Erstellt am: 9. 6. 2012 - 18:15 Uhr
Regen, Oldies und die richtigen Bretter
Das kommt davon, wenn man witzig Gemeintes über witzig gemeinte Bands absondert, ohne sie gesehen zu haben: Steel Panther habe ich gestern gleich zweimal falsch etikettiert - "Sweet Panther" und "Street Panther". Vielleicht denken die Jungs ja mal über eine Bandnamen-Verjüngungs-Operation nach - naja, war ein Versuch, jedenfalls mein Fehler, sorry.
Patrick Wally
Einiges von gestern (Manson Absage, Todesfall) ist hier auf dem immer staubiger werdenden Gelände noch zu verdauen. Die meisten haben letzteres noch nicht mitbekommen und der Tod ist auch bei so Todesmetapher- affinen Leuten ein fernzuhaltender Meister - wenn es einen nicht betrifft, denkt man nur eine Sekunde nach, wie über den Hunger in der Welt, und dann schnell an was anderes. Vielleicht erhebt man auch das Glas auf den armen Unbekannten, dessen Schicksal alle immer erleiden könnte. Dann wird zur Tagesordnung übergegangen.
Heute sieht man ältere Menschen mit älteren T-Shirts im Publikum. Ich weiß nicht, wieviele Hosen-Fans sich Samstagspässe für das 30-jährige Bühnenjubiläum dieser vielleicht weltgrößten Konsensband des Punk gekauft haben - jedenfalls hinterlässt so ein Jubiläum auch drei verschiedene Generationen von Fans und bei den Toten Hosen werden heute diese drei Generationen vereint zusehen, wie Campino seinen Kletterstunt gibt.
We Butter the Bread with Butter
FM4 - Your Festivalradio
Alle Geschichten vom Nova Rock
fm4.orf.at/novarock2012
Ein Teenage-, Rammstein-, Electrocore-, Metal-Hybrid mit deutschen Texten und Liedern, die "Der kleiner Vampir" heißen... überhaupt war diese Band bekannt geworden, weil sie Metal/Doublebass-Versionen von "Alle meine Entchen" oder "Backe, Backe Kuchen" auf den Markt geworfen haten. Der Menge gefällt's und sie hüpft auf Kommando des Sängers bis in die letzte Reihe. Der vom Kollegen Holzmann (ihr wisst schon: dem nichtswürdigen Falotten Holzmann, der aus fadenscheinigen Gründen...) zitierte Satz von Tom Arraya, "You're never too old for that", darf auch manchmal bezweifelt werden.
Livingston
"Mr Livingston I suppose", hätte Herr Stanley heute nicht gesagt: Dass diese Band hier spielt, lässt sich wie ein Irrtum an, nach dem Märchendeathcore der Vorgänger. Gut frisierter Lover's Rock, ein Falsett wie A-ha, untermalt von Keyboardteppichen und einer krachigen, feedback- kompetenten Sologitarre, die Bauhaus gut gestanden hätte: Diese Band könnte sowohl ein Doppel-Feature mit Dredg, als auch eine Japan-Tour mit Coldplay bestreiten. Zu sanft und episch fürs Nova Rock, aber musikalisch eine neue Variante.
Puddle of Mudd
Vielleicht ist es ja gut, dass nicht wenige der heutigen Bands eigentlich auf ein Festival des Jahres 2002 gehört hätten. Nicht wenige der NovizInnen auf dem Nova Rock haben Everlast, Biohazard, Limp Bizkit oder Cypress Hill noch nie live sehen können. Und auch die einen kurzen Moment riesigen Puddle Of Mudd nutzen ihren eigentlich schlechten Nachmittagsslot, um ein neues Publikum von Spätgeborenen daran zu erinnern, wie der Grunge klingt, der schon zu den Hochzeiten der Band zehn Jahre vorüber war. Man muss ihnen lassen: Die Teenage Anger Exploitation Hymne "She fucking hates me" hat vielleicht jeder Jungsgeneration wieder Neues zu bieten, sei es auch nur das Aufzeigen der Möglichkeit, dass man ein jungverliebtes Verzweiflungspoem auch in einer Swing Version darbieten kann.
Eisbrecher
Sagten mir nix, sagen selbst: Eins - zwei. Auf und nieder. Drei - vier. Immer wieder. Fünf - sechs. Sieben - acht. Wir sind Deutschland! Gut gemacht! Eins - zwei. Auf und nieder. Drei - vier. Immer wieder Stechschritt, Hofbräuhaus und die Sendung mit der Maus. This is Deutsch!
Wer mir hier Zynismus oder Ironie vorgeworfen hat, der soll damit bestraft werden, dass Eisbrecher ihm zwei Stunden "Mei Vater war a Holzhacker" vorjodeln, wie soeben (und das nicht mal schlecht, sie sollten es zum Hauptberuf machen). Aber ich mag ja auch deren Soundvorbilder Sisters of Mercy nicht so gerne (im Gegensatz zum nichtsnutzigen Kollegen Holzmann, der ja aus fadenscheinigen Gründen...), die dereinst auf die Frage nach ihrem Erfolg geantwortet haben sollen: "It's gotta be stupid, baby!" - gesagt getan, schon gibt es eine Stumpfversion von "Rock me Amadeus".
Deshalb (und wegen Regen und Anreiseproblemen) hab ich also die lauteste und wildeste aller Bands bisher verpasst. Hatebreed! Patrick, unserem Superhero unter allen Fotografen, hat es gefallen und dem Publikum auch, wie man an diesen erstklassigen Fotos sieht.
Die Durchmischung zwischen den beiden Bühnen dürfte ab jetzt ein Ende haben. Hier Everlast, Cypress Hill, Kasabian; dort Opeth, Dimmu Borgir, Machine Head - Bühne auswählen heißt nun Flagge zeigen, ob man ein echter Metalhead ist, oder nur auf Urlaub ist und "so halt" hier.
Weil ein lieber Kollege (ja, ihr merkt schon, es handelt sich um den nichtswürdigen Falotten Holzmann, der aus fadenscheinigen Gründen zum ersten Mal seit 1952 seinen Blog abgesagt hat und nicht hier sein wird) eben nicht da ist, wird dieser Blog diese Flagge kleinlaut zeigen und eher die Blue Stage bevölkern, mit Abstrichen, die dem Übermut des Kollegen Wally geschuldet ist, der gerne in die heiße und fettige Pommesgabelhölle der roten Bühne abtaucht und mit bloßen Händen daraus die klarsten und schärfsten Metalfan-Fotos seit Metalgedenken herausfischt.
Everlast
Der Mann lässt es eher gemütlich angehen. Auch seine großen Zeiten liegen schon recht lange zurück, aber er kann auf eine Stange kleiner Hits zurückgreifen, die das Chill-Motto der großen Bühne untermauern. Dieses Dazwischen von Rock, Country und HipHop stößt auf ein wenig Unverständnis, der mittlerweile weißbärtige Everlast steht ein bisschen betropetzt da. Nach einem Rocksolo folgt der Superhit "Jump Around" von Everlasts alter Band House of Pain in einer superkurzen und schmerzlosen Version, aus, Abgang. Ein cooler und gut klingender Nachmittagsslot.
Kasabian
Jetzt kommt ein bisschen englische Stimmung auf. Nicht nur die fruchtige Jungsband mit ihrem dicken Primal Scream Schlagzeugsound bewirkt das - es ist jetzt auch so kalt und regnerisch, dass der Untergrund langsam erodiert und sich zu einer klammen Rutschpartie entwickelt. Das Nova Rock hat endlich den Gatsch, den alle öffentlich fürchten und nach dem sie sich heimlich sehnen, der Festivaltradition folgend, die der Anti Vietnam Aktivist Abbie Hofmann in Woodstock mit seinem "Crowd Rain Chant" begründet hat. Die ersten fangen an sich auszuziehen und sich gegenseitig mit Schlamm zu beschmieren, das Tanzen auf Schlitteruntergrund ist auch lustiger, als wenn alles eitel Sonnenschein wäre. Und die unermüdliche Festivalband Kasabian liefert den Soundtrack dazu, weit entfernt von Punk oder Metal, aber mit einer englischen Schwanzraushänglass-Attitude, die man bei den Metalbands (die ja für sowas bekannt sein sollen) erst suchen muss.
Cypress Hill
Liiiigalais da höööörb! Mein heimliches Festivalhighlight. Ich wollte sie schon sehen, seit sie von ihrem Berg in Los Angeles herabgestiegen sind, um dem unwissenden Volk die Segnungen einer Kulturpflanze beizubringen, die, wie Walter Moers einmal bemerkt hat "weniger eine Droge ist, als ein durch eine internationale Diffamierungskampagne der Arzneimittelindustrie in Verruf gebrachtes homöopathisches Naturheilmittel", was ziemlich genau der Meinung von Sen Dog und B-Real entsprechen dürfte.
Ein nettes Timing Detail: Nachdem B-Real einen kinderarmlangen Spliff in die Bühnenkamera hält und damit Bejahungsgeröle erwirkt, zündet er sich diesen an (nicht wenige im Publikum dürften auf diese Geste gewartet haben, es riecht ein bisschen faulig hinter mir) - und startet mit seiner unvergessenen Nasensirene ein Medley von Cypress Hills elegantesten Legalize Hymnen, das so lange dauert, wie der Spliff brennt. Sie führen uns noch in ihre jüngste Aktivität ein, ihre Zusammenarbeit mit dem Dubstepper Rusko, was den Chill kurzfristig ein wenig durcheinander bringt. Wie auf Befehl hatte jemand die gute Idee, seine / ihre mitgebrachte Sammlung an grünen Kondomen aufzublasen - eine kleine Cypress Hill gewidmete Luftballongruppe, die sich wegen der warmen Luft das halbe Konzert schwebend über dem Bereich direkt vor der Bühne hält. Hübsch! Das Wetter hat sich auch gebessert.
Billy Talent halte ich ja für frei von demselben, man verzeihe mir, ich musste während des Konzerts meinem Lieblingsfußballer Mesut Özil dabei zusehen, wie Deutschland wieder mit Glück und Rackerei gewonnen hat, wie zu seligen Rudi Völler Zeiten. Dabei hab ich nachgesehen, was ich vor acht Jahren nach einem überaus kurzweiligen Campino Interview zu den Toten Hosen geschrieben habe.
Toten Hosen
"Ich hatte selbst ja seit langem meine Probleme mit den Hosen, aber ich glaube, dass das Probleme waren, die sie auch hatten: Die ständige grölige Massenhochzeit, die Karnevalskompatibilität ihrer Sauflieder, der Normalo Heavy Rock, der ihren Sound immer weniger unverwechselbar gemacht hatte... Dafür hatten sie auch Vorteile, die ich durchaus anerkannt habe: Den guten Zugang zu den deutschen Massen, der ihnen ermöglicht hat, gesellschaftspolitisch hartnäckig zu bleiben und auf relativ großen Plattformen ständig mit Messages präsent zu bleiben. Messages gegen Intoleranz, Fremdenhass und Eurozentrizität. Und vor allem ihre Hartnäckigkeit in einer der Kernfragen des Punk: D.I.Y.
Du kannst es selbst, deine Position ist wichtig, du bist wichtig, du bist jemand, obwohl dir alle das Gegenteil weismachen wollen, du hast ein Recht auf Spaß und ein gutes Leben, auch [und gerade] ohne andere fertig zu machen, auszubeuten oder zu beneiden. Und fast jeder Hosen Song ist ein Manifest für die Stärke der Gemeinschaft, sei es die kleine Prankster Clique oder das ganze Volk."
Das stimmt immer noch. Gerade bei ihrem 30-jährigen Thronjubiläum als Männer aus dem Volke. Sie gehören zur guten Rockhälfte, sie sind beliebt bei Rebellen und Polizisten, Jungs und Mädels, Punkveteranen und Deutschrockern, Säufern und Abstinenzlern, Lehrern und Schülern, sie sind unkaputtbar.
Dabei waren heute auch überraschende Sachen dabei, wie die Coverversion von Hannes Waders "Heute hier, morgen dort" und einer Version von dem "Schrei nach Liebe", "endlich ein gutes Lied" von der "anderen Band" (Campino, von deren Deutschcover CD "Die Geister, die wir riefen") - auch ein starkes Statement auf einem Festival, bei dem Schandmaul und Dimmu Borgir spielen und in dessen Hauptgenre die Gesinnungsgrenzen oft genug verschwimmen. Campino war sichtlich ergriffen von den Tausenden, die den aktuellen Hosen Hit "An Tagen wie diesen" auswendig konnten und belohnte die Fans, wenn auch nicht mit seinem Kletterstunt, so doch mit den "10 kleinen Jägermeistern", "Bommerlunder" und "Halbstark" - und dann schreibt Campino noch Backstage Autogramme für die wartenden Rotkreuzhelfer. So viel Volksnähe ist echt irgendwie zum Hinknien.
Und dazu hat noch ihre Fortuna den Aufstieg geschafft. Die deutsche Mannschaft musste sich verändern, die Hosen brauchen das nicht. Sie sind der Vorbildfreundeskreis und das können sie noch dreißig Jahre bleiben.