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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

30. 5. 2012 - 13:47

As promised, Billy Bragg

Der große Idealist und Songwriter Billy Bragg kommt für zwei Konzerte nach Österreich. Eine persönliche Rückschau auf eine der romantischsten Figuren des Pop.

Wie es sich ergibt, ist es gerade ein ziemlich präzises Vierteljahrhundert her, dass ich nach einem Gig von Billy Bragg in der Volkshochschule Längenfeldgasse, Wien Meidling, noch ein wenig länger herumhing, während die, mit denen ich gekommen war, schon gegangen waren.

Es war mein zweites Billy Bragg-Konzert gewesen, im Jahr davor hatte ich ihn in der Szene Wien erlebt, ein Energiebündel mit einer geschundenen Gitarre und einem kleinen, quadratischen Verstärker, gespuckte Konsonanten und verbeulte Vokale, Brandreden und Witze, und dann am Schluss noch die Zugabe, für die der Roadie Wiggy, ein abwesend dreinschauender Mann mit Keith Richards-Frisur, mit auf die Bühne kam, um gemeinsam mit Billy ein Cover von „Garageland“ vom ersten Clash-Album zu spielen, das – ich schwöre es – so klang, als wären Bass und Schlagzeug dabei gewesen.

Ein Jahr später war das Erlebnis nicht weniger umwerfend, nur kannte ich zu diesem Zeitpunkt bereits alle drei bis dahin erschienenen Alben auswendig: „Life's A Riot With Spy Vs Spy“, „Brewing Up With Billy Bragg“ und das Meisterwerk „Talking With The Taxman About Poetry“.

Billy Bragg mit Gitarre

Robert Rotifer

In jener Zeit Mitte der Achtziger, da sich der Glamour des aus Post Punk und New Wave hervorgegangenen New Pop als affirmative Kollaboration mit der alles überrennenden neokonservativ/neoliberalen Welle entpuppt hatte, war Billy Bragg die zentrale Figur einer neu politisierten Fraktion innerhalb der Jugendkultur: jenes Donkey Jackets zu weißen Socken und aufgerollten Levi's tragenden Teils der Achtziger, der von den Revivals stets übersehen wird aber damals eine große, sichtbare Rolle spielte.

Billy Bragg & The Blokes spielen morgen, Donnerstag, im Volkshaus in Graz und übermorgen, Freitag, im Flex in Wien
www.billybragg.co.uk

Da stand ich also in der mit Angehen der Lichter wieder sehr nüchtern gewordenen Umgebung der Volkshochschule und wusste nicht wirklich, worauf ich wartete, bis dann irgendwann tatsächlich Billy Bragg zum Vorschein kam.

An dieser Stelle sollte ich erklären: Auch publikumsnahe KünstlerInnen genossen damals das selbstverständliche Privileg, sich nach einem Gig backstage auszuschnaufen und dann privat ihrer bevorzugten Methode der verdienten Entspannung nachzugehen. Es gab zumeist gar keine Platten oder T-Shirts zu kaufen, für so was hatten wir Geschäfte. Billy Braggs Erscheinen war also eine große Geste.

Das Persönliche war politisch, so sagte man in den Achtzigern Jahren gern (und tat oft anderes), und Billy Bragg, das aufrechte Gewissen des Agit-Pop, nahm seine Politik mehr als ernst. Mit Leuten wie mir zu reden, statt in der Garderobe abzuhängen, war Teil seines Programms.

Billy Bragg vor Poster "No-one with a conscience votes Tory anyway"

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Wir unterhielten uns also über den niedergeschlagenen Miners' Strike, über Thatcher, über die Smiths (alle schimpfen über Morrissey, meinte Billy, aber persönlich sei der Typ schwer in Ordnung), über die trotzkistischen Redskins und über einen Auftritt in der DDR bzw. die politischen Herausforderungen, vor die ihn dieser gestellt hatte (Bragg war in seiner Einstellung trotz der kämpferischen Posen immer schon eher reformistisch als revolutionär).

Billy erzählte mir von einer Benefiz-Platte für die Minenarbeiter mit Live-Aufnahmen aus der DDR, sowie einem ziemlich guten, in Westdeutschland aufgenommenen Redskins-Live-Cover seines Songs Levi Stubbs' Tears. Und dann holte er seinen Notizblock hervor und ließ sich von mir meine Adresse geben.

Ein paar Wochen später fand ich in meinem Briefkasten ein Kartonkuvert mit Londoner Absender: „Dear Postman, please do not bend“, stand drauf. In seinem Inneren fand ich die Platte, von der Billy mir erzählt hatte, und eine signierte Postkarte: „As promised. Cheers, Billy Bragg“.

Wake Up-Compilation

Robert Rotifer

Die Platte, die mir Billy damals schickte

Die versprochene Redskins-Version von „Levi Stubbs' Tears“ enthielt auch eine Bühnenansage von Sänger Chris Dean: „This is a song by Neil Kinnock's publicity officer.“
Kinnock war der Oppositions-Chef jener Jahre, der in seinem Begehren, die Labour Party für Middle Britain wählbar zu machen, die zu diesem Zeitpunkt sehr einflussreiche trotzkistische Tendenz aus der Partei warf. Maggie Thatcher – und später selbst den schwachen John Major – konnte er trotzdem nie besiegen.

Billy Bragg wiederum betätigte sich als Organisator und Sprachrohr einer Zweckunion von KünsterInnen (Paul Weller, Jimmy Somerville, Elvis Costello, The Smiths, Sade, Lloyd Cole, Madness etc.), die unter dem Banner des Red Wedge für Neil Kinnock konzertierend in den Wahlkampf zog.

Was diese Leute politisch einte, war weniger ihr Enthusiasmus für die Labour Party als ihre Ablehnung des monetaristischen Projekts der Thatcher-Regierung, das Massenarbeitslosigkeit als legitimen Preis für eine „wettbewerbsfähige“ Wirtschaft sah und das Dogma der Deregulierung der Finanzmärkte als Quell eines künftigen Wohlstands predigte, der selbsttätig von oben nach unten herabsickern würde. Alles Orthodoxie und politische Weichenstellungen, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind.

Wenn Billy Bragg damals das alte amerikanische Gewerkschaftslied Which Side Are You On? adaptierte, dann war das eine ernstgemeinte, vom gespaltenen politische Klima in Großbritannien jener Zeit förmlich aufgedrängte Frage.

Billy Bragg, Ken Livingstone, Neil Kinnock, Paul Weller

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Billy Bragg, Ken Livingstone, Neil Kinnock, Paul Weller

Die britische Popgeschichtsschreibung verbucht den großen Gamble des Red Wedge zumeist als endgültige Niederlage des Pop als politische Kraft. Neil Kinnock verlor die Wahl, und seine UnterstützerInnen in der Musikszene verloren mit ihm. Die Nähe zu einem Politiker hatte ihrem Image nichts Gutes getan. Es war der Anfang des bequem praktizierbaren Irrtums, politische Apathie wäre eine coolere, alternative Form der Dissidenz.

BIlly Bragg auf Friedensdemo

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Ein Jahr nach dem Scheitern von Red Wedge erschien „Worker's Playtime“, Billys erstes Album mit Schlagzeug, Bass, gezupften akustischen Gitarren und Klavier. Ich liebte diese Platte, vor allem die an eine gewisse Mary gerichteten Lieblingslieder und das Magnum Opus „Waiting For The Great Leap Forward“, ein furioser Reigen bittersüßer Weisheiten über die Widersprüche des politischen Alltags.

Eines Tages im Jahre '89 schaute im Plattenladen Ton Um Ton in der Lindengasse vorbei. wo Dieter arbeitete, der mit mir in der Band The Losers spielte. Er hatte herausgefunden, dass Billy Bragg in der Arena spielen würde. Und er hatte uns gleich den Vorband-Slot verschafft.

Billy war zu diesem Zeitpunkt bereits mit voller Band und in Begleitung seines Managers Peter („He used to manage The Clash“) Jenner unterwegs, er hatte eine neue Telecaster, aber er riss noch immer ständig die Saiten („that's punk rock!“). Unglaublicherweise erkannte er mich beim Soundcheck wieder, wir redeten über seine neuen Songs, und er gab mir eine Compilation seines frisch gegründeten, eigenen Plattenlabels Utility in die Hand.

Unsere Version von Brinsley Schwarz's „(What's So Funny 'Bout) Peace Love And Understanding“ hatte es ihm besonders angetan. Wir sollten ihm doch was von unserem Zeug schicken, sagte er. Oder vorbeikommen, wenn wir in London wären.

Getrunken wurde nachher übrigens nichts, denn Tastenspielerin Cara Tivey hatte ihr Baby auf Tour mit dabei, also hielten sich alle in der Band an die frühe Bettruhe.

Im Gegensatz zu seinen Helden The Clash, deren Leben auf Tour nicht unbedingt zu ihren politischen Idealen passte, schien alles in Billy Braggs Umgebung seinem sozialen Lebensentwurf getreu abzulaufen, selbst wenn es auf Kosten des traditionellen Rock'n Roll-Glamour ging. Gerade diese unbestechliche Konsequenz machte ihn für mich zu einer der romantischsten Figuren des Pop.

Das Abliefern von Demo-Bändern in Billys Büro in der Bravington Road in Queen's Park zählte in den kommenden ein bis zwei Jahren zu den Fixpunkten meiner London-Aufenthalte, aber offenbar waren weder die Losers, noch meine Solo-Tapes gut genug, falls sie je angehört wurden. Darüber hinaus war Billy Bragg als Label-Betreiber auch nicht viel effizienter als all die anderen KünstlerInnen, die sich selbst als Plattenfirmen versucht haben. Utility wuchs über den Kreis der auf jener ersten Compilation versammelten Bands nie hinaus und verschwand bald von der Bildfläche.

Es sollte bis 1998 dauern, dass ich Billy Bragg wieder spielen sah, diesmal in London, nach der Veröffentlichung von Mermaid Avenue, dem ersten Teil seiner gemeinsam mit Wilco unternommenen Vertonung von Texten aus dem Nachlass seines historischen Vorbilds Woody Guthrie.

Billys Band, jetzt The Blokes genannt, war mittlerweile zu einem ganzen Folk-Rock-Ensemble angewachsen. Der weißhaarige Mann an der Orgel kam mir bekannt vor. Der Verdacht bestätigte sich, als Billy ihn dem Publikum schließlich als Ian McLagan vorstellte.

Billy Bragg and The Blokes

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The Blokes, McLagan neben Bragg

Ein Knopf ging auf. Meine halben Teenagerjahre hatte ich in einem scheinbar unauflösbaren, ständigen Zerwürfnis zwischen meiner Retro-Welt (Small Faces) und der Gegenwartswelt (Billy Bragg) verbracht. Chelsea Boots oder Doctor Martens, psychedelische Unschuld oder politischer Realismus, beides zusammen ging scheinbar nicht.

Und nun stand Bragg auf der Bühne mit einem originalen (Small) Face – eine magische Zusammenführung zweier Welten so wie einst „Garageland“ als Zugabe in der Szene Wien. Die beiden zusammen einen Song wie „Tank Park Salute“ (an Braggs Vater) spielen zu sehen, war einer der berührendsten Momente, die ich je bei einem Gig erlebt habe und erleben werde.

Das Schwierige am Älterwerden ist, dass einem die Größenordnungen abhandenkommen. „Garageland“ war 1986, als ich Billy und Wiggy den Song spielen sah, gerade einmal neun Jahre alt und fühlte sich schon an wie ein uraltes Stück Punk-Geschichte. Alles, was ich hier erzähle, ist schon weit länger her.

Billy Bragg ist längst nicht mehr das oben beschriebene Energiebündel der Achtziger Jahre, aber hin und wieder taucht er hier in irgendeiner Fernsehdiskussion auf fährt nach Belieben Schlitten mit den PolitikerInnen, die man ihm gegenüber setzt.

Sein Geist ist immer noch messerscharf, und die Gelegenheit, ihn live zu sehen, sollte man nicht auslassen. Er ist eine lebende Verbindung zu einem aufregenden Teil der Popvergangenheit, als politische Botschaften im Pop zwar nicht Wahlen gewinnen, aber einen beträchtlichen Teil der Jugend bewegen konnten.

Stimmt schon, viele seiner alten Texte wirken aus heutiger Perspektive einigermaßen plump, aber die Zeit verlangte es so. Und die tragischste aller Tatsachen bleibt: Billy Braggs wahre, subtile Größe als Songwriter und Sänger lag eigentlich ja immer schon in seinen Lovesongs.