Erstellt am: 17. 6. 2012 - 12:00 Uhr
Gute Gäste und schlechte Gäste
marc carnal
Marc Carnal, der schönste Mann von Wien, sammelt seit geraumer Zeit Einkaufslisten.
Unterstützt wird er dabei von einem stetig wachsenden Kreis an redlichen Helfern, die ihn regelmäßig mit am Wegesrand oder in Supermärkten aufgelesenen Zettelchen beliefern, auf denen Fremde seltsame, amüsante, wirre, ungesunde oder fragwürdige Gedankenstützen notiert haben.
Zu diesen teils zauberhaften Stichwortsammlungen verfasst Herr Carnal dann Texte und trägt diese zwischendurch auch öffentlich vor.
Termine findet man hier.
Wer sagt: "So ein Gast, der kommt mir nicht ins Haus!", verdient unser Verständnis. Denn bevor Gäste kommen, muss man Gläser polieren, den Boden wichsen und das Altglas entsorgen und wenn der Gast weg ist, muss man schon wieder Gläser polieren, den Boden wichsen und neues Altglas entsorgen.
Außerdem ist nicht jeder Gast ein guter Gast.
Es gibt auch schlechte, geradezu minderwertige Gäste.
Der schlechte Gast
wartet nicht auf das Angebot, die Schuhe an zu behalten. Er fragt, ob er sie ausziehen müsse. Der schlechte Gast stellt sich vor Regale und starrt hinein. Vor dem Bücherregal fragt er, ob man "die wirklich alle gelesen" habe. Er fragt auch, wieviel Miete man bezahle. Der schlechte Gast erkennt die Floskel "fühl dich wie zu Hause" nicht als solche und benimmt sich wirklich wie zu Hause. Er möchte Musikinstrumente ausprobieren, Fernbedienungen benutzen und Allerlei ausborgen, was ihm spontan zusagt. Gerne kommt der schlechte Gast auch unangemeldet vorbei und meint, man würde sich darüber freuen.
Außerdem schneidet er Salat, kippt Suppenteller und knackt den Hummer wie ein Flegel.
Nur die letzten Punkte wollen wir ihm verzeihen. Man verwechsle nicht naturgegebene Noblesse und Anstand mit blöden Benimmregeln.
Hin und wieder habe ich schon zwecks Erheiterung Knigge-ähnliches gelesen und die ganzen Tisch- und Konversationsgesetze immer sofort wieder vergessen.
Zwar wurden mir schon manchmal Exkursionen in sehr gute Restaurants oder exklusive Kreise zuteil, nie vermisste ich dabei aber die Kenntnis irgendwelcher Benimmregeln. Unverkrampftheit gepaart mit Verstand diktieren wie von selbst, mit welcher Gabel man das Dessert einnimmt und dass man den belgischen Botschafter keinen Kretin schimpft.
Ich behaupte keinesfalls, jemals dem belgischen Botschafter begegnet zu sein, möchte aber, wenn Sie erlauben, kurz googlen, wie der eigentlich heißt. Holen Sie sich ruhig was zu trinken in der Zeit. Die Gläser sind über der Spüle. Bier und Limonade ist im Kühlschrank. Fühlen Sie sich wie zu Hause!
Also, der Herr heißt… Frank Recker!
Das ist leider kein lustiger Name, aus dem ich einen kleinen Auflockerungs-Jokus basteln könnte.
Also müssen wir ohne Pausenlacher wieder zum Thema zurückkehren und uns in guter alter Zurückkehr-Manier der Kehrseite widmen, nämlich der Gastfreundschaft. Natürlich wird man sich in fremden Wohnungen nie "wie zu Hause fühlen", denn selbst die allerschlechtesten Gäste onanieren nicht im Beisein des Gastgebers, zumindest nicht unaufgefordert.
Man kann dem Besuch allerdings durch großzügige Bewirtung, das Bemühen um angeregte Konversation und routiniert eingeflochtene Entertainment-Einlagen das Gefühl geben, herzlich willkommen zu sein.
Das ist an sich nicht schwer. Man nehme sich ausreichend Zeit, überlege sich für den Fall eines zähflüssigen Gesprächs ein paar Konversations-Rettungsmaßnahmen und backe als flankierendes feel good - tool einen Kuchen.
marc carnal
Neben dem Abschließen einer Versicherung für das Motorrad, dem Kauf eines Mantels für die Mutter und der Wahl eines passenden Spiegels bleibt nämlich sehr wohl noch genug Zeit, einen Kuchen zu backen. Die reine Arbeitszeit dafür beträgt erfahrungsgemäß exakt siebeneinhalb Minuten.
Der herrlich gehle Kuchen (Geheimtipp: Safran!) wird den Gast verzaubern. „Was, den hast du selbst gemacht?“, fragt er dann natürlich.
Ansonsten möge der Gastgeber improvisieren und den Besuch liebevoll umsorgen. Zumindest, wenn ein guter Gast im Haus ist. Den schlechten Gast kann man ruhig einkaufen schicken!
marc carnal
Nun muss aus Gründen der inhaltlichen Harmonie noch ein abschließendes Kapitel folgen, welches sich
Der gute Gast
nennt. Der gute Gast kommt am besten zehn Minuten zu spät, hat keinen verstaubenden Ziergegenstand, sondern ess- oder trinkbare Köstlichkeiten in seinem Ranzen, macht es sich bequem und weiß Erbauliches zu berichten.
Man befruchtet einander mit erlesenen Gedanken. Plötzlich ist es fünf Uhr früh, die Lerchen stimmen ihr Morgen-Chanson an und die flotten Gesprächspartner umarmen sich bei einem guten Glas.
Das Glas ist gut, aber leer, wie auch die unzähligen Karaffen und Flaschen auf dem Tisch.
Na sapperlot!
Außerdem hat es die ganze Nacht Frösche vom Himmel geregnet, von Gast und -geber unbemerkt, weil der nächtliche Plausch von so beachtlicher Qualität war.
Schließlich schmeißt man den guten Gast hinaus oder schläft damit.