Erstellt am: 12. 6. 2012 - 17:36 Uhr
Wir jagen die Monotonie
Als vor ein paar Monaten die Kunde ging, der kalifornische Produzent Jimmy Tamborello würde endlich wieder einen neuen, regulären Longplayer seines Projekts Dntel veröffentlichen, war zunächst schon die Meldung, auf welchem Label die Platte erscheinen sollte, für eine immerhin kleine Überraschung gut: „Aimlessness“, so nennt sich das schmucke Stück, erscheint nun eben nicht bei Sub Pop, der Instanz aus Seattle und üblicherweise Heimat-Label von Tamborello, wo er zwischen guten Gitarren und mittlerweile auch avanciertem HipHop mehr oder weniger der einzige echte Elektronik-Bastler im Artist-Roster ist; und eben auch nicht bei Plug Research, dem kalifonischen Haus für fantastisch verstolpertes Beat-Gerumpel aus dem Umfeld von Flying Lotus, Daedalus und Co. mit dem Dntel ebenso gut verbandelt ist und einige Einträge in der Release-History teilt.
Veröffentlicht wird „Aimlessness“ jetzt beim in Hamburg ansässigen, immer noch recht frischen und tatsächlich wunderbaren Label Pampa Records, dem neben einer Geschichte von einigen – wenn auch erst ein paar Handvoll – sehr guten Releases vor allem der Ruf vorauseilt, von everybody’s Lieblingsknalltüte DJ Koze mitbetrieben zu werden. Koze hat auf Pampa bislang fast ausschließlich Platten deutscher Produzenten wie z.B. Isolée, Ada, Robag Wruhme oder Die Vögel veröffentlicht, die allesamt, experimentierfreudig zwar und die Grenzen auslotend, sicherlich, immer noch gut in Techno und House verwurzelt sind.
Jimmy Tamborello hingegen ist von der möglicherweise zweifelhaften Ehre benetzt, mit seinem Projekt Dntel so etwas wie ein Popstar dieser putzig verspielten Musik zu sein, die man da, früher, gerne „Indietronics“ geheißen hat. Vor kurzem erst ist sein – Achtung! – fantastisches Album „Life is Full of Possibilities“ aus dem Jahr 2001 zum zehnjährigen Jubiläum schön aufgemacht neu veröffentlicht worden (damals Plug Research, heute Sub Pop), und man darf bemerken, dass diese Platte die Gezeitenwechsel nur allzu gut überstanden hat. Die Verbindung von knarzender und zischender Elektronik mit catchy Melodien, mitunter echtem Popsongwriting und – nicht zuletzt – da und dort Vocals, wirkte und galt seinerzeit – sicherlich auch in Folge von Radiohead’s „Kid A“ – als frisch und aufregend, mit „Life is Full Of Possibilities“ hat Dntel dieser Musik ein, auch ein wenig endgültiges und die Angelegenheit bis auf Weiteres abschließendes, Denkmal gesetzt und im großen Stil vor allem in den USA einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht.
Der auf der Platte enthaltene, mit Ben Gibbard von Death Cab For Cutie an den Vocals eingespielte ewige, ewige Song „(This Is) The Dream Of Evan And Chan“ legte das Fundament für die weitere Zusammenarbeit als The Postal Service, die nach, so geht die Legende, Nirvanas „Bleach“ immerhin für den am zweitbesten verkauften Longplayer im Sub-Pop-Katalog ever verantwortlich sind. Somit aber auch für die vielen, vielen ärgerlichen Folgen von weinerlicher Jungmänner-Emo-Elektronik und Owl City. Eventuell hat Dntel auch Chillwave erfunden.

Dntel
Als Dntel hat Tamborello in den letzten zehn Jahren eine feine Sammlung alter Arbeiten unter dem noch besseren Titel „Early Works For Me If It Works For You II“ und das Album „Dumb Luck“, das die schon schal geworden Formel „Süßlicher Gesang plus Maschinen-Gebrutzel“ eher mittelprächtig weiterführte, veröffentlicht – mit „Aimlessness“ ist ihm jetzt endlich wieder ein kleiner, unaufdringlicher großer Wurf gelungen – der dann in seiner Verquickung von Abenteuerlaune, kuscheliger Weirdness und Techno-Herz freilich doch bestens bei Kozes Pampa Records und all diesen herrlichen Spinnern aufgehoben ist.
Auch wenn man den Albumtitel jetzt nicht unbedingt wörtlich lesen muss, mutet „Aimlessness“ wie eine beiläufig hingekritzelte Sammlung von Skizzen und knappen Ideen an. Das Vage, Unfertige und Flüchtige ist hier Konzept. Das Fundament bildet nach wie vor eine höfliche Wald- und Wiesen-Elektronika, die anscheinend nur allzu gerne alle Menschen unter die Decke locken möchte; die Faktoren „Niedlichkeit“ und „überfrachtete Rumpelkammer“ hat Tamborello dabei aber deutlich nach unten geschraubt. Oft werden die Tracks nur von wenigen Elementen getragen: ein gesampelter Drum-Loop, eine schwermütige Ambient-Fläche, eine munter aus dem Piano gezogene Melodie.

Dntel
Die Stücke orientieren sich kaum mehr an Songstrukturen und haben sich merklich dem Dancefloor und Techno zugewandt – auch wenn hier kaum ein Stück im Club tatsächlich „funktionieren“ dürfte, dafür sind sie allesamt zu bescheiden, kauzig und lo-fi. Da und dort läuft im Hintergrund eine gerade Bassdrum, auch dürfte sich Herr Tamborello ein wenig für Post-Dubstep aus dem UK interessiert haben. Vocals gibt es so gut wie gar nicht mehr zu erleben auf „Aimlessness“, wenn, dann in der stark verwaschenen, unkenntlich gemachten Variante, die eher eine weitere „atmosphärische“ Soundquelle konstituiert als tatsächlich versucht ein Lied zu singen. Die Stücke „Still“ und „Santa Ana Winds“ mit dem Kollegen Baths von den Außenrändern der Chillwave, respektive der wunderbaren Nite Jewel am Gesang gehen da noch am ehesten als Pophits durch.
Auch wenn die Stücke in sich eher reduziert angelegt sind, ist das Album als Ganzes extrem vielseitig. Man muss nur genauer unter dem Mantel der ersten Unaufgeregtheit nachhören: Da tun sich kleine Wunderwelten auf, Krautrock-Samples, sowieso, IDM, Kopfnicker Richtung Boards of Canada und Aphex Twin auch, immer wieder schälen sich aus dem weichen Moos langsam neue, ungrelle Überraschungen. Man kann sich „Aimlessness“ vielleicht als die leisere, kleine Schwester der letzten Arbeiten von Four Tet oder Caribou vorstellen - in ihr glüht noch ein bisschen die Naivität. Dntel verkauft der Welt „Aimlessness“ nicht als pralle Wundertüte des Hypereklektizismus, sondern als verschlafenes, in satten Grün -und Braun-Tönen gehaltenes Natur-Diorama, an dem eventuell erstmal ein bisschen gerüttelt und geklopft werden muss. Dann werden all die Tiere und Figürchen wach und schalten den Regenbogen ein.