Erstellt am: 6. 6. 2012 - 10:58 Uhr
My Home is my Castle
Ich sammelte meinen ganzen Besitz in nicht mal zwei Stunden zusammen. Ein paar Kleider, einen Computer aus Zeiten, in denen es Smartphones nur in Science-Fiction-Filmen gab, und ungefähr 200 Bücher. Ich stand vor meinen Sachen und fragte mich, ob ich jetzt lachen oder weinen soll.
2006 kam ich mit zwei Koffern am Wiener Westbahnhof an. Sechs Jahre danach passt alles, was ich habe, in die gleichen zwei Koffer rein. Sie warteten in jeder Wohnung, die ich bisher für eine Weile mein "Zuhause" nennen durfte, brav in einer Ecke. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie mir mit ihren grauen Kofferaugen zuzwinkern: "Mein alter Freund", sagten sie in ihrer Koffersprache, "nur wir sind dir treu geblieben".
Ich habe in sechs Jahren nichts zu meinem Besitz addiert. Nichts. Niente. Nicht einmal eine IKEA-Lampe, die meine dunklen Nächte erleuchtet oder gar einen Tennisschläger, mit dem ich am Wochenende meine Backhand üben kann.
Ich weiß nicht, ob es mir leid tun soll, dass ich immer noch so ein armes Schwein bin, oder ob ich mich freuen will, dass ich dem Reiz der Konsumgesellschaft widerstanden habe und nicht Sklave meines eigenen Besitzes geworden bin.
emmamccleary / flickr.com/tomandemma
Zuletzt wohnte ich für ein halbes Jahr in Olis Wohnung. Da hatte ich alles, was man zum Leben braucht – ein Bett, ein Regal, einen Kasten, ein Büro und viele Wanddecken und Bilder mit hinduistischen Motiven, die der Wohnung eine einzigartige Atmosphäre gaben. Oli war mit dem Motorrad von Wien nach Indien gefahren und war so nett, mir seine Wohnung während seiner Reise zu überlassen. Ich fühlte mich in Olis Wohnung wirklich zuhause. Während er mit einem Militärconvoi das Hindukush-Gebirge überquerte, ließ ich mir unter Schivas strengem Blick von einer schönen Architekturstudentin erklären, wie man am besten einen Springbrunnen baut.
Oli kam zurück von seiner Reise und ich musste weiterziehen. Ich musste die Ruhe meines Hindu-Tempels verlassen und mir wieder ein WG-Zimmer suchen. Zum Glück fand ich schnell meine zukünftige Unterkunft. Sie befindet sich im Wiener Nobel-Gemeindebezirk Meidling. Nach Brigittenau, Fünfhaus und Favoriten darf ich jetzt auch dieses Wiener Äquivalent von Beverly Hills bewohnen.
Ich passte sofort wie dafür geschaffen in die neue Umgebung. Kaum waren die zwei Koffer in der Ecke meines neuen Zimmers, explodierte das Haus unter den Klängen orientalischer Musik. Unser Nachbar Murat heiratete seine schöne Hatidje gleich am ersten Tag nach meiner Ankunft. Es kann nicht schöner anfangen, mein Aufenthalt hier, dachte ich mir.
Jetzt liege ich im Bett, schaue auf meine Koffer und weiß, dass sie mich auch beobachten. Und wir fragen uns gegenseitig: "Wie lange noch?"