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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

6. 6. 2012 - 18:54

"Wodka für den Torwart"

Ein Sammelband von 11 ukrainische Kurzgeschichten rund um den Fußball.

Was die Orange Revolution 2004 nicht geschafft hat, soll die Fußball-Europameisterschaft 2012 richten: die Ukraine wieder in der mentalen Landkarte Europas zu verankern.

Das europäische Fußballpublikum soll nicht nur die Stadien in der Ukraine kennen lernen, sondern auch Land und Leute. Neben Tausenden Fans kommen auch Hunderte JournalistInnen ins Land, auf der Suche nach Geschichten. Von der medialen Aufmerksamkeit, die das Fußball-Großereignis mit sich bringt, will auch die Literatur profitieren, die im Westen bis auf wenige Ausnahmen unbekannt ist.

Buchcover von "Wodka für den Torwart". Blaues Cover mit Fußball drauf

edition fototapeta

"Wodka für den Torwart. 11 Fußball-Geschichten aus der Ukraine" ist vom Verein translit übersetzt und herausgegeben worden und in der edition.fotoTAPETA erschienen.

Das deutsche ÜbersetzerInnenkollektiv Verein translit hat es sich zur Aufgabe gemacht, ukrainische Literatur im deutschsprachigen Raum zu verbreiten und mit der EM einen gute Gelegenheit dafür gefunden. Die ÜbersetzerInnen haben elf ukrainische AutorInnen gebeten, Geschichten über und rund um den Fußball zu schreiben. In der Ukraine fällt diese Bitte auf fruchtbaren Boden, hat das Land doch eine lange und glorreiche Fußballtradition. Mit der Trainerlegende Waleri Lobanowski kommt einer der Fixsterne im Fußballtaktikhimmel aus der Ukraine und dessen Stammverein Dynamo Kiew war der erfolgreichste Verein in der Sowjetunion.

Die neuen Fußballrealitäten

Lobanowski ist allerdings 2002 gestorben und die Fußballkultur hat in den letzten Jahrzehnten einen großen Wandel vollzogen. Die schwerreichen Oligarchen dominieren nun den ukrainischen Clubfußball und rüsten Clubs wie Schachtar Donezk mit südamerikanischen Spielern auf.

Geblieben ist die Leidenschaft für den Fußball, die in der Geschichte von Serhij Zhadan besonders gut herauskommt. Sein Protagonist ist 25, arbeitslos, und sieht im Fußball nicht nur seine einzige Leidenschaft, sondern auch einen Ort des Widerstands und seine einzige Hoffnung. Im Stadion fühlt er sich geborgen und sogar gewärmt, wenn er mit dem Kollektiv in die Schlachtgesänge einstimmt. Zwar weiß er genau, dass Fußball seine Probleme nicht lösen wird, aber er gibt ihm noch das Gefühl echter Gegenwehr, obwohl es nur ein Spiel ist.

Verschiedene Textsorten, verschiedene Themen

Die AutorInnen in "Wodka für den Torwart" variieren in ihren Beiträgen mit Textsorten und Zugängen. Neben klassischen Kurzgeschichten schreibt Tanja Maljartschuk einen persönlichen Reiseführer für Kiew, der Stadt, in der sie es nicht mehr ausgehalten hat, Olexandr Hawosch berichtet nüchtern vom Aufstieg und Fall Transkarpatiens, des "ukrainischen Brasiliens" und Oksana Sabuschko, eine der berühmtesten LyrikerInnen der Ukraine, steuert gar eine "Ballade über das Abseits" bei.

"Wodka für den Torwart" versucht einen breiten Überblick über die junge ukrainische Literturszene zu geben und auch wenn Fußball vielleicht nicht das zentrale Thema der AutorInnen ist, ist der Sammelband lesenswert. Einzig Irena Karpas Beitrag erscheint ein wenig fehl am Platz. Ein Ferkel mit dem Namen Futbola ist ihre einzige Fußball-Assoziation, was noch nicht weiter schlimm wäre, aber sie stellt sich mit Stehsätzen wie "Es ist kein Geheimnis, dass Fußball nichts für Mädchen ist", einfach zu deutlich in die Schmollecke.

Verbrecher und Versager

Jurij Wynntschuks Geschichte "Die uns beobachten" sticht in "Wodka für den Torwart" besonder hervor. Darin nähert er sich ausgehend von einem Fußballspiel einem dunklen Kapitel der ukrainischen Geschichte an. Gespickt mit phantastischen Elementen zeichnet er die Ermordung von Priesterseminaristen und Staatsfeinden durch den KGB nach, Verbrechen, die jahrzehntelang ein Tabu waren und deren Aufarbeitung wohl immer noch ansteht.

Doch nicht alle Verbrechen im Buch lassen einen nachdenklich zurück. Maxym Kidruks Geschichte "Der Transfer" etwa ist eine flotte Geschichte mit Slapstick-Elementen, in der zwei Möchtegern-Gangster am Transfer eines Fußball-Stars mitschneiden wollen und damit die höchste Niederlage ihres Lieblingsclubs herbeiführen.

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Tricksereien und Manipulationen ziehen sich durch das ganze Buch, in dem man zwar einiges über den ukrainischen Fußball erfährt, das jedoch mehr die gesellschaftlichen und politischen Probleme des Landes anspricht: Armut, Korruption und Kriminalität. Fußball kann daran wohl nicht großartig was verändern, aber, um noch einmal auf Serhij Zhadan zurückzukommen. Mit Fußball lässt sich das alles leichter ertragen.