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Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

5. 6. 2012 - 10:57

In Our Heads

Eine Liebeserklärung an vierzig Jahre Dance-Pop: Hot Chip sind mit ihrem neuen Album "In Our Heads" unsere Artists of the Week.

Es beginnt mit einer Fanfare. Ein gespanntes Klackern, zappelige Percussion und Cowbells, alles bereitet sich vor und wärmt sich auf, und da setzt, ganz leise, der Chor ein. Der Hot-Chip-Effekt ist sofort da, das Gefühl, dass etwas so schön ist, dass man darüber fast traurig wird: eine Hymne. "Motion Sickness" ist der Opener von "In Our Heads", dem insgesamt fünften Album von Hot Chip.

Hot Chip

Domino Records

Auf den Lorbeeren, mit denen die fünf Briten in der Vergangenheit von Presse und Publikum bedacht worden sind, haben sie sich nie lange ausgeruht. Seit 2006 ist im Zweijahresrhythmus ein Album erschienen, dazu zahlreiche EPs, ein Beitrag zur DJ-Kicks-Serie, unzählige Kooperationen, Gastauftritte, Remixe und, nicht zuletzt, eine Handvoll vielbeachteter, ziemlich unterschiedlicher Nebenprojekte: About Group, New Build, The 2 Bears. Zusätzlich gibt es noch diverse Unternehmungen der jeweils einzelnen Mitglieder, von denen Joe Goddards Label Greco-Roman die bekannteste ist. Alexis Taylor hat auch einen Kurzfilm vertont.

In Our Heads

In Our Heads Cover

Domino Records

"In Our Heads" erscheint am 11.6.2012 bei Domino Records.

Über den Hauptverdienst der Band sind sich alle einig, es ist die Perfektion des Popsongs vor allem auf klanglicher Ebene. Wie Gitarrist Owen Clarke im Interview erzählt, ist es unter anderem die Spannung zwischen Joe Goddards enthusiastischen Beats und Alexis Taylors melancholischen Melodien, die auch die Grundstimmung im Studio bestimmt. Perfekt produziert, einen Tick verschroben, meistens tanzbar, immer eingängig, so präsentieren sich auch die neuen elf Hot-Chip-Songs. Worum es geht? Keine Frage: um die Liebe. Pop eben, Dance-Pop in diesem Fall. Das größte Plus der Band ist gleichzeitig das, was ihr Kritiker auch anhand der neuen Platte ein bisschen übel nehmen.

Modern Talking: Owen Clarke, Gitarrist von Hot Chip
Anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Albums "In Our Heads" wird Owen Clarke mit Natalie Brunner unter anderem über Inspirationsquellen sprechen und ob es überhaupt noch möglich ist, etwas Neues zu schaffen.

  • Heute in der FM4 Homebase (19-22h)

Natürlich läuft auf "In Our Heads" die Referenzmaschine wieder auf Hochtouren. Das Joe Goddard ein begnadeter House- und Pop-Produzent ist, weiß man seit frühester Hot Chip- und späterer Two Bears-Zeiten und nicht erst, seit "Gabriel" vergangenen Sommer die Indie- und Club-Dancefloors überrollt hat. Aufgenommen wurde die Platte mit Equipment, das schon Kraftwerk, Human League und Sisters of Mercy zu ihrem spezifischen Sound verholfen hat; Inspiration hat man sich laut Eigenaussage von Phil Spector und New Order genauso geholt wie von Sister Sledge oder Rob Palmer. Auf die Idee, Hot Chip als reine Zitat-Pop-Band zu bezeichnen, würde natürlich trotzdem niemand kommen, denn Songwriting und Klangästhetik geben den Tracks seit Jahren konsequent eine starke, eigene Identität. Das Hot Chip-Gefühl eben, euphorisch und ein bisschen bittersüß.

So makellos die Oberfläche ihrer Songs ist, so sicher blitzt darunter ein Augenzwinkern durch die schrullige Hipsterbrille. In manchen Momenten, so wie etwa zum Beginn von "Don´t deny your heart" meint man kurz, dass die Band Gefahr läuft, in ihrer 80er-Verliebtheit einen Tick zu weit zu gehen und tatsächlich Ästhetiken nachzubauen, aber die Kurve kratzen sie im Refrain mit links, wie konnte man nur daran zweifeln.

Man kann zu "Night and Day" durch den Club wirbeln, mit der filigranen Ballade "Look at where we are" ganz still werden, bei "Flutes", dem mit über sieben Minuten experimentellsten Stück des neuen Albums, die verschiedenen Klangtexturen bestaunen und vor allem kann man sich von "Motion Sickness" das Herz aufmeißeln lassen und ein bisschen rot werden, wenn einem dabei das Wort "erhaben" in den Sinn kommt. Alle diese Momente verdanken wir Hot Chip.