Erstellt am: 28. 5. 2012 - 18:05 Uhr
"Cyber Crime"
Deutsche Verlags Anstalt
Sinistere Ganoven in düsteren Spelunken - das war sowas von gestern. Der moderne Kriminelle erledigt seine Arbeit vom Computer aus. Wie das funktioniert, was für Verbrechen da verübt werden und was für Leute dahinter stecken, darum dreht sich "Cyber Crime - Kriminalität und Krieg im digitalen Zeitalter" von Misha Glenny.
Zwei Jahre lang hat der Autor, der sich bereits in früheren Arbeiten eingehend mit dem organisierten Verbrechen beschäftigt hat, für dieses Buch recherchiert und mit unzähligen Personen - Ermittlern sowie Cyberkriminellen - gesprochen. Das Ergebnis ist eine spannende Geschichte über Entstehung und Fall des Darkmarket. Der Darkmarket war ein Online-Forum, in dem sich Kriminelle und solche, die es werden wollten, austauschen und kennenlernen konnten. In solchen Foren selbst passieren keine eigentlichen Verbrechen, sondern sie dienen lediglich als Plattform, als Brücke zwischen Anbietern und Kunden. Das wichtigste Thema war dabei der Kreditkarten-Betrug. Diejenigen, die dem nachgehen, bezeichnen sich als Carder. Sie handeln mit Kreditkarten-Informationen und sogenannten Skimmern - Geräte, mit denen diese Informationen heimlich ausgelesen werden können - und mit diesen Daten stehlen sie schließlich Geld von Konten auf der ganzen Welt. Manche von ihnen scheffeln Millionen.
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Glenny stellt einige der wichtigsten Figuren der Online-Carder-Szene vor: cha0, JiLsi, Lord Cyric, Iceman. Sie klingen wie Superschurken aus Batman, sind aber in Wirklichkeit Hacker, vor denen kein Rechner sicher war. Sie kommen aus vielen verschiedenen Ländern der Welt und haben alle unterschiedliche Backgrounds. Glenny stellt sie dem Leser vor, indem er als erstes das Setting erläutert, aus dem sie stammen. Dabei erfährt man über die Geschichte Odessas, über Politik in Istanbul, Bürgerkrieg in Sri Lanka. Dann erzählt Glenny die persönlichen Geschichten der Personen. Somit hat der Leser die Personen innerlich vor Augen - den Ermittler, der von seinem Vorgesetzten unter Druck gesetzt wird, den armen Jungen aus Indien, der zum Kreditkartenbetrüger wurde, um seine Schulden zu tilgen...
Weitere Buchrezensionen
Zugegeben, an manchen Stellen sind die Beschreibungen plakativ und wirken etwas aufgefettet, zum Beispiel wenn Glenny erklärt, wie eine DDoS-Attacke mittles Botnets funktioniert:
Das Virus infiziert Tausende von Computern. Solche Rechner werden dann als Zombies bezeichnet und haben die Stellung von Drohnen, die unter dem Kommando des mächtigen Command-and-Control-Servers stehen. Unter fast allen praktischen Gesichtspunkten funktionieren sie weiterhin als ganz gewöhnlicher Computer. Der normale Nutzer bemerkt nicht, dass sein Rechner nun ein Soldat in einer riesigen Armee der Digitalen Toten ist.
Aber, so reißerisch das klingt, es erleichtert doch das Verständnis auch für Leser, die mit der Materie sonst nichts am Hut haben.
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Besonders spannend sind die Schilderungen des Autors über die Verwicklungen der Kriminal-Behörden. FBI, Secret Service, verdeckte Ermittler, die sich gegenseitig ins Visier nehmen, Doppelagenten, von denen niemand mehr weiß, auf welcher Seite sie eigentlich stehen, und niemand kann im Internet mit Sicherheit sagen, mit wem er es nun tatsächlich zu tun hat.
Aber das spannendste an dem Buch ist, dass es wahr ist und für jeden von uns so nahe - man braucht nur die Namen aus dem Buch googlen und findet Berichte und Artikel über sie. Und da - unter dem Wired-Artikel über die Festnahme des Carders cha0 - findet man tatsächlich Postings von einem Lord Cyric und einem General Cha0. Ob die echt sind? So echt wie alles, was man im Internet findet.