälfte
von Aleksandra Kołodziejczyk
Am Donnerstag, 11. 10 interviewt Anna Katharina Laggner Regisseur Dariusz Kowalski anlässlich des Filmstarts von "Richtung Nowa Huta"
Jurek ist sichtlich bemüht, den pink-schwarz gemusterten Trabi am Laufen zu halten. Bei der nächsten roten Ampel den Fuß bloß nicht zu stark von der Kupplung nehmen, dann rollt der Wagen knatternd weiter. Während der zehnminütigen Fahrt ist der Motor bereits zwei Mal abgestorben, da half nur noch gemeinsames Anschieben. Ist halt „part of the experience“, stellt eine mitreisende Touristin amüsiert fest. Der Trabi, die Pannen, sie passen gut zu unserem Programm: Wir haben die pittoreske Altstadt Krakaus verlassen und sind Richtung Nowa Huta unterwegs, dem Arbeiterstadtteil im Osten Krakaus.
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„Nowa Huta wurde 1949 als kommunistisches Arbeiterparadies errichtet. Und wieso ausgerechnet hier, 10 Kilometer von der Altstadt Krakaus entfernt? Weil Nowa Huta ein Gegengewicht zum gutbürgerlichen, historischen Kern Krakaus bilden sollte. Krakau sollte eine Stadt der Arbeiter werden“, erzählt Jurek bei einem Stamperl Wodka, das genauso zur Tour durch Nowa Huta gehört wie der Besuch des riesigen Zentralplatzes, des Stahlwerks und des Restaurants „Stylowa“, das auch schon zu kommunistischen Zeiten Wodka, Essiggurkerl und Heringe angeboten hat. Der Soziologiestudent jobbt als Touristenguide und zeigt uns ein kleines Abbild der Lenin-Statue. Das überlebensgroße Original und ehemalige Wahrzeichen Nowa Hutas steht heute in einem schwedischen Vergnügungspark und nicht mehr am Zentralplatz.
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Die Zeiten haben sich geändert. Das Eisenkombinat, das in seinen besten Zeiten den 38.000 Einwohnern Nowa Hutas Arbeit gab, ist nun in Händen von ArcelorMittal, dem größten Stahlkonzern der Welt, der nur noch 3.000 Menschen beschäftigt. Was einst die Vorzeigestadt der Kommunisten war, ist nach der Wende 1989 zum Problemkind Krakaus geworden. Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Gewalt… So sehen Teile der Realität und die Klischees über Nowa Huta aus. Doch auch diese beginnen sich langsam zu wandeln. Immer mehr junge, gut ausgebildete Menschen ziehen nach Nowa Huta. Einige sprechen sogar schon von einer anfangenden Gentrifizierung.
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Auch Daniel ist vor drei Jahren nach Nowa Huta gezogen, in die Wohnung eines Freundes in der Theatersiedlung. Nun kellnert er im „Kombinator“, einem Klub, der zusammen mit dem Theater „Łaźnia Nowa“ in einem stillgelegten Werkstättengebäude untergebracht ist. „Die Siedlungen in Nowa Huta wurden für Menschen geschaffen. Kein Wohnblock steht direkt neben dem anderen, es gibt hier viele Freiflächen“, erklärt Daniel die Vorzüge seines neuen Wohnortes. Viele junge Menschen tun es Daniel gleich. Die günstigen Mieten, die Grünanlagen und die gute Anbindung an die Altstadt sind Grund genug, um seinen Wohnort nach Nowa Huta zu verlegen. Diesen Prozess hat der Soziologe Jacek Gądecki auch schon erkannt und 2011 das Forschungsprojekt „I love Nowa Huta“ gestartet, in dem er und sein Team Neo-Nowa-Huta-BewohnerInnen zu den Gründen ihrer Wohnortwahl befragten. Entscheidend für den Neuzuzug sind laut Gądecki nicht nur die niedrigen Mieten, sondern auch die kulturellen Einrichtungen, die kommunistische Architektur und die gute Infrastruktur von Nowa Huta, deren Grundstein die Kommunisten gelegt haben, indem sie Nowa Huta als eigenständige Stadt mit allen Versorgungseinrichtungen angelegt haben.
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Von negativen Folgen einer Gentrifizierung möchte Sebastian nichts wissen. Nowa Huta entwickle sich von unten, von Kommerzialisierung gebe es noch keine Spur. Der 24-Jährige betreibt seit Kurzem das community-betriebene Webradio „Radio Nowa Huta“, das in der Schulsiedlung untergebracht ist. Die Schulsiedlung ist weitläufig angelegt und schließt sich unmerklich an die nächste Siedlung an. Da Nowa Huta während der unsicheren Zeiten des Kalten Krieges erbaut wurde, dienten mittelalterliche Festungen den kommunistischen Städteplanern als Vorbild. So weisen die Siedlungen in Nowa Huta ein verwirrendes System an Durchgängen und Schutzvorrichtungen auf. Vielleicht ein Grund dafür, wieso ich eine halbe Stunde den Eingang zum Radio suchen musste.
Die provisorische Einrichtung des Radios beschränkt sich auf eine kleine Wandtafel, auf der dicht aneinander gedrängte Buchstaben stehen: die Webadresse von „Radio Nowa Huta“. Davor steht ein Tisch und auf ihm ein aufgeklappter Laptop, an der hellgelben Wand lehnt ein Bilderrahmen mit ausgeschnittenen Artikeln. „Wir haben erst vor kurzem durchgestartet. Das Radio soll ein Ort für alle Nowa Huta Begeisterte werden. Hauptsache es wird positiv über Nowa Huta berichtet“, erzählt Sebastian, der schon als 11-jähriger mit Radio experimentiert hat. Er ist in Nowa Huta geboren und vertritt einen lokalpatriotischen Ansatz, den viele alt eingesessene Nowa Huta Bewohner als Antwort auf das schlechte Image des Arbeiterstadtteils entwickelt haben.
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Das Radio soll das negative Ansehen korrigieren, kulturelle Initiativen publik machen und vielen BewohnerInnen die Möglichkeit geben, ihre Sicht auf Nowa Huta darzustellen. „Unser Motto ist: Wir spielen für euch und dank euch. Das Radio soll ein Ort werden, der Leute versammelt. Jede/r kann herkommen, Ideen entwickeln und mit diesen Ideen on air gehen“, erzählt Sebastian und greift zu seiner Kaffeetasse. Er ist überzeugt davon, dass er Schritt für Schritt was Großes schaffen werde.
Die Probleme wird er wohl nicht lösen, dafür aber zu einer Aufwertung des Stadtteils beitragen und vielleicht schlussendlich doch auch ein bisschen zur Gentrifizierung Nowa Hutas. Wer weiß.