Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "EM-Journal '12-14."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 6. 2012 - 20:40

EM-Journal '12-14.

Der Countdown zur Fußball-EM. Mit einer Einschätzung aller Mannschaften. Heute in Teil 13: der einzige Co-Favorit, Frankreich.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Heute: ein genauerer Blick auf eines der sechzehn teilnehmenden Teams - Frankreich.

Bisher erschienen:
1) England
2) Tschechien
3) Portugal
4) Irland
5) Dänemark
6) Schweden
7) Kroatien
8) Polen
9) Italien
10) Ukraine
11) Russland
12) Niederlande

Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journal '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

Siehe auch: Afrika-Cup-Journal '12 . Upcoming, im August: ein Journal zu dem London-Olympics.

FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen.

Es gibt nur einen unter den üblichen Verdächtigen, dem die Fachwelt ansatzweise zutraut, das überragende Duo Spanien/Deutschland eventuell herausfordern zu können: die Equipe Tricolore, Les Bleus, der wilde Haufen von Laurent Blanc.

Ich denke, dass diese Erwartungen zu früh gestellt werden.

Nach dem Zusammenbruch des Ancien Régime unter Despot Domenech, einem grauenvollen Irrtum der FFF, die den französischen Fußball um Jahre zurückwarf und nach der Revolution von 2010, als sich noch vor dem 4. Juli ein großer Teil der Spieler erhob, was zu massivem Köpferollen führte, ist die neue Truppe noch nicht soweit. Da kann auch Le Président, also Laurent Blanc nichts ausrichten; er ist ein großer Kommunikator und guter Reperateur, aber kein Zauberer.

Frankreich hat sich um eine ganze Generation erneuert
und spielt mittlerweile wieder einen ansehnlichen Fußball: der große Wurf sollte aber nicht gelingen: da fehlt es doch noch an einigen Ecken und Enden.

Blanc spielt ein sehr flexibles 4-2-3-1 mit echten Flügeln, einem zentralen Spielmacher und nur einem echten Sechser. Das Spiel der Mannschaft ist aber durchaus von den jeweils zur Verfügung stehenden Spielern abhängig. Das kann Vorteile haben, ist aber leicht ausrechen- und vor allem: begegenbar.

Beispiel: wird Rechtsverteidiger Debuchy eingesetzt (wie etwa im Testsieg gegen Deutschland), dann rollt der zwei Drittel der Zeit als verkappter Flügelstürmer in der gegnerischen Hälfte die Outlinie auf und ab. Das kann gefährlich werden (der Spielzug "weiter Ball von Mexes auf Debuchy, scharfer Cross und Torgefahr!" kommt wirklich gut), heißt aber auch, dass die linke Seite nur von einem Spieler betreut wird (Ribery, oder beim vorletzten Test von einem gut aufgelegtem Menez, Evra dahinter ist als zusätzlicher Innenverteidiger quasi gebunden). Das heißt auch, dass der Sechser tendenziell rechts absichern muss. Für einen taktisch guten Gegner sind diese Fakten ein gefundenes Fressen um Frankreich genau dort auszuhebeln.

Die andere Problemzone liegt in der vordersten Front. Die Blauen brauchen gefühlt 80 Chancen, um ein halbes Tor zu machen und das trotz Nasri, Ribery, Malouda, Valbuena und Benzema. Ich weiß, ich hör mich da wie Hans Krankl an, wenn er lamentiert, dass Guido Burgstaller keine vorderste Spitze ist, aber: ich denke nicht dass Karim Benzema eine vorderste Spitze ist; obwohl er das bei Real Madrid (teilweise) spielt und dort doch einige Tore macht (wiewohl andere Spieler hinter/neben ihm deutlich mehr schießen). Ich denke vor allem, dass Benzema denkt, dass er keine echte Spitze ist: er trägt die Nummer 10; kein Zufall.

Schnell erholt nach dem Wiederaufbau

Andere Schwächen: der Ausfall von Abou Diaby, der den Platz des Achters in der Zentrale ideal ausfüllte. Dafür hat Blanc bis heute keinen Ersatz gefunden: sein verzweifelter Versuch mit dem aus dem Nichts reaktivierten Gourcuff im Test gegen Island machte das deutlich. Der nächste Kandidat, M'Vila verletzte sich im letzten Test gegen Serbien auch noch - die Baustelle bleibt.
In der feigen Variante wird Blanc auf den schwachen Alou Diarra zurückgreifen - und der steht für eine ideenlose Doppel-Sechs.

Laurent Blancs Equipe in Blau:

Gardiens: 1 Hugo Lloris (Ol. Lyon), 16 Steve Mandanda (Ol. Marseille), 23 Cédric Carrasso (Bordeaux).

Défenseurs: 2 Mathieu Debuchy (Lille), 13 Anthony Réveillère (Ol. Lyon), 4 Adil Rami (Valencia/SPA), 5 Philippe Mexes (AC Milan/ITA), 21 Laurent Koscielny (Arsenal/ENG), 22 Gael Clichy (Manchester City/ENG), 3 Patrice Evra (Manchester United/ENG).

Milieux: 6 Yohan Cabaye (Newcastle/ENG), 18 Alou Diarra (Ol. Marseille), 17 Yann M'Vila (Rennes), 12 Blaise Matuidi, 14 Jeremy Menez (Paris Saint-Germain), 19 Marvin Martin (Sochaux), 15 Florent Malouda (Chelsea/ENG), 11 Samir Nasri (Manchester City/ENG).

Attaquants: 7 Franck Ribéry (Bayern München/D), 8 Mathieu Valbuena (Ol. Marseille), 20 Hatem Ben Arfa (Newcastle/ENG), 9 Olivier Giroud (Montpellier), 10 Karim Benzema (Real Madrid/SPA).

Stand-By: Mapou Yanga-Mbiwa (Montpellier), Yoann Gourcuff (Lyon) sowie Christophe Jallet und Guillaume Hoarau (Paris Saint-Germain).

Nominiert, dann aber verletzt: Younes Kaboul (Tottenham/ENG), Loïc Rémy (Ol. Marseille).

Kommen wir zu den Positiva. Das sind die Torleute Lloris und Mandanda. Und, aller Kritik zum Trotz, die Innenverteidigung. Mit Rami und Mexes hat Frankreich das wildeste Abwehr-Duo sein Koeman & Rijkard oder De Wolf & Van Gobbel oder auch Boumsong & Mexes - also zwei Typen, aus deren schon schier optischen Unterschiedlichkeit sich Ferrnsehdrehbücher schneidern lassen würden; auch weil sie dann so wunderbar harmonieren. Herrlich.

Zudem hat sich Yohan Cabaye mit einer Super-Saison in Newcastle als Sechser festgespielt, folgt dort Makelele/Vieira oder den Diarras nach. Ja, und die Mittelfeld-Offensive ist aller Ehren wert: an einem guten Tag können diese Kicker jeden Gegner umblasen.

Taktisch kann Blanc von der Grundformation seines 4-2-3-1 jederzeit auf ein 4-1-4-1 oder ein hochoffensives 4-3-3 (mit dem vordersten Mittelfeldspieler als hängender Spitze gar auf ein 4-2-4) switchen. Das hat alles Hand und Fuß.

Meine einleitenden Einschränkungen sind also Bedenken auf hohem Niveau, die allerdings angesichts taktisch und personell weit überlegener Mannschaften auch geführt werden müssen.

Wer fehlt?

Les Bleus haben eine ganze Latte an durchaus schwerwiegenden Ausfällen zu verzeichnen. Bereits erwähnt wurde Abou Diaby von Arsenal, der die größte Lücke hinterlässt. Schon zuvor ausgefallen waren Bacary Sagna von Arsenal und natürlich Éric Abidal von Barca, wegen seiner Krebs-Erkrankung.

Kurzfristig verletzt haben sich Younes Kaboul von Tottenham und der an sich auch gesetzte Loïc Rémy von OM.

Daneben hat Blanc auch auf einige Leistungsträger verzichtet: Linksverteidiger Jeremy Mathieu aus Valencia etwa hätte ein Pendant zu Debuchy werden können.

Eine schwache Saison wurde für Lassana Diarra von Real und Mamadou Sakho vom PSG zum Verhängnis, Yoann Gourcuff von OL nützte seine unerwartete Chance im Spiel gegen Island nicht, Dimitri Payet von Lille bekam nach zwei Quali-Auftritten kein weiteres Leiberl und im Sturm sortierte Blanc mit Djibril Cissé (QPR) und Louis Saha (Tottenham) zwei Altstars aus.

Apropos: das ehemalige Offensiv-Superstar-Dreigestirn gastiert in zu weit entfernten Weltregionen um noch Einfluss nehmen zu können - Henry in den USA, Trezeguet in Argentinien, Anelka in China.
Anelka ist neben Jérémy Toulalan (Málaga) und dem zurückgetretenen William Gallas der einzige der Südafrika-Rebellen, der nicht mehr dabei ist.

Aus Lyon hätte man noch mit Maxime Gonalons, Jimmy Briand oder Bafétimbi Gomis rechnen können, aus Marseille mit Morgan Amalfitano, aus Paris mit Kévin Gameiro (Jallet und Hoarau sind zumindest auf Abruf).

Raymond zählt mit Varane (Real), Kakuta (Chelsea), Coquelin (Arsenal), Lacazette, Grenier, Umtiti und Tafer (Lyon), Saivet (Bordeaux), Cabella, Ait-Fana und Stambouli (Montpellier) oder Corchia (Sochaux) auch gleich die nächste Generation auf.

Anm.: User Raymond möchte auch noch Rio Mavuba (Lille) und Fabrice Landreau, Benoît Trémoulinas (Bordeaux), Etienne Didot (Toulouse) oder Moussa Sissoko (Toulouse) als potentielle Kandidaten nennen. User Marcus hätte auf Étienne Capoue von Toulouse bestanden.

An Legionären wären noch Charles N'Zogbia von Aston Villa, Mathieu Flamini von Milan, der unterschätzte Tormann Sébastien Frey (jetzt Genoa, Prandelli hätte ihn genommen, j'en suis sure...) oder etwa Gaël Givet und Steven N'Zonzi (Blackburn) sowie David N'Gog (Bolton), Gabriel Obertan (Newcastle) oder gar Julien Escudé von Sevilla zur Verfüging gestanden. Von U21-Supertalent Antoine Griezmann (Real Sociedad) und seinen Kollegen gar nicht erst zu reden. Frankreich verfügt über ein unglaubliches Spieler-Reservoir.

Bleibt noch der Hinweis, dass ich alle UserInnen ersuche, mich doch auf ihnen allfällig fehlende Namen und Taten hinzuweisen; entweder im Forum oder per Mail. Ich habe sicher den einen oder anderen Sylvain Distin übersehen.

Vom WM-Kader 2010 fehlen übrigens gar nicht sooo viele böse Rebellen wie zu erwarten war: Henry, Anelka, William Gallas, Squillaci, Toulalon, Gouvou, also eh die Älteren. Die allermeisten anderen wurden auch nach 2010 wieder ins Nationalteam berufen, auch Kapitän Evra und Ribery, die Rädelsführer

Was steht zu erwarten?

Frankreich wird EM-Dritter.
Es gibt kein Spiel um den 3. Platz bei einer Euro, ich weiß. Ich mein' das auch eher symbolisch.