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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

26. 5. 2012 - 20:42

EM-Journal '12-05.

Der Countdown zur Fußball-EM. Mit einer Einschätzung aller Mannschaften. Heute in Teil 4: der Außenseiter Irland, ab dem Herbst Gegner Österreichs.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Heute: ein genauerer Blick auf eines der 16 teilnehmenden Teams - Irland

Bisher erschienen
1) England
2) Tschechien
3) Portugal

Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journal '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

Siehe auch: Afrika-Cup-Journal '12 . Upcoming, im August: ein Journal zu dem London-Olympics.

FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen.

Die Geschichte von Aiden McGeady erzählt eine Menge. Der jetzt in Moskau engagierte Trickser und Dribbler ist Schotte, lebte und spielte sein gesamtes jugendliches Fußballerleben dort. Als er mit 14 immer noch nicht in ein schottisches Nachwuchsteam berufen wurde, fragte er von sich aus nach und bekam eine abschlägige Antwort. Sein nächster Ansprechpartner, der irische Verband, sagte ihm sofort einen Platz zu. Seitdem spielt McGeady für Eire. Das Aufnahme-Kriterium dafür ist nämlich nicht die Staatsbürgerschaft, es reicht einen irischen Großelternteil vorzuweisen.

Seit der irische Verband (FAI) sich diesen Schmäh ausgedacht hat (etwa seit dem Engagement von Jack Charlton, spielt der irische Fußball eine Rolle - nicht was die Liga betrifft, auch nicht was große Spieler angeht, sondern ausschließlich über eine solchermaßen künstlich gezüchtete Nationalmannschaft.
Anders als etwa die Türkei, die die Nachfahren ihrer Diaspora scoutet, anders als die Ölscheichtümer am Golf, die sich ihre Teams zusammen kaufen, hat sich die Republik Irland ein Nationalteam zusammen gekrallt, das aus jenen besteht, die es in England oder Schottland nicht ganz schaffen und sich mittels eines historisches Konstrukts und ein bissl Opa/Oma-Feeling eine zweite Identität schaffen.

Das klingt stark nach Zweitklassigkeit; und dort findet sich das irische Team auch, seit den 90ern. Da man vorher aber dritt- oder viertklassig war, hat sich der Trick aber ausgezahlt.

Weil es für die irische FA aber nicht darum geht, Spieler in der heimischen Liga zu entwickeln, ist Giovanni Trapattoni der ideale Coach: ein Trainer-Oldie, der auf strikte Defensive, ein genau eingehaltenes Konzept und auf ältere Spieler setzt, mit denen er - wie bei einem Clubteam - über Jahre hin diese Underdog-Strategie üben kann. Dementsprechend tritt Irland auch auf. Mit einem steinzeitlichen, aber gut geölten flachen 4-4-1-1 mit zwei Wadlbeißern in der Zentrale, vielen langen Bällen und ausschließlich Angriffen über die Flanken. Dazu kommen Körperbetontheit und die Konzentration auf Standards. Alles Faktoren, die es auch einem zweitklassigen Team ermöglicht die Großen zu ärgern. Das hat Irland in der Quali getan, das haben sie auch bei der Euro vor.

Eine Menge Zweitbester fürs virtuelle Vaterland

Traps Team:

Tor: 1 Shay Given (Aston Villa), 16 Keiren Westwood (Sunderland), 23 David Forde (Millwall).

Abwehr: 4 John O'Shea (Sunderland), 12 Stephen Kelly (Fulam), 5 Richard Dunne (Aston Villa), 3 Stephen Ward, 18 Darren O'Dea (Leeds), 2 Sean St. Ledger (Leicester).
Für den verletzten Kevin Foley (Wolverhampton) wurde 13 Paul McShane (Crystal Palace) nach-nominiert.

Mittelfeld: 5 Glenn Whelan (Stoke), 8 Keith Andrews (West Bromwich), 15 Darron Gibson (Everton), 11 Damien Duff (Fulham), 7 Aiden McGeady (Spartak Moskau/RUS), 17 Stephen Hunt (Wolverhampton), 22 James McClean (Sunder-land).
21 Paul Green (Derby County) wurde für den verletzten Keith Fahey (Birmingham) nach-nominiert.

Angreifer: 10 Robbie Keane (L.A. Galaxy/USA), 9 Kevin Doyle (Wolver-hampton), 10 Shane Long, 20 Simon Cox (West Bromwich), 14 Jonathan Walters (Stoke).

Players on standby: Tormann Darren Randolph (Motherwell/SCO); Seamus Coleman (Everton), Andy Keogh (Millwall).

Natürlich hätte man es anders lieber: Akteure wie Liam Brady, Paul McGrath, David O'Leary oder der große Roy Keane, die tatsächlich noch für eine irische Identität standen. Dessen Nicht-Bruder Robbie ist jetzt last hero standing, Torhüter-Legende Shay Given, Blondie Dunne, Ex-ManU-Pflock O'Shea und der angegraute Damien Duff geben dem Team noch ein Gesicht. Die anderen sind brave Premier League/Championship-Racker, die Trap seit Jahren im Training über den Platz schiebt, um sie taktisch fit zu machen.

Für Junge, für echten Nachwuchs, der es aus den irischen Ligen an die englischen Honigtöpfe schafft, bleibt da kein Platz: James McCarthy von Wigan etwa wurde von Trap so lange gemobbt, bis er aufgab - offiziell wegen der Krebserkrankung seines Vaters; James McClean ist alibiweise nominiert, wird aber keine Spielzeit bekommen und Seamus Coleman ist nur auf Abruf. Auch die Schwere der Verletzung von Kevin Foley ist strittig.

Natürlich würde man lieber einer Mannschaft zuschauen, die mitspielt, die kreativ spielt, anstatt einem Team, das sich durch eine hocheffektive Einigel-Taktik Gegentor-frei hält und dann versucht, aus zwei, drei Gegenstößen ein Tor zu machen.

Natürlich.
Nur: mehr geht sich nicht aus, solange die FAI ihre Direktive hochhält. Und Trapattoni als Coach hat. Weshalb nur erschütternde Ereignisse wie etwa ein brachiales Scheitern in der Euro Konsequenzen zeitigen könnten, die eventuell dazu führen, dass man klassische Aufbauarbeit betreibt anstatt sich fertig ausgebildete Mittzwanziger-Underdogs aus der englischen Premier League zu suchen, die über den erwähnten Opa verfügen und sich willig in ein taktisches Korsett der Mittelmäßigkeit pressen lassen.

Wer fehlt?

Neben dem erwähnten James McCarthy sind das vor allem so gut wie alle in Schottland (etwa Anthony Stokes bei Celtic) beschäftigten Spieler.
Dazu sind Kevin Kilbane (Hull) und Liam Lawrence (Portsmouth), die in der Quali noch dabei sind, in Ungnade. Tormann-Legende Paddy Kenny spielt Stamm bei QPR, hat aber eine Doping-Vergangenheit. Andere, die zuletzt einberufen wurden (im U25-Bereich waren das Shane Duffy von Everton, Keith Treacy von Burnley oder Leon Best von Newcastle), sind auch nicht besser als der aktuelle Kader.
Alternativen: Tormann Stephen Henderson (Portsmouth), Ciaran Clark von Aston Villa oder Wesley Hoolahan (Norwich).

Steven Reid von WestBrom ist verletzt.
Andere 2002er-Veteranen wie David Connolly (Southampton) oder Ian Harte (Reading)kamen nicht mehr in Frage.

Was steht zu erwarten?

Bleibt noch der Hinweis, dass ich alle UserInnen ersuche, mich doch auf ihnen allfällig fehlende Namen und Taten hinzuweisen; entweder im Forum oder per Mail (martin.blumenau@orf.at) - ich habe sicher den einen oder anderen Marc Wilson übersehen.

Ein neues Griechenland, wenn alles gut geht. Also eine Mischung aus Grauen und von niemandem gegönnter/nachvollziehbarer Erfolg; Chelsea hoch zwei oder drei.

Ein neues Lettland, wenn man es sympathisch sieht. Also ein limitierter Zwerg, der sein Bestes gibt und dabei eine brauchbare Figur macht.

Die Auslosung hat es ganz gut mit den Iren gemeint: vor allem Spanien, aber auch Kroatien suchen den Erfolg über das spielerische Element, dagegen kann das irische Team arbeiten. Nicht allzu erfolgreich wie ich hoffen will.