Erstellt am: 10. 6. 2012 - 23:28 Uhr
Götter, Monster, Krieger und Gelehrte
Willkommen in der fremden und furchterregenden Parallelwelt der dunklen Türme in rot und blau. Hier tummeln sich Krieger und Hexen, Sklaven und Peiniger, Götter und Priester, Monster und Kreaturen, das Böse und das Gute und wie Funny van Dannen - gelinde gesagt, woanders - singt: "Das Böse ist sexy und interessant". Alles wartet auf die Götter Slayer und die Krieger Metallica, das Monster Gojira, die Gaukler Turbonegro und die Kreatur Mastodon.
Patrick Wally
Und sie alle werden kommen.
(Ich bin wohl von all dem "Heathen"-Gequatsche schon etwas erhitzt, aber der Computerspiel-Parallelwelt-Gedanke wird im Laufe des Festival eher stärker als weniger.)
Devin Townsend Project
FM4 - Your Festivalradio
Alle Geschichten vom Nova Rock
fm4.orf.at/novarock2012
Asgard, Yggdrasil, 900.000 Jahre vor Ragnarök, am Bass Odin, an der Gitarre Heimdall, am Schlagzeug Surtur, der Feuerriese und - stets von Eschenwurzel bis Eschenkrone rennend - das Eichhörnchen Ratatosk, das, begleitet zu einem konstant schweren Beat der Asen, die Gerüchte zwischen Göttern, Menschen und Riesen weitergibt. Das Eichhörnchen klingt erstaunlich nach einem der alten Metalshouter, die Tremolos von ganz tief unten bis in die Tenorhöhen singen können (er sieht auch Klaus Meine ein bisschen ähnlich, aber auch John Malkovich), es deutet dies aber nur an und beweist uns dann sogleich, dass es von schwerem Doom bis zu treibendem Stoner Rock alle verlangten Genres drauf hat. Wenn man an Hatebreed oder auch Slayer denkt, wirkt das ganze angenehm unextrem und kompatibel mit jenem Teil des Rockpublikums, das noch nicht von Kindheit an an 180-BPM-Metal gewohnt ist. Das Eichhörnchen ist der Kanadier Devin Townsend und die erste würdige Geheimtipp-Empfehlung des lieben Freundes und Kollegen... nein, natürlich des nichtswürdigen Falotten Holzmann (oh ein Link, wie praktisch), der, wie ihr vielleicht bemerkt habt, aus fadenscheinigen Gründen zum ersten Mal seit 1952 seinen Blog abgesagt hat und nicht hier sein wird.
Dem Eichhörnchen - und schon zuvor den Computern - kommt die neue Bühne gut zupass, die für den Headliner Metallica verfasst wurde, auf der man tief in den Pommesgabelwald eintauchen kann. Wer sich, wie etwa Campino, bei Publikumsstunts schon vermutlich 46 Knochen gebrochen hat, für den ist das natürlich eine fade Angeberbühne, wie bei einem Schlagerfestival mit Marianne und Michael, für Kollegen, die weniger kompromisslosen Körpereinsatz gewohnt sind, eine gute Gelegenheit, den Aktionsradius erheblich auszudehnen.
Gojira
Der zweite Geheimtipp von einem lieben Kollegen (nein natürlich des nichtswürdigen Falotten Holzmann, der aus fadenscheinigen...) und die einzige Band heute, die wirklich nach einem Monster benannt ist, nämlich nach dem duftesten von allen, dem Produkt der nuklearen Postapokalypse, Godzilla himself (Gojira ist die Annäherung an die japanische Original-Aussprache). Gojira sind Franzosen und ich, der ich so gerne über französische Popbands von Air bis Phoenix mir das Maul zerreiße, verstumme hier - ich sag mal, man merkt nicht, dass das Franzosen sind und das ist ein Kompliment aus meinem Munde. 1A State-Of-The-Art Anklage-Schwermetall mit Attitüde, denn wie Godzilla das Produkt der technischen Hybris ist, sind Gojira große Naturschützer und Mahner der Menschheit, dass es so nicht weiter gehen kann mit Umwelt und Ressourchen und so weiter... gute Band.
Jetzt beginnt die Mathematik-Phase des Nova Rock.
Ich wusste ja nie so recht, was "Math Rock" sein soll. Bebrillte Theoriefuzzis, denen ihre Jazzstandards zu langweilig geworden sind, treffen auf bebrillte Theoriefuzzis, denen ihre Indierockstandards zu langweilig geworden sind und spielen Musik von Notenblättern, die wie Ameisenhaufen-Landkarten aussehen, für andere bebrillte Theoriefuzzis, und damit es sich wer anhören kann, machen sie Remixes davon und präsentieren all das auf Fluxusvernissagen in gentrifizierten Lofts in ehemaligen Arbeiterbezirken?
Weit gefehlt: Diese Jungs spielen in Wirlichkeit in diesen harten Bands und verkleiden sich als Heimdall, als Surklempner oder als Schiffsschaukelanschupfer, ihre Rhythmusgruppen spielen Songs, bei denen 13 16 1/2 Taktige Teile im 75/63-stel Takt auf 7 4 3/9 taktige Teile im 129/41-stel Takt folgen, dazu werden die Gitarren auf Fis9add7dimSus9 hoch und die Bässe auf Adim9add4min runtergestimmt, das ganze im 190-BPM-Bereich... oder so. (Ihr merkt, ich habe noch immer keine Ahnung).
Da gibts jetzt welche...
Trivium
Wie gesagt, für mich unverständliche Musik, deren notorische Komplexheit und Tightness mühelos präsentiert wird, vor einem in diesen Fragen extrem anspruchsvollen Publikum und so selbstverständlich, wie wenn man daneben noch das Kind versorgen, Gleichungen lösen, mit dem Nachbarn reden und einen Ölwechsel durchführen könnte. In spieltechnischen Fragen und solchen der Herausforderung an die Technik der Musiker wird Metal heutzutage wohl nur mehr von der klassischen Musik annähernd erreicht. Die gemütlichen Potheads von den Jazzakademien würden schon an einem Trivium-Stück moantelang kiefeln. Des Heldenfotografen Patrick liebste Band des Festivals, bisher.
Turbonegro
Alles anders. Das kann sogar ich spielen. Tschaka Tschaka Humpf, Humpf, oh yeah, uuuhhhh, fuck the World, ooooohooohoho, i got Erection, hey yeah! Oder, wie ich auf einem halblustigen T-Shirt lesen konnte: "Wer nicht mit uns fickt, fickt gegen uns". Stumpfester Altherrenhumor der Norweger und ihres Fanclubs "Turbojugend", der zu nicht unbeträchtlichem Teil aus Midlife Crisis Männern besteht, die - statt sich einen japanischen Billigsportwagen zu kaufen, wie es sich gehört, wenn das Gefühl, dass das Ende unweit ist, nicht mehr auszuhalten ist - sich gerne in bestickte Jeansjacken mit dem Slogan "Turbojugend, Oberpullendorf", "Turbojugend, Esslingen" oder auch "Turbojugend, pudan?" (offenbar kann man sich das selber aussuchen?) anziehen und den Bierbauchkönig anbeten. Aber so eine Zeitreise von den Tagen der Algebra in Zeiten, wo die Menschen noch mit Klötzen addieren übten, hat auch was Lustiges.
Von der Ferne rollt ein ausgestorbenes Tier heran, das neben Mathematik auch Geschichte studiert hat - und ich meine nicht OOMPH!, von denen ich nicht wissen möchte, was sie studiert haben.
Mastodon
Das ist die kompetenteste Band des Festivals, vielleicht nicht mathematisch (d.h. in der Komplexität der Spielweise), sicher aber historisch. Alles, was seit der Erfindung der Schrift und des Marshal Turmes für harte Musik bedeutsam war, haben diese Jungs nebenbei eingeschnupft: Sabbath, Purple, Black Flag, Hardcore, Straight Edge, Neurosis, Voivod, Danzig, Kyuss, Thrash / Speed / Doom Metal und über allem die lässige Eleganz der großen Melvins. Mastodons Musik ist komplex und kompetent, aber nicht so mühelos, wie bei den "echten" Speedfreaks und Daheimübern, aber jeder Ton geerdet und glaubwürdig. Angestrengt schleicht das schwer beladene Tier durch die Wüste, geduckt, auf der Suche nach Fleisch. Spätestens jetzt wird sich ihr wisst schon wer in seinen fadenscheinigen Hintern beißen, dass er zum ersten mal seit 1952...
Die Rockhälfte meines Herzens ist jetzt so glücklich und zufrieden, dass ich jetzt eigentlich nach Hause fahren könnte, aber das geht nicht, das wäre blasphemisch. Denn nach den Kriegern, Priestern und heidnischen Gottheiten kommen jetzt die einzig wahren Götter, neben denen man keine anderen Götter haben darf.
Slayer
Slayer kommen ohne ihren Leadgitarristen Jeff Hanneman, der wegen eines Spinnenbisses an nekrotisierender Fasziitis leiden soll und daher die Tour ausgelassen hat. Statt ihm steht Exodus Gitarrist Gary Holt vor der charakteristischen Marshall Wand. Aus den warmen Therapeuten-Augen von Tom Araya leuchtet Gelassenheit und Zuversicht: Diese Band hat alles erfunden, was heute gilt, zusammen mit Metallica haben sie zu einem Zeitpunkt, wo die meisten im Publikum noch ungeboren waren, mit dem bisherigen Metal aufgeräumt und einen Wertewandel positioniert, der sonst nur mit dem von Punk vergleichbar ist. Alles was vorher war, war nachher anders.
Patrick Wally
Die Theatralik und Puppenhaftigkeit des Seventies Metal, dessen bis an die Selbstparodie gehende Gestelztheit mit seinen Gummipuppen und Frisuren haben die bekennenden Punk- aber auch Iron Maiden Fans mit einem Federstrich durch das tighte, harte Brett ersetzt, an dem sich bis heute alle abarbeiten müssen, vor allem an dem bis heute geltenden Speed-Standard Reign in Blood. Ich kenne keine Band, die derart angebetet wird - was der bekennende Christ Araya nicht so gerne hört (aber welche Musikgruppe hat schon einen eigenen Tag). So spielen die vier ein gelassenes superschnelles gut klingendes Set, eine Art "Best of". Soweit ich das als Slayer-Agnostiker beurteilen kann, machen sie auch einen guten Job, für mich klingt es jedenfalls extrem überzeugend, das sollte jeder zumindest einmal im Leben gesehen haben, der für Rockmusik dieser Art auch nur einen Funken übrig hat.
Ich verweigere das Melodic-Kuschelrock Musicalset von Nightwish (oder waren es Evanescence?) und bin auch nicht gewillt, mir eine Band anzuschauen, die in Mundlleiberln gehüllt als Spielzeugmanderln in Handywerbungen Countryschändung betreiben.
Also abwarten, wie die Könige des Metal, die neben AC/DC erfolgreichste Rockband der Erde, die vorbereiteten Special Effects auf ihrer Marianne und Michael Bühne nutzen werden.
Metallica
Auf den beiden Bühnenleinwänden erscheint, begleitet von Morricone-Musik, das panische Gesicht von Eli Wallach aus "The Good, The Bad and the Ugly", als nach einer gefühlten Stunde Umbaupause ebendiese auftreten, Hetfield, Hammett und Ulrich, sowie der Bassist Robert Trujillo. Es ist jetzt echt saukalt, erstmals steigt mir einer auf die Füße, ohne sich zu entschuldigen. Der Sound ist druckvoller als bei allen Bands davor, die Band weiß genau, wie sie den Untergangsmetal des Black Album über die frierende Menge wälzt. "Are you alive?", brüllt Hetfield und die Menge ist sich wohl nicht mehr so sicher. Die Riesenmaschine Metallica, von der spätestens nach ihrer Psychodoku "Some Kind Of Monster" jeder weiß, dass sie sich nicht immer grün sind und fast unter der Last des Metallica-Gewichts zusammengebrochen wären, läuft wie geölt und es bleibt sonst keine Frage an die Massen offen.
Ich frage mich, ob auch Metalfans kein Jahr vergehen lassen wollen, ohne mindestens einmal Metallica gesehen zu haben. Ups, ich muss an den nichtswürdigen Falotten, äh, lieben Kollegen denken, der zum ersten Mal seit 1952 ... Jaja, er würde das wissen und auch sonst noch viel mehr, das ich euch hier nicht erzählen konnte.