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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

26. 5. 2012 - 13:15

Songcontest, wir kommen!

Nach der Fahrt durch eine Wüstenlandschaft sind wir in Baku angekommen und erst einmal enttäuscht, wie vor den Kopf geschlagen.

Sagen wir mal so: Wem es in Stuttgart, Dubai oder Singapur gefällt, der wird hier auch alles super finden. Aber wir fragen uns: Sind wir 4.500 km gefahren um durch Marmorunterführungen zu Prachtstraßen mit leeren Dolce&Gabbana- Dior- und Gucci-Boutiquen zu gehen?

Marmor-Unterführungen in Baku

Christiane Rösinger

Salon Baku
Stermann und Grissemann kommentieren wieder den Eurovision Songcontest auf FM4. Am 26.05. ab 21 Uhr auf Radio FM4, als Videostream auf fm4.ORF.at und im Zweikanalton auf ORF1

Weitere Infos unter fm4.orf.at/salonbaku

Die Skyline ist natürlich beeindruckend, das Kaspische Meer riecht interessant nach Petroleum, aber dahinter liegt eine durchglobalisierte, schicke Stadt. Die erwarteten Bohrtürme fehlen, dafür gibt es pink angestrahlte Fontänen, beleuchtete Torbögen, Museen, Parks und Plakate zu Ehren des geliebten Führers Heydar Aliyev.

Die Baudevise in Baku lautet: Je höher desto besser und das möglichst schnell. Der höchste Fahnenmast wurde hier 2010, errichtet, jetzt aber um drei Meter von einem in Tadschikistan überholt.

Die Flame Towers, drei Türme in Flammenform, sind das Wahrzeichen Bakus - Aserbaidschan ist ja seit Urzeiten das Land des Feuers. Bald wird in Baku auch noch das höchste Gebäude der Welt stehen - das ist auch dringend nötig, denn die Flametowers, sind inzwischen abrutschende Neubauten. Sie können nicht bewohnt werden, sinken wegen des instabilen Untergrunds ständig ab und man munkelt, dass einer der Türme demnächst wieder abgerissen werden muss.

Flame Towers in Baku

Christiane Rösinger

Baku war schon um 1900 eine Boomtown. 1844 fand hier weltweit die erste Bohrung nach Erdöl statt. Spekulanten, die Nobels und die Rothschilds, erwarben hier Ölquellen, die repräsentativen Häuser dieser Ölbarone stehen teilweise noch und die Neubauten imitieren verschiedene historische Baustile.

Aber man muss Baku immer wieder eine neue Chance geben. Es gibt schattige, von Plantagen gesäumte Plätze mit Springbrunnen und italienisch anmutendem Flair. Hunderte Menschen flanieren nachts mit Kind und Kegel durch die Straßen. Dann sieht es wieder wie in Paris aus, nur viel sauberer und glatt poliert, die Stadt scheint von einem schlimmen Wisch- und Putzzwang befallen zu sein.

Wer die Diskussion um den Songcontest der letzten Wochen verfolgt hat, weiß ja, dass hier nicht demonstriert werden darf, dass kritische Journalisten im Gefängnis sitzen, Menschen aus ihren Häusern verjagt werden. Es gibt keine freien Wahlen, keine Opposition, keine unabhängigen Zeitungen und Fernsehsender.

Als durchreisender Tourist hat man jedoch nicht den Eindruck, die Leute würden unter der Situation leiden. Die Stimmung ist prima, an der Uferpromenade, dem Bulvar, ist eine Freilichtbühne aufgebaut, drum herum die übliche Sponsorenhölle: Mobilfunkanbieter, deutsche Kosmetikfirmen, Getränkehersteller.

Vor allem die vielen Jungcliquen, die unterwegs sind, sprechen uns freundlich an, wollen wissen, woher wir kommen. Die Verständigung ist schwierig, englisch sprechen wenige, manchmal kommt man mit französisch weiter, aber alle freuen sich über den Besuch und wollen hören, wie schön ihre Stadt ist, auf die sie wirklich stolz sind.

Park in Baku

Christiane Rösinger

Der Verkehr ist ein Alptraum in Baku. Fast einmal täglich werden sämtliche Zufahrtsstraßen gesperrt, was zu einem grandiosen Stau führt. Aber auch ohne Sperrung verkeilen sich die vielen überdimensionierten BMW-Mercedes-Porsche-Range Rover-Geländewagen in den Einbahnstraßen. Hier gilt das Recht des Stärkeren, wer rückwärts fahren oder ausweichen muss, hat das kleinere Auto oder ist ein Schwächling und hat somit verloren. Da ist es manchmal direkt erholsam, mit dem Shuttlebus zu der unwirklichen Songcontest-Landschaft am Ende der Bucht zu fahren.

Als akkreditierter Journalist hat man zwar Zugang zum Pressecenter, aber die neu erbaute Crystal Hall bleibt den Besuchern vorenthalten, die Karten kosten 150 bis 300 Euro. Am Bulevar im Stadtzentrum wurden die beiden Semifinale übertragen und geht es nach den Publikum hier, dann gewinnen die Großmütter, die Babuschkas aus Moskau.

Ihre Geschichte ist auch zu herzig: Sie singen seit vierzig Jahren in einem Dorfchor, haben beschlossen, beim Songcontest mit zu machen, um Geld für eine neue Kirche zu sammeln. Die Kollegen im Pressecenter wissen aber, dass der Song eine russisch-deutsche Koproduktion ist und die fidelen Großmütter gecastet wurden. Im aserbaidschanischen Fernsehen machen sie lustige Werbung, sie tanzen verrückt und singen dabei in Flaschen eines bekannten Getränkeherstellers. Das Geld für ihre Kirche müssten sie eigentlich schon zusammen haben.

Songcontest in Baku

Christiane Rösinger

Bei der Durchlaufprobe am Freitag durften wir Akkreditierte in die Halle und wissen schon in etwa, was am Samstag passiert. Bei den Buchmachern gilt ja die Schwedin als Favoritin, dabei ist ihr angedarktes, goth-haftes Lied eigentlich nichts für den Mainstream. Aber die liebevoll "mystische Pophexe" genannte Sängerin wirkt sehr eigen und sympathisch und besuchte auch als einzige Teilnehmerin "Sing for Democracy", die Veranstaltungen der Regimekritiker.
Die Italienerin liebt Amy Winehouse hat aber eine Lady Gaga-Frisur und gilt als sexy und cool, die Dänin hat viele Frauen in der Band und inszeniert sich als Straßenmusikerin, der türkische "Indiesänger" beeindruckt durch einen derwisch-inspirierten Fledermaustanz.

Wie immer beim Grand Prix versucht man durch Hochkulturzitate, regionale Besonderheiten, krasse Kostüme und sportliche Leistungen den Sangesbeitrag aufzuwerten.
Die sexy Geigerin in schwarz mit großem Ausschnitt, der trommelschlagende, flötenspielende Ureinwohner, klassischer Paartanz, fernsehballettartige Massenverrenkungen, Streetdance, Trapezturnereien und das Abseilen aus großer Höhe sind da die Standards. Frankreich hat es diesmal übertrieben: Drei stramme Turner mit nackten, stark definierten Oberkörpern führen überengagierte Flic Flacs, Salti und komplizierte Doppelschraubsprünge vor - das Lied gerät aber dadurch ganz in den Hintergrund und ist sofort vergessen.

Die russischen Omas haben hingegen eine neue Showvariante eingeführt: Während ihres Auftritts wird Brot gebacken! Neben all dem bleibt der deutsche Sänger Roman Lob ein wenig blass. Seine castingshowtypische Körpersprache und Mimik, die Natürlichkeit, Gefühl und Realness ausdrücken soll, langweilt schnell.

Sonntag früh wissen wir mehr. In Baku fängt die Show wegen der Zeitverschiebung erst um Mitternacht - wir müssen also bis 5 Uhr morgens ausharren.