Erstellt am: 5. 6. 2012 - 06:00 Uhr
Unser Mann in London
Das Klischee hält sich ja hartnäckig, wie das Klischees so an sich haben. Dass Fußballer eher schlichte Gemüter seien, die Fähigkeit zur Selbstironie genauso schwach ausgeprägt ist wie die, sinnvolle Sätze einigermaßen geschliffen zu formulieren. Das Klischee stammt aus der Zeit, als für die meisten Profis der Fußball vor allem ein Mittel zum sozialen Aufstieg war, entsprechend wurden sie von den schnöseligen Bürgerschichten empfangen. Dass Fußballprofis von heute schon mal Professorensöhne sind, dass sie maturieren und dass verantwortungsvolle Vereine der Persönlichkeitsbildung mittlerweile fast so viel Raum geben wie der Schusstechnik, diese Erkenntnis setzt sich erst langsam durch.
Mit 16 in die Premier League
Rowohlt Verlag
Unser Mann in London von Moritz Volz hat 250 Seiten und ist als Taschenbuch und e-book bei Rowohlt erschienen.
Moritz Volz ist so einer aus dieser neuen Generation Profis, und ein Paradebeispiel dazu: Er ist mit 16 als einer der ersten deutschen Jugendspieler von Schalke 04 zum FC Arsenal gewechselt. Begleitet von einem Riesen-Brimborium, Vorwürfen der Geldgier und des Vaterlandsverrats. Bei Arsenal hat er sich schließlich nicht durchgesetzt, ist nach sechs Jahren beim Londoner Stadtteilklub FC Fulham zum Hamburger Stadtteilklub FC St. Pauli gewechselt, wo er derzeit spielt. In Deutschland ist er nach der Aufregung um seinen Wechsel nie mehr so richtig in die Schlagzeilen gekommen. In England hat er dagegen eine gewisse Prominenz: als Fußballer, der alle Klischees widerlegt.
Moritz Volz hat neben seiner Fußballkarriere Kolumnen geschrieben für die Times, die BBC hat ihm einen eigenen Song gewidmet. In Fulham ist er zum Fanliebling geworden: als Deutscher mit Humor und als Fußballer mit Selbstironie. Dabei beteuert Moritz Volz, dass das mit dem Humor eher ein Missverständnis sein muss.
Autobiografie eines Normalos
Unser Mann in London ist die Autobiografie eines jungen Fußballers und sie ist tatsächlich voll Selbstironie und subtilem Witz. Obwohl Moritz Volz einer dieser eher schüchternen und wohlerzogenen jungen Fußballer ist, die nie wie die Paul Gascoignes oder Mario Baslers durch Eskapaden abseits des Platzes und große Sprüche in den Medien von sich reden machen würden und obwohl er eigentlich nichts allzu Aufregendes erlebt, reizen seine Beschreibungen des Alltags in England (und der eigenen Missgeschicke und -verständnisse) zu breitem Grinsen und lautem Lachen.
Weitere Literaturrezensionen
Das Händewaschen in London war eine Herausforderung. An den Waschbecken gab es getrennte Hähne für kaltes und warmes Wasser, und ich stand ratlos davor: Was taten Menschen, die sich ihre Hände nicht eiskalt oder brühend heiß reinigen wollten? …
Ich entwickelte zwei Händewasch-Strategien. Entweder ich öffnete nur den Warmwasserhahn. Dann musste ich äußerst schnell sein und die wenigen Sekunden nutzen, die das Wasser brauchte, um von lauwarm zu dampfend heiß zu wechseln. Oder ich drehte beide Wasserhähne auf und bewegte meine Hände rasend schnell unter den beiden Hähnen hin und her. …
Die massenhafte Einwanderung polnischer Klempner nach der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 und die Einsicht einiger Engländer, dass man sich beim Händewaschen nicht zwangsweise verstümmeln muss, führten dazu, dass sich der englische Wasserhahn heute auf dem Rückzug befindet. Doch gibt es heute noch in England eine stimmgewaltige Schicht der Traditionsbewahrer, die in jeder Veränderung einen Verlust oder gar eine Bedrohung sehen. Ich nenne sie die Wasserhahn-Fraktion. Wie ihre Welt aussieht, wie sie die Welt sehen, lässt sich jeden Morgen wieder in der "Daily Mail" nachlesen.
Unterhaltsam und lehrreich
Jetzt weiß ich endlich, warum man Stuart Freeman im März bereits in Shorts antreffen kann: weil man in England, so erzählt Volz, die Kleidung nicht den Temperaturen, sondern dem Sonnenlicht anpasst. Moritz Volz beschreibt auch, was es für Folgen hat, dass es in Großbritannien eine viel größere Gewerbefreiheit gibt und jeder sich Maler, Tapezierer oder Parkettverleger nennen darf. Und er erzählt, wie er zur Sensation mutierte, weil er mit dem Fahrrad zum Training (und manchmal auch zum Spiel) fuhr, anstatt sich die paar Kilometer bis zum Trainingsplatz mit einem "Chelsea Truck" (=SUV) in den Londoner Stau zu stellen.
Nach einigen Monaten war mein Fahrrad bekannter als ich.
"Wir möchten Sie gerne in unsere Sportsendung einladen", sagte der Fernsehredakteur am Telefon, "aber bringen Sie Ihr Fahrrad mit!"
"Können Sie irgendwelche Tricks?", fragte mich das Fußballmagazin Four-Four-Two. "Also auf dem Fahrrad, meine ich: den Bunny-Hop vielleicht?"
In der Fernsehsendung World Cuppa auf itv musste ich demonstrieren, wie schnell ich das Klapprad auseinanderfalten konnte.
Meine Berühmtheit als Radfahrer stand in keinem Verhältnis mehr zu meinen gelegentlichen Fahrradfahrten, aber ich erinnerte mich an das Motto meines Vaters: "Hauptsache, die Pointe ist gut!" Ich warb in Interviews dafür, dass Klappradrennen in London 2012 unbedingt olympisch werden müsste.
Unser Mann in London bezieht seinen Witz nicht nur aus der alten "Ausländer findet einheimische Gebräuche seltsam"-Masche, sondern vor allem daraus, dass mit Moritz Volz ein völlig normal gebliebener junger Mann auf die überdrehte (englische) Fußballwelt trifft. Das ergibt ein flockig-leichtes Unterhaltungsbuch, die perfekte Lektüre für ein langes Wochenende, bei der man auch noch lernt, wie es in der Fußballwelt so zugeht. Und immer wenn dieser normal Gebliebene ein bisschen fad zu werden droht, kommt eine Pointe. Und die ist meistens gut.