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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

13. 6. 2012 - 12:02

Integrationscamp für echte WienerInnen

God’s Entertainment drehen den Spieß um und bitten in einer Straßenperformance echte Österreicherinnen und Österreicher zum Integrationstest und ins Lager.

Die Straßenperformance „Österreicher integriert euch!“ von God’s Entertainment finden im Rahmen der Wiener Festwochen an drei Standorten in Wien statt

Ein Bauzaun, dahinter mehrere Wohnwägen. Nur die Plakate auf dem Zaun verraten was innen vorgeht: „Österreicher integriert euch!“ steht da auf Rot-weiß-rotem Untergrund. Was drinnen passiert, ist nicht zu erkennen, reicht aber schon aus, um die Aufmerksamkeit der PassantInnen auf sich zu ziehen.

Edward Chapon

Das erste Integrationscamp am Wiener Urban-Loritz-Platz

„Viele können das erst einmal gar nicht einordnen, glauben entweder, dass das aus einer rechten oder einer linken politischen Richtung kommt“, sagt Boris Ceko von God’s Entertainment. Er steht vor der Tür des Lagers und fängt erst einmal die Reaktionen des Publikums ein – was mitunter schon auch recht heftig sein kann: Viele Menschen fühlten sich angegriffen, würden anfangen zu diskutieren oder ausfällig zu werden. „Es ist wirklich erschreckend, was ich hier schon alles erlebt habe“, meint er.

Irmi Wutscher

Integrationstest für Ösis

Das Integrationslager für echte WienerInnen ist eine Straßenperformance des Kollektivs „God’s Entertainment“, die im Rahmen der Wiener Festwochen stattfindet. Theoretisch wird vor der Türe der Integrationsbedarf abgeklärt. Besteht ein solcher, d.h. hat man besonders viele Ängste oder Vorurteile, kann man weiter ins Lager zu einem genaueren Integrationstest geladen werden. Ich stelle mich einem Teil des Tests und da wird so manches abgeprüft: Was für mich die österreichische Kultur ausmacht, welche Regierungsform ich gerne hätte, wen man lieber nicht als Nachbarn haben möchte: Homosexuelle, Linksextreme, Rechtsextreme, Juden, Türken, Schwarze, Personen mit vielen Kindern?

Irmi Wutscher

Jean-Pierre darf man angreifen, ihm die Hand schütteln oder ihn umarmen.

In einem Bildertest werden Sympathien abgefragt und mittels EKG der Pulsschlag zu Bildern von Almen oder von „ausländischen“ Menschen in der Stadt gemessen. Mein Ergebnis: mir sind die ÖsterreicherInnen besonders unsympathisch, da habe ich neun von zehn negativ beurteilt. Ob das daran liegt dass ich grimmige Schnauzbartträger besonders oft negativ beurteilt habe? - "Kann sein" sagt die Testerin. Das Ergebnis unterstellt mir auch Antipathie gegenüber TürkInnen. Bei allen anderen Gruppen, Sinti und Roma, JüdInnen, AfrikanerInnen und Menschen aus Ex-Jugoslawien sind Sympathie und Antipathie relativ gleich verteilt.

Hätte ich im Test einer Minderheitengruppe gegenüber besonders viele Ängste oder Vorurteile gezeigt, kann ich im Integrationslager daran arbeiten. Wer keinen Integrationsbedarf hat, kann das Lager und die verschiedenen Minderheiten im Rahmen einer Führung kennenlernen: Die TürkInnen klären über Kinderreichtum auf, mit einem Rom kann man sich „Gypsy-Style“ zu zehnt in ein Auto quetschen und mit den deutschen Studierenden Sesseltanz um einen Studienplatz spielen. SchwarzarfrikanerInnen, mit Dirndl an oder Österreich-Fahne als Kaftan, kann man die Hand schütteln oder sie umarmen.

Vorurteile zu Fakten geworden

Diese Aufgaben oder wirken teilweise recht platt oder auch stereotyp, etwa wenn Männer aufgefordert werden, mit einer türkischen Frau in einen Wohnwagen zu gehen, um sie nackt zu sehen. Es geht darum, sagt Maja Degirmendzic von God‘s Entertainment, festzustellen, wie lange etwas als fremd verspürt wird. In einer Vorrecherche haben die PerformerInnen Leute von der Straße gebeten, sich ihre Eindrücke über verschiedenste Minderheiten von der Seele zu reden: „Die Menschen sind schon so gesteuert von Eindrücken, die sie von Freunden übers Hörensagen bekommen, dass sie wirklich daran glauben und bestimmte Klischees bei vielen zu Fakten werden. Wir etwa, dass Juden keine Steuern zahlen oder dass Afrikaner alle Drogendealer sind.“

Irmi Wutscher

Deutsche Studentin und Afrikanerin im Dirndl vor Plakaten mit Vorurteilen.

Die Aktion hat auch schon die Aufmerksamkeit der FPÖ auf sich gezogen. So wetterte die FPÖ-Kultursprecherin Heidemarie Unterreiner im Parlament „Die Performance ‚Österreicher integriert euch‘ findet in einem Integrationscamp statt, in dem Lernpakete angeboten werden, allerdings nicht für Zuwanderer sondern für Österreicher. Das ist meines Erachtens eine Ungeheuerlichkeit der Sonderklasse, weil das ist ernst gemeint! Das ist kein Spaß!“

Wenn du bei dir Integrationsbedarf feststellst, oder wenn du dir das Lager ansehen willst: morgen bis Samstag steht es am Meidlinger Platzl in Wien. Ab zehn Uhr kannst du dich den Fragen stellen und jeweils 18, 19 und 20 Uhr gibt es eine Führung durchs Lager, der Eintritt ist frei!

Seitdem die FPÖ das Thema aufgegriffen habe, fühlen sich viele MehrheitsösterreicherInnen angesprochen, es gäbe es auch Hate-Postings und E-Mails, sagt Maja Degirmenzic. Von diesen ProtestiererInnen hätten sich einige wenige sogar ins Integrationscamp getraut.

Überhaupt findet die Performance eigentlich auf der Straße, vor dem Lager statt. Denn einen Integrationsbedarf finden nur wenige an sich, freiwillig ins Camp kommen hauptsächlich Leute, die dem Thema Integration ohnehin positiver gegenüber stehen. Die anderen bleiben vor der Tür, fangen an zu schimpfen oder ausfällig zu werden. Maja Degirmandzic: „Menschen fühlen sich angesprochen, wollen sagen, wo sie glauben, dass die Probleme sind und wir versuchen das fest zu halten. Ich würde schon sagen, dass die Performance funktioniert. Aber ob man damit etwas verändern kann ist eher fraglich.“