Erstellt am: 8. 6. 2012 - 22:47 Uhr
Feuer, Staub, Wasser, Punkrock
Altersmilde legt sich über die sanfte Steppenlandschaft, wo der Bär des Hardrock heute ebendies vor hat (steppen nämlich, aber ich bin in einem fremden Kalauerland und kann damit nicht aufhören, jetzt schon zur Warnung). Ruhig und routiniert läuft die Organisation dieses in Österreich unvergleichlichen Metalmolochs an, kein Stress, keine Verzögerungen, ein schwacher kleiner Stau von Norden, eine undramatische Wetterwarnung für das Wochende und ein Line Up wie ein alter Freund.
Patrick Wally
Manson war heuer auch noch nicht da, es wird immer noch Leute geben, die sein großes Theater noch nicht beehrt haben. Die Hosen feiern den Dreißiger und man denkt sich, oh erst 30, für das sehen die ja noch gut aus. Metallica reihen sich ein in die vor ein paar Jahren geborene Marketing-Idee von Bands, denen nichts Neues einfällt, außer das erfolgreichste Album der Bandgeschichte am Stück neu aufzuführen, so also jetzt ihr Black Album, in einem Atemzug mit "Berlin" und "Paris 1919". Slayer spielen mit Aushilfsgitarristen, da Jeff Hannemann letzes Jahr von einer Spinne gebissen wurde und es nicht sicher ist, ob er je wieder auf altem Niveau seine Axt schwingen können wird. "Axt schwingen...", ihr seht ich habe mich vorbereitet, wie man in Metal Kreisen so schreibt, unter anderem bei einem Jugendgetränk mit dem Kollegen und nichtswürdigen Falotten Holzmann, der aus fadenscheinigen Gründen zum ersten Mal seit 1952 seinen Blog abgesagt hat und nicht hier sein wird. "Immer voll auf die Zwölf..." sei auch so ein Metal Hammer / Rock Hard Textbaustein, der in keiner Kritik fehlen darf, ich werde versuchen dem gerecht zu werden.
Patrick Wally
Was mir auf Festivals immer unsympathisch war, stellt sich heute, altersmilde wie ich selbst und das Nova Rock geworden sind, recht nett dar: Dicke Landfeuerwehr Securities, die hinter ihren grimmigen Muskelfassaden leutselige Burgenländer geblieben sind, leicht torkelnde junge Männer, die ihren Übergangsritus begießend hinter sich bringen müssen, freundliche Halbohnmächtige, die von ihren nett und betroffen dreinschauenden Freundinnen über das Gelände geschoben werden ("aber heirate ihn nicht", will man ihnen zu rufen, die - obwohl gerade 16 - bereits wie peinlich berührte Ehefrauen dreinschauen, sich für ihre besoffenen Gatten entschuldigend).
Dazu allgegenwärtig: Nette T-Shirts ("I Heart Nerds", "Niedlich war gestern", allerlei Varianten des AC/ DC Logos: "ABCD", "ABBA" und natürlich das allgegenwärtige "ACAB".), alte T-Shirts (Chemical People, OFF!, Circle Jerks), Staub und Schweiß, Deo und Bratfett, Knutschen und Schultersitzen, Aspro und Skorbut, Edding und Knutschflecken auf der Haut, Luftgitarre und "Pommesgabel", deren Mythos wir hier noch erforschen werden. Österreichische, spätpubertäre Frühsommerrealität, nett.
Gun
Ich dachte immer, die seien Deutsche, die es mit einer Novelty Idee auf die Festivals dieser Welt geschafft haben - Irrtum: Gun sind Iren, die es mit einer Novelty Idee auf die Festivals dieser Welt geschafft haben - natürlich mit ihrer Rockgitarrenversion eines der besseren "Hits der 80er und 90er", dem Funkklassiker "Word Up"... auf das haben hier auch alle gewartet, dann gingen Gun dahin, nicht ohne uns darauf hingewiesen zu haben, dass ihr neues Album morgen erscheint. Vielleicht eine von zwei fußballbegeisterten Bands, die ihre Nationalmannschaft unterstützen, die Amerikaner interessieren sich für die Soccer EM so sehr, wie ich mich für das Cricket Endspiel Indien-Pakistan.
Patrick Wally
Sweet Panther
Kaum ist man eingetaucht in die lustige Parallelwelt des Metal, in der sich vieles Lächerliche ernst und vieles Ernste lächerlich gibt und in der vor allem alles erlaubt zu sein scheint, kaum hat man sich darin ausgebreitet, hat man schon einen Höhepunkt verpasst: Street Panther - rund um den L.A. Guns Gitarristen Michael Starr(!) - müssen einfach aus L.A. kommen, so will uns ihr Outfit sagen und ihre Musik muss an die Zeit gemahnen, wo Phalli die Mikroständer als Phallussymbole abgelöst haben und Bands auf Kosten der blühenden Musikindustrie den Arschlochrockstarmythos bis zum Exzess darstellen konnten. Daran erinnert dieser Slease Witz von einer Hairmetal Band, ihre Spandexhosen mit Snakeskin Aufdruck, ihre künstlich abgewetzten Converse, ihre kunstvoll zerschlissenen Netz T-Shirts und ihre durch 200 plastischen Operationen auf 19-Jährige Schönheitskönigin umgeschnitzten, 48-jährigen Alkfressen. Recht verloren und groupielos sieht man sie nach ihrem Konzert Backstage herumlungern, ihre aufgespritzten Gummilippen umfassen krampfhaft die Salzburger Gratisgetränkedosen und ihre frisch verheilten künstlichen Nasenscheidewände sehnen sich wohl nach einer ihren Vorbildern gemäßeren Kurzweil.
Patrick Wally
Die Musik? Leider verpasst, aber ihr netter Tourbegleiter sagt mir, dass ihre letzte CD "Balls Out" heißt, auf dem Cover ist ein, weiblicher Unterleib zu sehen, aus den Seiten des Slips baumeln "Rin-no-tama" Kugeln heraus - und so, nach altem schalen Macho Humor mit effekthascherischer Riffmusik und dem ewig hohen Chant, klingt auch ihre Musik, muss sie einfach, wenn sie aus diesem L.A. Wurmloch rausklingen will.
Gaslight Anthem
Das Gegenteil: Echte Gefühle, untermalt mit echtem, ehrlichem, handgespieltem Gefühlsrock, echte, ehrliche Vorbilder aus der guten Hälfte der Rockhistory (Springsteen, The Who, Silos), echte, nette Jungs aus New Jersey, der Stadt vom Boss, gescheite, nicht mehr so junge Männer, die in den USA Milliarden Platten verkaufen, und die bei uns kaum wer kennt, ein Schicksal wie Dave Matthews, Dashboard Confessional oder My Morning Jacket. Insofern eh ein Glück, dass sie den Nachmittagsslot auf einem österreichischen Festival überhaupt bespielen und nicht wenige junge Menschen singen bei ihren hymnenhaften Songs mit und können jedes Wort auswendig, bis sie mich mit ihrer ehrlichen und echten Version des Who Klassikers "Won't get fooled again" daran erinnern, dass Pete Townsend Michael Moore dereinst verboten hatte, die Nummer für den Abspann von "Fahrenheit 911" zu verwenden.
The Baseballs
Susi O. erzählt mir - der ich seit 2006 bei keinem Festival mehr gearbeitet habe, davor aber bei gefühlten 200 - dass die FM4 Redaktion in der Heimfahrt den Runnig Gag etabliert hat, zu Fleiß einen dieser unsäglichen, durchformatierten "Größte Hits und stärkste Oldies aller Zeiten"-Sender einzustellen und sich die dort sieben Mal täglich abgenudelten Klassiker zu geben, als Ausgleich zu all der bedeutungsvollen Rockmusik, die man sich zuvor zwölf Stunden um die Ohren geblasen hat. Das können wir uns heute sparen, denn eine deutsche Spaßband wirft uns diese Abgenudelten noch abgenudelter, in einer mäßig verzerrten Rockabilly Version, mitten am Festival ungefragt in den Staub vor die Füße. Elvis, Ray Charles, Meredith Brooks, ja auch du, verzeiht dem gütigen Gott des Punkrock und der Postironie diese Band, seine Wege sind unergründlich und Offspring (ausgerechnet) kommen danach, um uns zu erlösen.
Wie wenn er böse wäre, schickt der gute Gott des Punkrock jetzt ein Wetter. Es wird dunkler, kühler und eine Sturmwarnung aus dem Westen lässt uns bangen.
Offspring
Ein gerechtes Brett. Die Punkrock Abräumer der Post Nirvana Ära können das noch immer gut, weshalb sie in der Goldgräberzeit der Musikindustrie mit Silberlingen überschüttet worden sind. Mächtige Kindermelodien, Teenage Angst, der hymnische Chant, Takedown an der richtigen Stelle und stets den Refrain im Doublebeat gehalten, damit sich auch die immer nachwachsenden, nicht auszusterbenden Slamdancer freuen dürfen. Altersmilde kurz ausgeblendet, muss ich sinnieren, wie langweilig doch diese kurze Rockperiode der Mitneunziger war, im Vergleich zu davor und danach, dass man sich davon derart beeindrucken ließ.
Aber es funktioniert, die Menschen wirken so, als ob die Spannung vor den echten Stars die Hitzemüdigkeit des Nachmittags verblasen hätte.
Das Wetter kommt näher.
Refused
Ein interessantes Interview mmit Dennis Lyxzén und vielen anderen ProtagonistInnen der Periode findet sich in dem Buch "Sober Living for the Revolution" des Tiroler poststrukturalistischen Philosophen Gabriel Kuhn
Hier kommt der Stylekönig bis jetzt: Dass Refused hier spielen würden, ist die eigentliche Fansensation des diesjährigen Nova Rock. Schon in der oben genannten Nineties Rockperiode ging die Kunde vom verwunschenen Dörflein Umea in Schweden, einer kalten, dunklen Kleinstadt von der Größe Klagenfurts, aus der mehr Straight Edge Hardcore Bands kamen als aus ganz Kalifornien. Gallionsfigur dieser einzigartigen, politisierten Szene war der politische Aktivist und Mod Dennis Lyxzén, der mit Refused seine Platten von 36-seitigen revolutionären Manifesten begleiten ließ, in dem junge Hardcore Fans sich über Anarchismus, Veganismus, und Selbstorganisation aufklären lassen konnten. Wie fast alle linksradikalen Bands hatten auch Refused eine kurze, flackernde Periode, Lyxzén machte nachd eren Auflösung in TINC weiter.
Seit Februar des Jahres spielen sie wieder, gewohnt straight, gewohnt stylisch und gierig, eine neue Generation von Europäern für die Ideen des Post Hardcore zu begeistern. Das klappt eine Zeit ganz gut und speedig, neue Freunde, die nur TINC kannten, swingen mit zum Agit Pop - dann eine Ansage: Es muss evakuiert werden.
Denn jetzt kommt das Wetter.
Patrick Wally
Windgeschwindigkeit bis zu 100 km/h werden erwartet und eine Evakuierung des Bühnenbereichs tut not. Und wieder beweist sich ein Klischee: Die bis unter die Kieferkante bemuskelten Metalhead- Bösewichter mit "ACAB" Tätowierungen und Slipknot T-Shirt sind die treuesten, hilfsbereitesten Bürger. Während es bei Chillwave Konzerten schon mal zu Geprügel kommen kann, wenn sich die Leute irrtümlich auf den Zehen stehen, herrscht bei den härtesten Gigs nicht selten rücksichtsvollste Achtsamkeit und Großherzigkeit (vgl. auch den Kollegen und nichtswürdigen Falotten Holzmann, der aus fadenscheinigen Gründen zum ersten Mal seit 1952 seinen Blog abgesagt hat und nicht hier sein wird - auch er: Headbanger und Muttermördermetal-Hörer und sonst von Kopf bis Fuß ein Sir, der "Earl of Suave", wie wir ihn nennen)
Patrick Wally
So zieht die Metalmeute, den Anweisungen der Security folgend, artig zu ihren Zelten, um Plasiksackerln anzuziehen und die Habseligkeiten festzuzurren. Kein Wickel, kein Protestgegröle (außer ein piepsig- vereinzeltes "ACAB"), ein geordneter Rückzug, der eine Tonne Staub aufwirbelt.
Alle warten auf nun das große Wasser.
Manson abgesagt
Doch das kommt nicht, Nachrichten vom Wetterweltuntergang sind übertrieben, nach ein paar erholsamen Tropfen ist der erste Spuk vorbei, doch auf der "Red Stage" geht noch so starker Wind, dass die beiden Headliner Konzerte von "Within Temtation" und Marilyn Manson abgesagt werden mussten.
Dafür sind Backstage alle geschockt über den Todesfall.
Klar kann man niemandem hier etwas vorwerfen, der junge Mann hatte einen Herzfehler, der der Grund für seinen tödlichen Zusammenbruch gewesen zu sein scheint. Aber an Feiern und launige Bonmots abschießen denkt hier niemand mehr. Langsam wird sich die Nachricht - via FM4-Website - auch auf dem Festivalgelände verbreiten, wie das Publikum reagiert und ob da noch jemand in Feierlaune ist, werden wir sehen. Verzeiht bitte, dass ich keine Lust verspürte (und auch - wegen Pressekonferenz und Nachrichtenlage - keine Zeit hatte), mir "Rise Against" und "Linkin Park" anzusehen. Morgen sehen wir weiter.