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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

11. 6. 2012 - 14:44

EM-Journal '12-27.

Besserwissereien zwischendurch (3): About the very existence of centre-forwards.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Das waren die gestrigen Spiele der Gruppe C, Spanien gegen Italien und Irland - Kroatien.

Die Profile der sechzehn teilnehmenden Teams:

Gruppe A
Polen
Griechenland
Russland
Tschechien

Gruppe B
Niederlande
Dänemark
Deutschland
Portugal

Gruppe C
Spanien
Italien
Kroatien
Irland

Gruppe D
England
Frankreich
Schweden
Ukraine

Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journals '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen. Bei Regenwetter gibt es Indoors-Screens.

Gestern am 10. Juni 2012 um 7:43 PM twitterte Gary Lineker @GaryLineker über seinen BlackBerry folgende Nachricht: "Fernando, Fernando, do you not realise you could be playing for the very existence of centre-forwards?".

Für die meisten Österreicher, vor allem den ÖFB, der die Benützung von Twitter (wie alle Social Media, aus reiner Angst vor etwas ihm völlig Unbekannten) all seinen Schutzbefohlenen untersagt hat, muss man kurz erklären: über diesen Microblog-Dienst unterhalten sich weltweit Menschen über Aktuelles in Echtzeit (ein Zeitalter, das der ÖFB aktuell eben nur aus der Ferne erkennt). Und Gary Lineker, der legendäre, vielleicht beste, in jedem Fall aber fairste und vielleicht auch gewitzteste aller britischen Stürmer-Stars der letzten Jahrzehnte, ist ein sehr fleißiger Kommentierer (und nicht der einzige Engländer, interessant auch, was der daheimbleibenmüssende Rio Ferdinand so erzählt...).

Lineker sprach implizit das aus, was gestern viele dachten, als sie Spaniens Aufstellung sahen. Da war kein wirklicher Stürmer auf dem Platz; gut David Silva ist schon ein Flügelstürmer reinsten Wassers, Andres Iniesta kann auch eine linke Spitze spielen, aber Cesc Fabregas als hängende zentrale Spitze, als Messi-Kopie, das kann's ja nicht wirklich sein.

Dachte auch Lineker und hob deshalb hervor, dass Fernando Torres, ein echter Stürmer, nach seiner Einwechslung für ebenjenen Fabregas nun für den Weiterbestand einer, seiner Gattung spielen müsste. Das ist hohe Twitterkunst und ein ehrlicher Angstaufschrei.

Die Debatte wurde durch die auch recht eigenwillige Aufstellung der Italiener angeheizt, die zwar gleich zwei echte Spitzen, dafür aber gleich gar kein wirkliches Mittelfeld (sondern nur drei Sechser) aufgeboten hatte. Das alles machte das Match zwischen Spanien und Italien womöglich zu einer historischen Begegnung.

Das Ende des Mittelstürmers? Oder eine kecke Variante?

In Österreich fand sie auf recht niedrigem Level statt. Ein Nachbetrachter fragte des anderen, ob der Erfolg des Nicht-Stürmer-Aufstellens nicht evident wäre - schließlich habe man in genau dieser Phase durch genau diesen Fabregas das Tor gemacht.

Auch das ist auf dem Punkt, was blinde Resultatsfixiertheit betrifft, die das Spiel an sich außer Acht lässt. Denn natürlich war das spanische Angriffspiel nach der Hereinnahme von Torres, aber auch der von Jesus Navas, der einen echten linken Flügel gab, weitaus druckvoller und dynamischer. Navas Vorgänger, David Silva, könnte dieses Flankenspiel auch, war aber durch die vielen Rückzüge von Fabregas immer wieder dazu gezwungen in die vorderste Spitze vorzustoßen

Den Statistik-Jongleuren muss man entgegenhalten, dass es erst der mangelnde Druck dieser Stürmer-Nichtaufstellung war, der das italienische Gegentor überhaupt möglich gemacht hatte. Und dass Coach Del Bosque seinen Torres schon bereitstehen hatte als Fabregas dieses fcbarceloneske Durchsteckertor fabrizierte; ähnlich wie Löw ja bereits Klose an der Linie hatte, als Gomez sein Kopftor gelang. Dem spanischen Coach war also schon klar, dass sein Schmäh nicht vollends aufgegangen war.

Vicente del Bosque lässt, wie die allermeisten Coaches bei dieser Euro, zwar nur mit einem Stürmer spielen (was gestern auch besonders auffällig war, weil mit Italien und Kroatien just die einzigen Teams, die mit zwei klassischen Neunern agieren, zu sehen waren) hat aber zumindest vier Offensiv-Kräfte mit allen Freiheiten direkt dahinter. Und diesmal, gegen das gefährlichste Team, das Spanien kennt, gegen den Angstgegner, gegen Italien eben, wollte er noch einen Deut weniger riskieren.

Ist fast in die Hose gegangen; was auch damit zu tun hat, dass die beiden Außenverteidiger offensiv nicht im Spiel waren, dass auch die beiden Achter, Xavi und Xabi Alonso einen übervorsichtig-schwachen Tag hatte, dass also wenig an Unterstützung für die vorderste Linie daherkam, weshalb sich quälend lange Zeit immer nur ein Akteur ganz vorne für den Loch/Durchsteck-Pass angeboten hatte.
Ein Krampf, der sich erst mit Torres und Navas löste.

Gegen andere Teams wird Del Bosque das nicht mehr machen, u bet Gary. The very existence of centre-forwards ist nicht gefährdet; auch weil Messi eine Ausnahme bleiben wird. Aber: danke für den Denkanstoß, herzlichst ein neuer Follower.