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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

27. 5. 2012 - 19:12

EM-Journal '12-06.

Der Countdown zur Fußball-EM. Mit einer Einschätzung aller Mannschaften. Heute in Teil 5: das total zersauste Dänemark.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Heute: ein genauerer Blick auf eines der 16 teilnehmenden Teams - Dänemark

Bisher erschienen
1) England
2) Tschechien
3) Portugal
4) Irland
Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journal '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

Siehe auch: Afrika-Cup-Journal '12 . Upcoming, im August: ein Journal zu dem London-Olympics.

FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen.

Am gestrigen Testspiel-Samstag haben sich die vier Starter in der allgemein als Todesgruppe bezeichneten Gruppe B dieser Euro allesamt blamiert: Deutschland pickt gegen die Schweiz noch am Hühnerhof anstatt mit den Adlern zu fliegen, Portugal zeigt daheim alle angesprochenen Schwächen und remisiert gegen Mazedonien, die Niederlande schaffte nur eine brauchbare Halbzeit und fing sich in der letzten Sekunde noch eine Niederlage gegen Bulgarien ein. Die drei können mit ihrer Performance aber durchaus leben, Starter 4, Dänemark hingegen, wurde von seinem Gegner (man stand in Hamburg Brasilien gegenüber) schlicht und ergreifend vernichtet. Nach einer Viertelstunde war alles vorbei, die großteils aus Nachwuchs-Stars der heimischen Liga zusammengesetzte Seleção fuhr danach mit halber Kraft einen klaren Sieg nach Hause.

Das wirft meine geplante Vorgangsweise über den Haufen. Das Team von Morten Olsen wird nämlich von den Experten (den wirklichen, den internationalen Coaches und Taktikbloggern, nicht denen, deren Köpfe jetzt von den Boulevard-Medien präsentiert werden...) im Vorfeld zu einem echten Geheimfavoriten gemacht (zu den Gründen dafür später). Ich hatte vor, da drastisch zu widersprechen. Das kann ich mir nach der letzten Vorstellung in die Haare schmieren: woran es beim aktuellen dänischen Team hapert, haben jetzt alle gesehen. Es gilt also die jetzt völlig absurd anmutende Expertendarstellung von davor halbwegs nachvollziehbar zu machen.

Die grundsätzliche Philosophie von Team Dänemark ist mit der von Team Eire vergleichbar: man hat als Zwerg eigentlich keine Chance, also bedarf es einer extrastarken Anstrengung, was Taktik, System, Matchplan und Präzision in der Umsetzung betrifft. Der Unterschied von Morten Olsen zu Trapattoni - das systematische Hinzuziehen der dänischen Hauptressource: Talent. Das ist zwar nicht mehr im Umfang der Generationen Laudrup/Schmeichel/Elkjær/Arnesen vorhanden, allerdings wachsen bei der Olsen-Gang immer noch alle paar Jahre junge Spieler dazu; zuletzt waren das Bendtner, Kjær und Eriksen, die nächsten stehen schon bereit.

Die Olsen-Bande: taktisch perfekt, personell überfordert

Die Olsen-Bande 2012:

Tor: 1 Stephan Andersen (Evian/FRA), 16 Anders Lindegaard (Manchester United/ENG). Nach Sörensens Verletzung wird am 29. Mai 22 Kasper Schmeichel (Leicester) nachberufen.

Abwehr: 6 Lars Jacobsen (FC Kopenhagen), 18 Daniel Wass (Evian/FRA), 3 Simon Kjær (Roma/ITA), 4 Daniel Agger (Liverpool/ ENG), 5 Simon Busk Poulsen (AZ Alkmaar/ NED), 12 Andreas Bjelland, 13 Jores Okore (Nordsjaelland).

Mittelfeld: 7 William Kvist (Stuttgart/DEU), 15 Michael Silberbauer (Young Boys/SUI), 2 Christian Poulsen (Evian/FRA), 21 Niki Zimling (Brugge/BEL), 19 Jakob Poulsen (Midtjylland), 14 Lasse Schøne (Nijmegen/NED), 8 Christian Eriksen (Ajax/NED), 20 Thomas Kahlenberg (Evian/FRA).

Offensivkräfte: 9 Michael Krohn-Dehli, 10 Dennis Rommedahl (Brondby), 11 Nicklas Bendtner (Sunderland/ ENG), 23 Tobias Mikkelsen (Nordsjaelland), 17 Nicklas Pedersen (Groningen/NED).

Verletzt out: Tormann Thomas Sørensen (Stoke/ ENG).

Genau die seit langem und in hartnäckigem Feintuning betriebene taktische Arbeit von Langzeit-Coach Morten Olsen wird als Qualitäts-Garantie angesehen. In der Qualifikation hielt man eine individuell besser besetzte Mannschaft (Portugal) klar in Schach.
Das gelingt mit einem detailliert ausgearbeiteten 4-2-3-1 mit zwei Hybrid-Sechsern von hoher Güte, zwei durch Vorstöße ins Zentrum für Verwirrung sorgende Flügel, dem unberechenbaren Zehner Eriksen und der Weltklasse-Spitze Bendtner, sowie gute Standards und ein hartes Pressing.

Soweit die Positiva. Denn in jeder Formation gibt es einen Haken.
Tormann Sörensen etwa ist nicht mehr der große Halt seiner früheren Tage. Aktuell riecht es nach einer Ablöse durch Stephan Anderson (was dann - durch Verletzung Sörensens am 28. 5. auch Realität wird).
Die Außenverteidiger-Positionen sind nach der Verletzung von Jungstar Nicolas Boilesen (Ajax) und einigen Formkrisen echte Schwachpunkte.
Der fehleranfällige Kapitän Christian Poulsen hat seinen Stammplatz in der Mittelfeldzentrale eigentlich verloren, wird aber trotzdem eingesetzt.
Dass und wie die Außenspieler Rommedahl und Krohn-Dehli auszuhebeln sind, hat selbst Ried im Europacup gegen Brondby aufgezeigt.
Und für Bendtner und Eriksen vorne drin gibt es keinerlei Back-Up.

Fazit: für das, was Olsens System tragfähig macht, fehlt Team Danmark momentan die individuelle Klasse. Die war schon bei der letzten WM (die, zurecht, zu den Rücktritten von und die Rücktritte von Grønkjær, Martin Jørgensen oder Tomasson führten) nicht in ausreichendem Maße vorhanden. An dieser Crux hat sich nichts geändert - für die neu Hinzugezogenen (vor allem am Überraschungsmeister Nordsjaelland berauscht sich aktuell ganz Fußball-Dänemark) kommt die Euro wohl noch zu früh.

Das Resultat: der Hamburger Untergang gegen eine brasilianische B-Elf. Dem gilt es entgegenzuhalten, dass keiner der zu erwartenden Gegner taktisch auch nur ansatzweise so wie diese Seleção (mit einem echten 4-3-3 und einem echten Zehner, dem Juniorenweltmeister Oscar) auftreten wird.

Wer fehlt?

Neben dem angesprochenen Boilesen und den zurückgetretenen Oldies auch noch die alterstechnisch zurückgelassenen Per Krøldrup (Fiorentina), Peter Bo Svensson (Mainz), Peter Løvenkrands (Newcastle) und Morten Skoubo (Odense).

Verteidiger Yannick Vestergaard (Hoffenheim/DEU), der schon als Nominee für den Großkader gehandelt wurde, fiel im letzten Moment raus.
Keine Chance gab es für Thomas Enevoldsen (Groningen), Morten Rasmussen von Celtic, Jesper Jørgensen aus Gent, Nicolai Jørgensen aus Kaiserslautern und Mikkel Beckmann vom Meisterteam.

In der Quali noch dabei: Mathias Jørgensen, Martin Vingaard (FCK/DEN) und Leon Jessen (FCK/DEU), Daniel Jensen (Novara) und Mads Junker (Roda).

Und ja, das sind allesamt nicht die Brausekicker, die das Brasilien-Match herumgerissen hätten.

Was steht zu erwarten?

Bleibt noch der Hinweis, dass ich alle UserInnen ersuche, mich doch auf ihnen allfällig fehlende Namen und Taten hinzuweisen; entweder im Forum oder per Mail (martin.blumenau@orf.at) - ich habe sicher den einen oder anderen Frederik Sørensen übersehen.

Es mag blöd klingen, aber: vor dem Test-Debakel hätte ich Morten Olsen und Team Danmark keine Chance gegeben, vor allem in der Höllenfahrtsgruppe B. Zu wenig ambitioniert erscheint mir Ausrichtung und Personal. Es sah so aus, als würde man sich mit dem Erreichen des Erfolgs von 2010 zufriedengeben (und das war ein keineswegs unglückliches Aus in der Gruppenphase, inklusive einer fast wehrlosen Performance gegen die Niederlande).
Vielleicht bewirkt der Schock da eine Neuorientierung, womöglich findet jemand noch ein Stückerl Danish Dynamite im Keller und fabriziert ein schönes Arschfeuer. Andernfalls droht ein in seiner Deutlichkeit unschöner früher Abgang von dieser Euro.