Erstellt am: 4. 6. 2012 - 18:29 Uhr
Facebook in der Doppelmühle
"Das ist eine Abstimmung zwischen Pest und Cholera!", so reagierte die Initiative "Europe-vs-Facebook" auf den überraschenden Schachzug des weltweit größten sozialen Netzwerks vom Wochenende.
Vor dem skandalumwitterten Börsengang, der bekanntlich in die Hose ging, hatte eine auf 40.000 angewachsene Schar von Benutzern verlangt, dass Facebook gewisse Praktiken wie Tracking auf Verlangen abstellen bzw. die gesammelten, personenbezogenen Daten der Benutzer für diese offenlegen müsse - um nur ein paar der Forderungen zu nennen. Die basieren im Wesentlichen auf der EU-Datenschutzrichtlinie und den davon abgeleiteten Datenschutzgesetzen quer durch die EU. Man verlangt also im Grunde nur, dass den europäischen Gesetzen entsprochen wird.
dpa/Julian Stratenschulte
Für Facebook kommt dieser erneute Aufstand vor allem europäischer User zur ungünstigsten Zeit. Die seit dem Börsengang ins Trudeln geratene Aktie hat ein Viertel ihres Werts verloren und sich noch immer nicht stabilisiert. Am Montag ging's erneut hinunter.
Nicht Arroganz, sondern Ökonomie
Seitens von Facebook wurden die Proteste gegen die erneuten Änderungen der Nutzungsbedingungen mit einem Set wolkiger, neuer Formulierungen zur "Data User Policy" beantwortet, die allesamt den Forderungen nicht nur keine Rechnung trugen. Zusätzlich wurden die Regeln zum Umgang mit den Daten nämlich noch weiter zu Gunsten des Betreibers hingedreht.
Der Grund für diese Vorgangsweise, die weitere Konflikte vor allem mit europäischen Usern quasi vorprogrammiert, ist nicht die vielbeschworene "Arroganz" von Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Es sind vielmehr rein ökonomische Interessen, die Facebook nachgerade dazu zwingen, in puncto "Tracking" - also Verfolgung der Benutzer über andere Websites - erst einmal keinen Millimeter nachzugeben.
Parameter drehen auf negativ
Der Stein des Anstoßes sind die von Facebook vorgestellten neuen Nutzungsbedingungen, die den Forderungen der mittlerweile 47.000 Nutzer so gar nicht entsprechen.
Gerade für Facebook verdüstert sich der Konjukturhimmel nämlich laufend, die wichtigsten Parameter drehen zunehmend auf negativ. Die durch den Börsengang noch verschärften Vorgaben zur Profitmaximierung sind also - um im Finanzjargon zu bleiben - eine "gewaltige Herausforderung". Die Umsätze pro Benutzer müssen deutlich gesteigert werden, das ist der einzige Parameter, der die Anleger wirklich interessiert. Hier sieht es nach Zahlen, die allesamt auf dem Börsenprospekt von Facebook basieren, etwa so aus.
Das weltweit größte Soziale Netzwerk erlöst im Schnitt derzeit etwas über vier Dollar pro Jahr und Benutzer zu 85 Prozent aus Anzeigen, wobei ein steiles geografisches Gefälle zu beobachten ist. Während die Durchschnittsumsätze pro User in den USA bei zehn Dollar liegen, wird in Europa nur die Hälfte dieser Summe eingenommen.
Die mobile Mühle
In puncto Benutzerzahlen hat Facebook den Plafond in den USA fast erreicht, in Europa anscheinend bereits ebenso, allerdings auf niedrigerem Niveau.
So gilt es in erster Linie, die Umsätze zu steigern, die derzeit gültigen Marktparameter sind dafür freilich alles andere als günstig. Das Wachstum verlagert sich immer mehr in den Mobilbereich. Auf solchen Kleinbildschirmen ist zusätzliche Werbung schwer unterzubringen, ohne den Benutzer dabei zu vertreiben. Was zur Folge hat, dass derzeit - verglichen mit Stand-PCs - mobil nur ein Bruchteil der Werbeumsätze erlöst wird, Facebook verzichtet bis jetzt ganz darauf. Im vergangenen Jahr stiegen die mobilen Zugriffe allerdings um 35 Prozent, während die stationären Netzzugänge um 10 Prozent nachgaben.
Der stete Sinkflug der Facebook-Aktie hat die gesamte Branche in Mitleidenschaft gezogen. Das Business-Netzwerk LinkedIn und andere brachen ein, von Russland bis in die USA wurden mehrere Börsegänge Sozialer Netzwerke deshalb verschoben.
Seitens von Facebook müsste also eine sogenannte "Killerapplikation" für den Mobilbetrieb erfunden werden, zumal das auf PCs zugeschnittene Vermarktungskonzept hier nicht funktionieren wird. Nach einer solchen "Killer-App" fahndet allerdings auch die gesamte Konkurrenz, bis jetzt wurde sie jedenfalls nicht gefunden.
Doppelmühle Schwellenländer
Dort, wo seit Jahren die größten Zuwächse an Benutzern zu verzeichnen sind, nämlich in den Schwellenländern, sind die Facebook-Umsätze mit 1,80 Dollar pro Jahr und Benutzer im Schnitt noch weitaus geringer als in Europa. Hier auf dem alten Kontinent wiederum sind die Anzeigepreise im Netz während der letzten Zeit generell gefallen, nicht zuletzt deshalb, weil mit Facebook ein vergleichsweise riesiger Player Anzeigen aggressiv akquirieren muss.
Die Gruppe um den Jus-Studenten Max Schrems hatte im Herbst 2011 insgesamt 22 Anzeigen bei der irischen Datenschutzbehörde eingebracht. Facebook hat seinen Europasitz aus Steuergründen in Irland, dort aber sind die Datenschutzgesetze besonders streng.
Das funktioniert natürlich dann am Besten, wenn man den Werbekunden genau definierte Zielgruppen ("Targeting") mit möglichst wenig "Streuverlusten" anbieten kann. Für "Targeting" aber bedarf es eines entsprechend detaillierten Benutzerprofils, das wiederum nur durch "Tracking" gewonnen werden.
Tracking in der Kritik
Gegen diese Art von Überwachung tritt nicht nur die österreichische Benutzerinitiative rund um Max Schrems auf, seit 2009 ist eine diesbezügliche EU-Regelung in Kraft, besser bekannt als "Cookie-Richtlinie."
Diese in Österreich und den meisten anderen Staaten bereits gesetzlich verankerte Regelung sieht eine ausdrückliche Zustimmung des Benutzers vor, dem Tracking einzuwilligen. Im World Wide Web Consortium W3C steht ein entsprechender, für alle Browser standardisierter Mechanismus kurz vor der Fertigstellung.
Der neue Standard des W3C für mehr Datenschutz wird dringend gebraucht, um den Benutzer überhaupt vor die Frage stellen zu können, ob er ein Tracking ablehnt oder akzeptiert. Bald wird jeder Browser über eine standardisierte Option verfügen, die eine Verfolgung untersagen kann. Laut W3C-Juristen hat diese Dialogbox den Status eines Vertrags zwischen Site-Betreiber und Benutzer.
"Nachhilfe aus China"
In den Geschäftsbedingungen Facebooks steht, dass über Änderungen, die von mindestens 7.000 Benutzer verlangt werden, abgestimmt werden kann. Die Art und Weise wie dies umgesetzt wurde bezeichnen die Kritiker als "offensichtliche Nutzerverarsche". Erst werde Nutzerbeteiligung versprochen, hieß es in einer Aussendung am Montag, zur Sicherheit werde dann die Wahlurne versteckt. Mark Zuckerberg habe anscheinend "Demokratieunterricht in China" genommen.
Dies ist ist allerdings nicht so wahrscheinlich, weil Facebook auf diesem weltweit größten, nationalen Markt gar nicht präsent ist, das ist ein weiteres Problem für künftiges Wachstum. Den Markt in China dominieren Sina Weibo und das kleinere ReREN-Netz, die zusammen auf 500 Millionen Benutzer kommen.
Die Rutschpartie geht weiter
Auch die Investoren sehen natürlich, dass die weiterhin steigenden Benutzerzahlen nicht von entsprechenden Umsatzsteigerungen begleitet werden. Zum Handelsauftakt an der NASDAQ am Montag rutschte die um 38 Dollar ausgegebene Facebook-Aktie auf einen neuen Tiefststand ab, die ersten Analysten legten als mittelfristiges Kursziel 25 Dollar fest.