Erstellt am: 11. 6. 2012 - 10:28 Uhr
Marsimoto ist unser Artist of the Week
Four Music
Woran erkennt man ein gutes Album? Am Artwork, an den Verkaufszahlen, der medialen Präsenz oder dem Label? Die genannten Punkte können als Orientierungshilfen dienen, verlassen kann man sich darauf nicht.
Der erste Eindruck beim Durchhören ist in meinem Fall oft entscheidend, ob ich einer Platte mehr Aufmerksamkeit schenke oder ob sie zum Stapel der Staubfänger bzw. in den virtuellen Papierkorb wandert.
"Grüner Samt", das dritte Album von Marsimoto, hat mich persönlich nach den ersten Takten verzaubert, die ich aus den Lautsprechern der Wohnzimmeranlage eines Freundes gehört habe. Ich musste mir noch am selben Abend die grün gefärbte Doppel-Vinyl-Pressung beim Mailorder meines Vertrauens bestellen.
Da hab ich was verschlafen
Ehrlich gesagt habe ich als von rappenden Türstehern verstörter Rap-Fan in den letzten Jahren die Lust verloren, mich ausführlich mit der Flut an Releases deutschsprachiger Rap-Alben zu beschäftigen. Zu oft musste ich mich ärgern über schlechte Texte, seelenlose Produktionen und Chart-Einstiege von Künstlern, die die Bezeichnung nicht verdient haben. Ich war davon überzeugt, dass die paar wirklich guten und interessanten Releases schon irgendwie zu mir durchdringen werden, auch ohne stundenlangem Stöbern in Blogs. Das hat großteils auch ganz gut funktioniert, leider ist jedoch der ein oder andere Künstler unter meinem Radar durchgerutscht. Der Wahlberliner Marteria zum Beispiel. Zu seinem Song "Seit dem Tag als Micheal Jackson starb" wurde im Wiener Museumsquartier ein nettes, inoffizielles Video gedreht.
Marteria ist Marsimoto
Als Vorgruppe von Peter Fox in der Wiener Arena haben sich Marteria und seine Kunstfigur Marsimoto vor ca. drei Jahren zum ersten Mal in mein Bewusstsein geschlichen. Elektronisch anmutende Produktionen und Texte mit gepitchter Stimme, vorgetragen von einem Mann mit grüner Maske, die so aussieht, als hätte man sie einem mexikanischen Wrestler vom Kopf gerissen. Der erste Eindruck hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt.
Irgendwann habe ich dann online ein Video zu „Todesliste“ gesehen. Ein polarisierender Song, in dem Marteria aka Marsimoto mit der deutschen Rap-Szene inklusive seiner eigenen Person abrechnet. Mit einem charmanten Augenzwinkern, was mir sehr sympathisch war.
Grüner Samt
Die Idee, mit gepitchter Stimme Songs aufzunehmen, ist zufällig entstanden. Bei einer Session im Studio hat Marteria mit einem Effektgerät gespielt und zum Spaß ein paar Songs aufgenommen. Die Resonanz war so gut, dass daraus das Alter Ego Marsimoto wurde. Gleichzeitig ist Marsimoto eine Hommage an den kalifornischen Produzenten und Rapper Madlib, der schon vor einigen Jahren als Quasimoto mit gepitchter Stimme gerappt hat.
Mit „Halloziehnation“ (2006), "Zu Zweit Allein"(2008) und „Grüner Samt“ (2012) gibt es mittlerweile schon drei Alben von Marsimoto.
Was Marteria aka Marsimoto von vielen Rap-Kollegen unterscheidet, ist die Fähigkeit, Bilder im Kopf zu erzeugen. Der ehemalige Profi-Fußballer des FC Hansa Rostock, Model und Schauspiel-Schüler hat sich zum Glück für eine Karriere als Rap-Musiker entschieden. Seine Texte sind eine Aneinanderreihung wunderschöner Metaphern, von Zitaten, intelligenten Vergleichen, Querverweisen und viel Wortwitz.
Was mich wieder zu meinem Hörerlebnis mit "Grüner Samt" bringt.
Nach nur einmaligem Durchhören hatte ich das Gefühl, einen surrealen Film gesehen zu haben und konnte danach bei fast jedem Titel wiedergeben, worum es ging. Ein Qualitätsmerkmal, wie ich finde. In Songs wie „Der springende Punkt“, „Alice im WLAN Land“, "Indianer" oder „Ich Tarzan, Du Jane“ entstehen atmosphärische Szenen im Kopf. Das musikalische Bett für Marsimotos Worte bilden tiefe Bässe und Produktionen zwischen HipHop, Elektronik und Dubstep. Verantwortlich für den zeitgemäßen Sound sind Dead Rabbit, The Krauts, der Spanier Kid Simius, Marsimoto selbst und noch ein paar befreundete Produzenten.
Die meisten der genannten Künstler haben einen Gastauftritt im Film, der zu "Grüner Samt" gedreht wurde. Eine Art Roadmovie inklusive diverser Videos zu Songs des Albums. Im Video zu "Wellness" tauchen übrigens einige bekannte Gesichter der deutschen Rap-Szene (Jan Delay, Max Herre, Torch, uvm), die man von der "Todesliste" kennt, in Form von kurzen Gastauftritten auf.
Am Freitag, den 22. Juni 2012, werden Marsimoto und seine Bande die FM4-Planet Bühne beim Donauinselfest in grüne Nebelschwaden tauchen. Ein Spektakel, auf das wir uns schon freuen!