Erstellt am: 8. 6. 2012 - 17:40 Uhr
EM-Journal '12-19.
Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.
Die Profile der sechzehn teilnehmenden Teams:
Gruppe A
Polen
Griechenland
Russland
Tschechien
Gruppe B
Niederlande
Dänemark
Deutschland
Portugal
Gruppe C
Spanien
Italien
Kroatien
Irland
Gruppe D
England
Frankreich
Schweden
Ukraine
Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journals '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.
FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen.
Die Ausgangslage vor dem Spiel...
... ist eindeutig: das Heimteam muss gleich ordentlich loslegen um in die Euphorie-Spur zu kommen. Gegen Griechenland, den Underdog der Gruppe A, kann sowas schwierig werden. Fernando Santos' Mannschaft steht ziemlich gut in der Abwehr und kontert gern. Und so viel echte internationale Kompetition hat Team Polen in den letzten Jahren nicht gehabt, um dieses Problem zu knacken, als wär man Spanien.
Die womöglichen Formationen sagen: 4-2-3-1 gegen 4-3-3, vielleicht sogar 4-4-2.
Polen (weiß-rot):
1 Szczesny; 20 Piszczek, 13 Wasilewski, 15 Perquis, 2 Boenisch; 7 Polanski, 11 Murawski; Kapitän 16 Kuba Blaszczykowski, 10 Obraniak, 8 Rybus; 9 Lewandowski.
Wobei ich nicht sicher bin, ob Obraniak wirklich über die Mitte kommt, das ist an sich auch ein Linker.
Der alte Smuda lässt also beide Franzosen, beide Deutschen und alle drei Dortmunder auflaufen. Dass Boenisch mit seiner geringen Spielpraxis dabei ist, überrascht mich dann doch.
Schiri ist Carballo aus Spanien.
Griechenland (in blau):
Vorbemerkung - einigen wir uns doch, die Papa(sta)dopoulos-Burschen bei ihren Vor- also Künstlernamen zu nennen.
1 Chalkias, 15 Torosidis, 19 Sokratis P., 8 Avraam P,, 20 Holebas; 2 Maniatis, 21 Katsouranis, Kapitän 10 Karagounis; 18 Ninis, 17 Gekas, 7 Samaras.
Und da zeigt sich schon, dass die Griechen gut tricksen. Sowohl Rechtsverteidiger Torosidis als auch der offensive Mittelfeldspieler Ninis waren verletzt gemeldet, sind jetzt aber spielbereit. Außerdem spielt Oldie-Goalie Chalkias und nicht wie lanciert Sifakis.
Fies!
Ob Ninis auf einer Flanke oder im Zentrum hinter Gekas und Samaras spielen wird, werden wir erst bei Spielbeginn sehen können.
Tipp zu den Hymnen, bei der ARD-Übertragung werden die Texte auf Teletext übersetzt. Sehr hübsche Idee.
Die ersten Erkenntnisse der ersten Minuten
18 Ninis spielt tatsächlich auf der rechten Seite, Griechenland also mit einem echten 4-3-3, mit Samaras links und Gekas zentral. 21 Katsouranis ist der Defensivste im Dreier-Mittelfeld. Joese Holebas, ein in Deutschland geborener Grieche mit uruguayanischem Elternteil, hat, ganz Grieche, "Cholevas" auf dem Trikot stehen.
Dass die Polen ihre erste tolle Chance über die rechte Seite einleiten, verwundert wenig.
7 Polanksi spielt im Zentrum halbrechts, leicht hinter 11 Murawski. 8 Rybus spielt links, 10 Obraniak ist so eine Art Freigeist hinter Lewandowski. Tattoomonster Wasilewski spielt halbrecht, der schicke Perquis halblinks in der Abwehrzentrale.
Das heißt also: übervorsichtiges 4-3-3 gegen ein 4-2-3-1, das auch schon mal in ein 4-1-4-1 kippt, wie man bei Musawskis Schusschance in der 4. Minute schon gesehen hat.
Die Polen halten an ihrer Marschroute fest - Offensiv-Power, nicht nur über die Seiten, auch übers Zentrum geht einiges. Und gegen die übervorsichtigen Griechen, die sich derzeit ausschließlich aufs Reagieren verlassen, sieht das natürlich gut aus.
Erstes griechisches Lebenszeichen: ein Gekas-Kopfball in der 12. Minute. Nach einem Freistoß-Cross; es sind die Standards, auf die die Griechen bauen.
Dafür steht die polnische Abwehr recht eng beinander, Vorstöße gab es bislang kaum, über links, Boenisch, gar nicht.
Und natürlich straft mich 20 Piszczek in genau diesem Moment Lügen, sein Cross von rechts erzeugt in der 14. Minute fast ein Tor.
Polen überwindet die griechische Mauer
... und es wird durch einen bösen Fehler der Griechen im Spielaufbau ermöglicht. Da das an der rechten, der starken Seite der Polen passiert, ist klar, dass die den Ball sofort in eine aussichtsreiche Cross-Position treiben - und den verwertet der aus dem Rückraum ideal kommende Robert Lewandowski mit einem wuchtigen Kopfball.
1:0 und das Konzept der Griechen - lange das NullNull halten und dann irgendwann zuschlagen - ist zerstört.
Gut so.
In der 20. Minute bleibt 8 Avraam verletzt liegen. Kyriakos würde bereitstehen.
Bei den Polen macht 10 Obraniak ein wenig zu wenig aus seinen Freiheiten, der Rest der Offensive arbeitet gut, die linke Seite ist der rechten natürlich deutlich unterlegen, da kommt die individuelle Klasse der Akteure zum Tragen.
Danach lässt Polen die Griechen einmal kommen, es wirkt wie um auszutesten, ob das gefährlich sein kann. Die Blauen legen es auch da wieder auf Standards an - ihren Trumph.
Die polnische Idee dahinter: Konter ausspielen; das können sie nämlich auch ganz gut, und jetzt geht sich das spielstandmäßig auch aus.
Der Nachteil dieser frühen und verdienten Führung...
... ist natürlich, dass es dem Heimteam jetzt auch genügt Kontrolle auszuüben und sich auf das dann irgendwann sicher fallende zweite Tor zu verlassen. Aktuell sind die Griechen an Harmlosigkeit nicht zu überbieten und werden als Gefahr nicht wahrgenommen (was sich angesichts ihrer bösen Standards von Ninis oder Katsouranis aber auch schnell ändern kann)..
Das ist die Erklärung für das wenig attraktive Spiel der letzten paar Minuten.
Und die erste gelbe Karte im Turnier kriegt Sokratis für ein Foul an Lewandowski. Und in der 37. kommt dann tatsächlich 5 Kyriakos für 8 Avraam.
Direkt danach vergibt 15 Perquis einen Rebound nach einem Freistoß-Cross.
Gegen Ende der Halbzeit kommt Torosidis rechts besser ins Spiel, gemeinsam mit Ninis macht der die rechte Seite der Griechen zur besseren.
In der 44. Minute sieht 19 Sokratis zum zweiten Mal gelb und muss gehen. Macht alles nicht einfacher für seine deutlich unterlegene Mannschaft.
In der Nachspielzeit reklamieren die Griechen (ungerechtfertigt) Hands im Strafraum, was ihnen dann noch einmal Gelb für Holebas einbringt. Jetzt geht alles gegen sie.
POLEN
Tor: 1 Wojciech Szczęsny (Arsenal/ENG), 22 Przemysław Tytoń (PSV Eindhoven/NED), 12 Grzegorz Sandomierski (Jagiellonia Białystok -> Genk/BEL).
Abwehr: 20 Łukasz Piszczek (Borussia Dortmund/D), 2 Sebastian Boenisch (Werder Bremen/D), 13 Marcin Wasilewski (Anderlecht/ BEL), 15 Damien Perquis (Sochaux/FRA), 14 Jakub Wawrzyniak (Legia Warszawa), 3 Grzegorz Wojtkowiak, 4 Marcin Kamiński (Lech Poznań).
Mittelfeld: 16 Jakub "Kuba" Błaszczykowski (Borussia Dortmund/D), 5 Dariusz Dudka (Auxerre/FRA), 6 Adam Matuszczyk (Fortuna Düsseldorf/D), 7 Eugen Polanski (Mainz/ D), 11 Rafal Murawski (Lech Poznań), 10 Ludovic Obraniak (Girondins Bordeaux/FRA), 8 Maciej Rybus (Terek Grozny/ RUS), 21 Kamil Grosicki (SivasSpor/TUR), 19 Rafał Wolski (Legia Warszawa).
Angriff: 18 Adrian Mierzejewski (Trabzon/ TUR), 23 Paweł Brożek (Celtic Glasgow/ SCO), 9 Robert Lewandowski (Borussia Dortmund/D), 17 Artur Sobiech (Hannover/ D).
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GRIECHENLAND
Tor: 1 Konstantinos 'Kostas' Chalkias (PAOK Saloniki), 12 Alexandros Tzorvas (Palermo/ITA), 13 Michalis Sifakis (Aris Saloniki).
Abwehr: 15 Vasilios 'Vasilis' Torosidis, 8 Avraam Papadopoulos,
20 Jose Holebas (Olympiakos Piräus), 19 Sokratis Papastathopoulos (Werder Bremen/DEU), 5 Kyriakos Papadopoulos (Schalke/DEU), 4 Stelios Malezas (PAOK Saloniki), 3 George/Yiorgos Tzavellas (Monaco/FRA).
Mittelfeld: 6 Grigoris Makos (AEK Athen), 2 Ioannis 'Giannis' Maniatis (Olympiakos Piräus), 10 Georgios Karagounis, 21 Konstantinos 'Kostas' Katsouranis, 18 Sotiris Ninis (Panathinaikos), 16 Giorgos Fotakis (PAOK Saloniki), 22 Konstantinos 'Kostas' Fortounis (Kaiserslautern/DEU), 23 Ioannis Fetfatzidis (Olympiakos Piräus).
Angriff: 14 Dimitrios Salpingidis (PAOK Saloniki), 7 Giorgos Samaras (Celtic/SCO), 11 Konstantinos 'Kostas' Mitroglou (Olympiakos Piräus), 9 Nikolaos 'Nikos' Liberopoulos/Lymperopoulos (AEK Athen), 17 Theofanis Gekas (Samsunspor/TUR).
Zur Halbzeit...
... scheint alles klar. Die Heimmannschaft führt. Der deutlich unterlegene Gegner hat mit Avraam (8) und Sokratis (19) beide Innenverteidiger verloren. Der Schiri ist auch nicht ihr Freund - wie soll sich da noch was ausgehen.
Santos muss sich in der Halbzeit wieder einen fiesen Trick ausdenken, mit dem er uns ablinkt.
Polen muss nur so weitermachen, dann ist das erste Kapitel dieser Euro zufriedenstellend geschrieben. Nicht nur für sie, auch für mich.
Der Knalleffekt in Hälfte 2 kommt sofort:
Die zweite Hälfte beginnt mit einem Wechsel: 14 Salpingidis kommt für 18 Ninis (absurd, im FM4-Halbzeit-Interview hab ich noch gewitzelt, dass Ninis gehen wird müssen, der hat einfach das "O" auf der Stirn...) für die rechte Offensivseite, und es gibt wieder gefährliche Angriffe der Polen über rechts.
Griechenland spielt jetzt ein 4-2-3; Katsouranis (21), eh der hinterste im Mittelfeld, springt in der Innenverteidigung ein, halbrechts, Supertalent 5 Kyriakos spielt halblinks.
Wie man sich dann ein Tor erwurstet, wissen die Griechen wohl selber nicht. Ein Torosidis-Cross von rechts, Gekas, die polnische Abwehr, vor allem Keeper Szczesny verfehlen den Ball, der daraufhin Salpingidis vor die Füße prallt -> Ausgleich.
Das polnische Nationalstadion ist verstört, die Griechen setzen sogar nach. Dass sie ein Tor aus dem Spiel erzielen, damit war echt nicht zu rechnen.
In dieser Phase der leisen Erschütterung (in der 63. Minute tritt man sich fast noch ein Gegentor durch Samaras ein) fällt mir unangenehm auf, dass sich 7 Polanski und 11 Murawski sehr defensiv verhalten, manchmal beim Aufbau rücken beide zwischen die Innenverteidiger, das ist unwürdig. Von 10 Obraniak und 8 Rybus kommt auch zu wenig Nachdruck.
... und noch ein Knalleffekt mit Ausschluss und Elfmeter
So rund um die 60. Minute sehen sich die Polen genau dem Spielstand gegenüber, den sie vermeiden wollten. Unentschieden und ein momentum für den Gegner, der die Partie trotz Unterlegenheit offenhalten kann.
Das ist eine zutiefst unangenehme Situation, bei der man nur verlieren kann. Dementsprechend angestrengt spielt Polen aktuell um den Strafraum herum.
In der 66. Minute erhört der mich Rybus und produziert einen Hallo-Wach-Kopfball, knapp vorbei.
Die Griechen machen sich einen Hauch defensiver: 22 Fortounis kommt für 17 Gekas. Er wird links spielen, Samaras rückt in die Mitte, Salpingidis bleibt rechts.
Und dann der zweite Knalleffekt in der 69. Minute. Nach einem Schupferl aus dem Mittelfeld läuft Salpingidis allein aufs Tor zu, sucht den Kontakt mit 1 Szczesny (Arsenal) und bekommt Elfmeter und die Rote Karte.
Tormann Tyton (22, vom PSV in Holland) kommt ins Tor (für ihn muss Rybus gehen) und hält in der 71. Minute den schwach getretenen Elfer von Kapitän 10 Karagounis.
Polen wird jetzt auf 4-4-1 umstellen, 10 Obraniak geht nach links und gibt die zentrale Offensive auf.
Hektische Schlussphase
Der nächste Schock, das nächste Tor von Salpingidis, entfällt, weil das Schiri-Team ein vorangehendes Offside von Fortounis, dem Samaras schön geschickt hat, pfeift.
Polen kann sich nicht aus dem Druck befreien und das Momentum des gehaltenen Elfers nicht nutzen - sie kreieren nur Halbchancen. Und die Griechen glauben an ihr Glück. Und erzeugen tatsächlich mehr Gefahr.
Sie haben schon gegen einen Gegner in Überzahl wenig Respekt gezeigt, jetzt ist alles offen.
Scheinbar ist Fernando Santos doch etwas (ganz geheimes) Fieses eingefallen in der 2. Hälfte. Und wenn es nur der Hinweis an seine Spieler war, sich von der polnischen Rechts-Offensive nicht bangemachen zu lassen; weil die so überragend eben auch wieder nicht ist. Sie ist schon Mitte der ersten Halbzeit, in der Kontroll-Phase ein wenig versickert, und kann jetzt nicht und nicht reaktiviert werden.
In der 85. Minute trifft Lewandowski das Außennetz - ist das der Beginn einer Schluss-Offensive?
Nein. Noch ein Kuba-Cross und das war's.
Im übrigen wechselt Smuda nicht, er lässt seinen Einser-Anzug wohl durchspielen. Auch weil die Bank nicht viel bereithielte.
Ein erstes, durchaus beleidigt klingendes Fazit
Für Griechenland ist das optimal gelaufen: die Start-Offensive irgendwie überlebt, sogar ein Tor aus dem Spiel germacht und einen unerwarteten Punkt geholt. Gegen den Gastgeber überlebt zu haben, das ist schon was.
Negativpunkte: zwei verlorene Innenverteidiger.
Für Polen ist alles schiefgelaufen. Nach optimalem Start alles aus der Hand gegeben, mit viel Glück (Elfer, Offsidetor) gerade noch einen Punkt gerettet. Tormann Szczesny, Elan und Euphorie verloren, neue Zweifel an den eigenen Fähigkeiten gewonnen. Die linke Seite war deutlich zu schwach, auf Abhilfe im Kader ist nicht zu hoffen, vielleicht können Brozek oder Grosicki etwas bringen. Die Basis für den nötigen Erfolgsstart ist nicht heimgebracht worden.
Beleidigt klingt es, weil ich Polen gern mehr zugetraut hätte, als sie dann zu erfüllen bereit waren. Vielleicht auch, weil die Griechen in der 2. Halbzeit sowas wie einen sympathischen Auftritt anbringen konnten, was mich in meiner klaren (rein fußballerischen) anti-griechischen Weltsicht verstört.