Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "New Old am Nil"

Sammy Khamis

Are you serious...

29. 5. 2012 - 18:34

New Old am Nil

Die Präsidentenwahlen in Kairo gehen mit dem Moslembruder Mohamed Mursi und dem Mubarak-Mann Ahmed Shafiq in die zweite Runde. Demokratie wird so lange auf der Straße praktiziert.

Gestern Abend auf dem Tahrir-Platz viele hundert, vielleicht tausend Demonstranten versammeln sich, um ihrer Unmut Luft zu machen. Ahmed Shafiq und Mohamed Mursi werden unter sich das Präsidentenamt ausmachen. Beide repräsentieren gerade 45% der Bevölkerung. Also nicht die Mehrheit der Ägypter. Beide stehen zusätzlich für den jahrzehntealten Konflikt in Ägypten: Moslembruderschaft gegen Militär.

Sammy Khamis

Einige hundert Menschen versammeln sich im Augenblick auf dem Tahrir Platz. Durch die Stadt ziehen zugleich singende kleine Gruppen, die den Rücktritt der Militärführung wollen.

Größter Gegner bleibt das Militär

Die Straßenzüge um den Tahrir-Platz sprechen noch von den Wahlen der letzten Woche: Wahlplakate, Transparente und Tags, wo man hinsieht. In der Mohamed Mahmoud Straße steht das Graffiti: "ouskut Hakam Askari, Step down Military Council". Direkt neben der Aufforderung an den Militärrat klebt ein Wahlplakat. Es zeigt Ahmed Shafiq, dem Armeegeneral und letzten Premier unter Husni Mubarak. Der war für den "battle of the camels" am 2. Februar 2011 verantwortlich. Seit März, also während Shafiqs Amtszeit 2011 foltert die Armee systematisch Menschen. Unter anderem Mustafa und seinen Bruder Amr. Beide wurden im Keller des ägyptischen Museum tagelang mishandelt. Wie geht es Mustafa, wenn er daran denkt, dass dieser Shafiq morgen vielleicht sein neuer Präsident wird?

"Es ist ein Verbrechen! Wen soll ich denn wählen? Shafiq oder Mursi? Beide sind wirklich übel. Shafiq ist der Mann, der mich verhaften und foltern lies. Es scheint, als wäre Ahmed Shafiq Mubaraks Sohn!"

Während Mubaraks leibliche Söhne gerade vor Gericht stehen, gibt sich Shafiq als Erbe des alten Herren aus: Sicherheit und Ordnung brauche Ägypten. Viele Wähler, glauben, dass Shafiq genau das durchsetzen wird, obwohl Ägypten gerade durch die Regentschaft des Militärs stark an Stabilität eingebüßt hat. Shafiq steht eindeutig für eine Verschärfung der Demonstrations- ebenso wie Versammlungsrechte, wie er am Wochenende eröffnete. Eine Reform der Sicherheitskräfte und des Militärs ist ausgeschlossen, schafft es der Mubarak-Verehrer in den Präsidentenpalast.

Sammy Khamis

Die Fußball-Ultras fordern Horeya- Freiheit und nehmen die Polizei aufs Korn

Moslembrüder als Menschenrechtler?

Neben Shafiq könnte aber auch der Kandidat der Moslembruderschaft Mohamed Mursi die Stichwahl gewinnen. Die Bruderschaft bringt im Parlament die Themen wie Folter und Polizeiwillkür immer wieder auf die Tagesordnung. Denn sie haben über Jahrzehnte erfahren, was es heißt, unterdrückt zu werden. Sind die Moslembrüder also Garanten für Menschenrechte? Heba Morayef von humanrightswatch in Kairo meint dazu:
"Sollte Mursi gewinnen, wird er nicht sofort die Konfrontation mit dem Militär suchen, aber über die nächsten 10 Jahre wird sich die Bruderschaft in ihren Kernthemen, wie Abschaffung von Folter, breit machen". Sie relativiert die Aussage aber, weil die Moslembruderschaft mit der Freiheits- und Gleichheitspartei, ebenfalls Standpunkte "gerade im Zusammenhang mit Frauenrechten [vertritt] und auch den Rechten religiöser Minderheiten [..], die mit Gleichheit der Bürger wenig gemein haben."

Was macht die Revolutionsjugend?

Wie Mustafa, wurde auch Aida al Kashef ein Opfer der Militärgewalt. Sie ist Filmemacherin und Menschenrechtsaktivistin und sie boykottiert die Wahl von Anfang an. Für sie sind die Präsidentschafts- wie schon die Parlamentswahlen, ein inszeniertes Schauspiel des Militärs und der alten Regierung. Sie meint, dass es so aussehe, "als bekommen sie viele Stimmen der liberalen Revolutionäre, weil die Shafiq niemals wählen würden. Aber ich glaube nicht, dass Mursi auch nur einen Funken besser ist. Beide sind gleich schlimm. Natürlich kann die Bruderschaft versuchen alle jene vor Zivilgerichte zu bekommen, die seit Januar 2011 vor Militärgerichten abgeurteilt werden. Aber sie müssen uns auch versprechen über Frauen zu sprechen. In ihrem Programm taucht davon nichts auf!"

Alte und neue Slogans auf dem Tahrir

Gestern wie heute wird auf dem Tahrir demonstriert. Die Slogans richten sich vor allem gegen Ahmed Shafiq. Der Feloul (ein Schimpfwort für Mubarak-Leute) steht symptomatisch für das alte Regime, die Korruption und die Verbrechen, die seit einem Jahr an Demonstranten begangen werden. Gleichzeitig ist er Teil des militärischen Apparats. Er vereinigt insgesamt 23% der Wählerstimmen. Gleichzeitig scheint es, als stellten sich die restlichen 77% des Landes gegen ihn. Auch wenn nur einige tausend auf dem Tahrir demonstrieren, drehen sich die meisten Gespräche in den Kaffes und Taxen der Stadt darum, dass er ein Dieb und Verbrecher.
Gleichzeitig versucht Mohamed Mursi im liberalen Wählerpool nach Stimmen zu fischen. In seinem heutigen Interview sagte er, dass es keine Kopftuchpflicht für Frauen geben werde. Die Menschenrechts-Community in Kairo sieht eine Gefahr darin, dass Mursi die Stimmen der Salafisten (die weitgehend für Aboul Fatouh gestimmt haben) ausreichen, um Mursi zum Präsidenten zu küren.

Sammy Khamis

Eine Frau hält den Kairoer Verkehr auf, um das Bild von Shafiq als Teufel zu zeigen

Demokratie auf der Straße

In den letzten Tagen habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, wie demokratisch es ist, gegen eine "saubere" Wahl zu demonstrieren. Kann man ein Ergebnis anfechten, nur weil es einem nicht in den Kragen passt? Die Antwort ist diesem Fall nicht einfach. Aber eigentlich gibt es ein Gesetz, das es ehemaligen (Mubarak-)Ministern verbietet, für das Präsidentenamt zu kandidieren. Bei Shafiq wird es nicht angewandt, da der Militärrat blockiert. Zusätzlich meinte die Moslembruderschaft, dass sie keinen Kandidaten stellen wollten. Auch das also ein legitimer Grund, um auf die Straße zu gehen. Hinzu kommt die Furcht, dass der Militärrat seine Befugnisse nicht einfach abgeben wird.

Ägyptens Demokratie wird also nicht nur an der Wahlurne oder an den Schreibtischen der Richter, sondern auch auf der Straße lebendig. Verschiedenste Stimmen und Meinungen, soziale Gruppen und Institutionen (wie die Fußball-Ultras) sind auf dem Platz und leben plurale Demokratie. Was der Militärrat davon hält werden wir in den kommenden Wochen sehen. Neben dem Mubarak-Urteil am 2. Juni, steht auch das Urteil im Verfahren gegen Shafiq (11. Juni) aus. Es geht darum, ob er endgültig ausgeschlossen werden soll, oder nicht. Was auch passiert, die Konflikte zwischen Militär und Teilen des Volkes werden durch die Wahl nicht weniger.