Erstellt am: 31. 5. 2012 - 14:41 Uhr
This is P.i.L
Es war auf der US-Tournee der Sex Pistols, als ein gewisser John Lydon alias Johnny Rotten gemerkt hat, dass er mit seinen Vorstellungen von Outspokenness selbst in seiner als Bürgerschreck verrufenen Band auf Grenzen stößt: Ein anti-religiöser Songtext, den Johnny Rotten zu einem neuen Song verarbeiten wollte, soll den Bandkollegen dann doch zu heftig gewesen sein.
Ein Streit mit dem Manager und selbst ernannten Sex Pistols-Mastermind Malcolm McLaren kam dazu, und die Sex Pistols waren Geschichte. Aber das Ende der Sex Pistols war fast gleichzeitig der Anfang von Public Image Ltd. Und da taucht auf der ersten Platte ein Song mit dem Titel „Religion“ auf – und damit auch ja nichts vom Text verloren geht, zusätzlich in einer spoken word Version.
Eigentlich ist es keine Religionskritik, es ist eine Suada, eine Schimpftirade, so wie man sie kennt von dem Mann, der sich einst Johnny Rotten nannte. Bei Public Image Ltd ist Johnny Rotten wieder John Lydon, und Punk ist, ja, was eigentlich? New Wave? Art Punk? Dub meets Krautrock? Jedenfalls hört es sich nicht mehr so an wie alle Welt glaubt dass Punk sich anhören muss, trotzdem ist die Geisteshaltung geblieben, zumindest im Kopf von John Lydon: ich sage was ich denke und ich mache was ich will. Und wenn es euch nicht passt, dann freut mich das doppelt.
Das „Limited“ in Public Image Ltd. war echt – P.i.L. war eigentlich keine Band, sondern eine eingetragene Firma, eine GmbH. Zur Firma gehörten anfangs nicht nur die Musiker, sondern auch ein Soundtechniker, ein Finanzbeauftragter und die Videokünstlerin Jeanette Lee. Das Logo der Band entwarf ein Grafiker, die Plattencover malte Lydon teilweise selbst. Aus dem Punk-Gnom Johnny Rotten, dessen einziger Lebenszweck die Provokation war, war John Lydon geworden, das Mastermind, bestrebt, die Fäden seiner künstlerischen Existenz und die Kontrolle über ihre öffentliche Inszenierung in den eigenen Händen zu halten: Public Image Limited.
Legendär die ABC-Show "American Bandstand", bei der der Moderator - die vom Producer gegen seinen Willen in die Sendung reklamierten P.i.L. - hörbar widerwillig anmoderiert, John Lydon keine Lust auf Lipsync hat und das Publikum schließlich die Bühne entert und die Instrumente übernimmt:
P.I.L
Der Teil der Punk-Fans, denen es nur um Bier und Provokation ging, der kam hier nicht mehr mit. Aber die, für die Punk gleichbedeutend war mit dem Willen, die Grenzen des Normalen zu überschreiten, auch was die Hörgewohnheiten betraf, für die war P.i.L. der notwendige Schritt weiter, heraus aus einer Welt, die längst dabei war, sich an die drei Akkorde des Punk zu gewöhnen. Und aus dem Mainstream haben sie diejenigen abgeholt, die offen genug waren, über New Wave und Adult Rock hinaus zu denken.
Die Musik der ersten P.i.L.-Jahre prägten die Bassläufe Jah Wobbles (ein alter Jugendfreund von Lydon und Sid Vicious) und das zurückhaltende Gitarrenspiel von Ex-Clash-Gitarrist Keith Levene, der später von der Gitarre zu Loops und Samples wechselte. Der Krautrock von Can und der Dub-Reggae der Londoner Clubs finden sich in P.i.L.s Musik. Und als Jah Wobble nach ein paar Jahren Adieu sagte, spielten P.i.L. ihre nächste Platte, "The Flowers of Romance", einfach ohne Bassist ein.
1983, von der Ursprungsbesetzung war nur John Lydon übrig geblieben, hatten P.i.L. einen überraschenden Welthit: "This is Not A Love Song" war eine Antwort auf die "Ausverkauf"-Vorwürfe der damaligen Indie-Gemeinde und inspiriert von einer Textzeile ihrer Labelmates Flying Lizards. Der Song ist einer der wenigen Popsongs, denen man ihr Alter auch heute noch nicht anhört. Das Video ist fürchterlich langweilig, wenn ihr mich fragt.
In den folgenden Jahren war Public Image Ltd. eigentlich nur noch Lohn Lydon mit wechselnden Musikern und wechselnder Qualität. Danach folgten Kooperationen mit Jazzern und Ethno-Klängen und Experimente in allen angrenzenden Stilrichtungen, bis P.i.L. Anfang der Neunziger in einen wohlverdienten Winterschlaf versetzt wurden.
Vor zwei Jahren hat Mastermind Lydon Public Image Ltd. wieder zusammen gerufen. Das Geld dazu hat er sich bei der Dschungelshow und mit Werbespots für Butter verdient.
Letzte Woche haben P.i.L. ihr erstes Album nach der Reunion veröffentlicht. „This is PiL“ heißt es, und kurz gesagt: die Butterwerbung hat sich ausgezahlt. Zwar ist fast die Hälfte der 12 Songs auf dem Album eher mau, aber anderen haben es in sich. Zum Beispiel die Single "One Drop", eine Liebeserklärung an John Lydons Heimatstadt London, gefasst in frischen Dub-Reggae. Willkommen im Melting Pot: du bist One Drop, ein Tropfen im Ozean London.
Lydons Stimme ist hörbar älter geworden, aber sie kann immer noch so EIniges: jammern, singen, quäken, klagen und anklagen. Und die Musik untermalt Lydons aufgedrehte Ego-Performance mit soliden, ausgefeilten, aber nie zu gewöhnlichen Arrangements.
"Terra-Gate" ist auch eine der Perlen: eine aggressiv-anklagende Rock-Nummer, bei der "Terra" natürlich klingt wie "Terror". Überhaupt die Wortspiele und Doppeldeutigkeiten: "Out of the Woods" ist überhaupt ein neun Minuten langes Spiel mit woods und woulds und shoulds. Eine andere Perle ist die Rocknummer, die "Reggie Song" heißt, und natürlich die verzweifelte Larmoyanzhymne "Fool", in der Lydon eine solch gehörige Portion Schmelz in seine Quäkstimme legt, dass es einem schaurig den Rücken hinunter läuft vor soviel Gefühlsexhibitionismus. I made a fool out of me/You made a tool out of me – da geht es wohl vor allem um die Hassliebesbeziehung zwischen John Lydon und der (Medien-)Öffentlichkeit. Wollen wir alte Männer jammern hören? Aber sicher.
Und dann ist da noch die Nummer "Lollipop Opera", die den Rest des Albums locker in die Tasche steckt: die zeigt, dass es bei P.i.L. trotz Art-Punk, Weltmusik und Krautrock–Anleihen, trotz Outspokenness und Larmoyanz und John Lydons Ego immer vor allem um eines geht: um Rhythmus.