Erstellt am: 25. 5. 2012 - 14:47 Uhr
Vom Suchen und Pfadfinden der Liebe
Cleo, Max, Sam und Souzy. In den letzten Jahren haben sich Kinder eingeschlichen in die Filme von Spike Jonze, Sofia Coppola und Wes Anderson. Ist ja irgendwie auch konsequent, stehen doch diese drei Regisseure - in all ihrer Unterschiedlichkeit - doch für Lebens- und Stilwelten, die vor allem von sogenannten kidults verehrt werden. Coppola, Jonze und Anderson haben eine bestimmte Sehnsucht formuliert, die hervorragend mit der nostalgiedurchtränkten Hipsterwelt der kidults korrespondiert.
Weitere Filmrezensionen
Kino für Kidults
Die träumerisch-schwebenden Bilder von Coppolas "The Virgin Suicides" ebenso wie die pastell- und kuchendominierte Welt von "Marie Antoinette", die wilde Ode an die mitunter rauen Seiten der Kindheit in Spike Jonze' Adaption von "Where the wild things are" und Wes Andersons quirky Retroarrangements. Sie alle haben einen Nerv im Zeitgeist-Körper getroffen und der heißt "Kindheit", egal ob man sich jetzt besonders gern dran erinnert, Rituale wiederholt oder sie einfach nachholt. In fast beißender Ironie werden in all diesen Welten die Kinder allerdings zu kleinen Erwachsenen. Max wird zum Chefkerl im Wald und kehrt schließlich nach Hause zurück, Cleo in "Somewhere" scheint aufgeräumter und weitaus geerdeter als ihr Vater, der dahindriftende Schauspieler.
tobis
Sam und Souzy
Und während bei Wes Anderson Kinder bis jetzt meist grandios-exzentrische Nebenfiguren waren, stehen sie in "Moonrise Kingdom" im Scheinwerferlicht seiner minutiös-manieristischen Welt. Sam und Suzy heißen die beiden, die nicht nur durch diese Alliteration aneinander gebunden sind. Die beiden 12-Jährigen sind Bausteine einer Amour Fou, wie sie die Insel von Penzance wahrscheinlich noch nie gesehen hat. Waise und Pfadfinder Sam, ein altkluger Brillenträger, der so ausschaut, wie man sich Allen Ginsberg als Kind vorstellt, liebt Suzy Bishop. Die wiederum trägt blitzblauen Lidstrich, Wimperntusche und hört Francoise Hardy. Mit einem gelben Koffer, einem Kätzchen in einem Korb und einem tragbaren Plattenspieler nehmen die beiden auf der Insel Reißaus. Es ist der Sommer des Jahres 1965.
tobis
Ein gerahmtes Bild von einem gestickten Haus, das an einer der Wände jenes Hauses hängt, das es abbildet. Als würde sich Wes Anderson tatsächlich ein wenig über sich selbst lustig machen, eröffnet jenes gestickte Bild "Moonrise Kingdom". Ein "Pars Pro Toto"-Schmäh, der einem zuzuzwinkern scheint, denn was sonst würde die Filme Andersons besser beschreiben, als ein akkurat gesticktes, kleinteiliges Bild in einem Rahmen. Style over substance Manierismus nennen es die einen (mit denen wollen wir aber nichts zu tun haben), eine eigene Handschrift nennen es die anderen. Und das ist noch untertrieben.
Neuer Font, wildes Herz
Wes Anderson hat nicht nur eine eigene Handschrift, sondern auch eine eigene Tinte, eigenes Papier und eine eigene Sprache. Seine Schriftart, so hätte man bis vor kurzem gesagt, ist Futura, sie zierte die Plakate und Abspänne von "Rushmore" bis "The Darjeeling Limited". Doch "Moonrise Kingdom" schnörkelt sich in einem Font über die Leinwand, der für den Film entworfen wurde. Das kann man bei einem Regisseur, der den Zufall wohl als seinen schlimmsten Feind betrachtet, schon als Zeichen für eine Veränderung deuten. Denn auch wenn "Moonrise Kingdom" ein Königreich des Dekors, eine Sinfonie des Bildarrangements und natürlich weiterhin ein Feuerwerk für retrohungrige Augen und Seelen ist, so schlägt im Innersten dieses Films ein wildes, ungezähmtes Herz.
tobis
Amour fou und Blitzschlag
Das äußert sich nicht nur in der ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen zwei 12-Jährigen, die Wes Anderson nicht für eine weitere Strophe in der eh schon viel zu langen Ballade des "Coming Off Age" nutzt, das spiegelt sich auch in den Schauplätzen. Anderson macht's wie Max und die wilden Kerle und geht in den Wald. Und die Natur, die lässt sich schon ein wenig schwieriger stets auf quirky und symmetrisch striegeln, als das Innenräume mit sich machen lassen. Zwar kann man aus Angelhaken und toten Käfern weltklasse Ohrringe herstellen, doch diese Natur, sie ist nicht bloß Bastellieferant für verliebte Waisenjungen oder gar nur idyllischer Hintergrund für Pfadfindercamps, nein, sie bäumt sich auf. Sturm, Regen, Unwetter, Blitze, Donner, ein brechender Damm. Eine Attacke mit einer Linkshänderschere, nervöse Zungenküsse, Suzys Erlaubnis an Sam, ihren Busen zu berühren und der von ihr unerstaunt geäußerte Satz "It feels hard", das alles ist in Wes Anderson Maßstäben Sex and Crime.
tobis
"Moonrise Kingdom" nennen Suzy und Sam ihren temporären Zufluchtsort in einer Bucht und wie Richie und Margot Tenenbaum sitzen auch diese Liebenden in einem kleinen, gelben Zelt. Dieses Zelt hochheben und dem wohligen Schmusen ein Ende bereiten, das wird Bill Murray übernehmen, der ebenso zum Kanon des Wes Anderson gehört, wie die Slow Motion Passage, fehlende Eltern, tote Hunde und die Einstellung aus der Vogelperspektive. Murray und Frances McDormand sind Mr und Mrs Bishop, Eltern von Suzy und drei kleinen Buben. Dysfunktional, wie sich das für Anderson'sche Erwachsene gehört, sprechen sie einander mit "Counsellor" an. Überhaupt sind die Erwachsenen in "Moonrise Kingdom" definiert über ihre Funktion, ihren Beruf und darin sind sie irgendwann erstarrt. Bruce Willis steckt in der Polizei- und Edward Norton in der Pfadfinder-Uniform, Tilda Swinton trägt als Bürokratin des Jugendamtes eine furchteinflößende kobaltblaue Robe und stellt sich auch mit "I'm social services" vor.
tobis
Unglücklich sind sie allesamt, diese Erwachsenen und irgendwie auch patschert. Eine Ausgeburt der Finesse und des Stilgefühls hingegen sind Suzys drei kleine Brüder, die in einer fantastischen Kamerafahrt zu Beginn des Films sich im Pyjama um einen Plattenspieler gruppieren, um sich Benjamin Brittens "A Young Person’s Guide to the Orchestra" anzuhören. Später werden sie kartenspielend am Boden sitzen und kaum merklich ihre kleinen Köpfe schütteln über ihren Vater, der mit nacktem Oberkörper und einer Axt in der Hand in den Garten taumelt.
tobis
Sehnsucht im Puppenhaus
Wenn der Teufel im Detail sitzt, dann ist "Moonrise Kingdom" die Hölle, denn niemand sonst orchestriert wie Wes Anderson Menschen, Dinge, Gesten und Sätze. Seine Welt sieht immer noch aus wie ein Puppenhaus, von dessen Ausstatter man die Nummer haben möchte, nur diesmal stampfen wilde Kerle durch die Geschichte um Sehnsucht, Verlust und - ich würd's Abenteuer Liebe nennen, wenn mir die 2raumwohnung diese Wortkombination nicht verleidet hätte. Nach "Moonrise Kingdom" will man den Film nicht noch einmal sehen, man will darin wohnen; Wes Anderson beschwört sehnsuchtsvoll einen Ort und eine Zeit, die es so wohl nie gegeben hat und ganz ähnlich machen es die kidults mit ihrer Kindheit.