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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 5. 2012 - 21:37

EM-Journal '12-03.

Der Countdown zur Fußball-EM. Mit einer Einschätzung aller Mannschaften. Heute Teil 2 mit den Außenseitern aus Tschechien.

Das EM-Journal 2012 begleitet täglich die Euro in Polen und der Ukraine, ähnlich wie schon das WM-Journal '10 beim letzten Großereignis.

Heute: ein genauerer Blick auf eines der 16 teilnehmenden Teams.
2) Tschechische Republik.

1) war gestern: England

Das alles im Rahmen des heurigen Fußball-Journal '12, welches sich - wie schon 2011 - mit den aktuellen Unwägbarkeiten dieses besten aller nicht lebenserhaltenden Systeme beschäftigt.

Siehe auch: Afrika-Cup-Journal '12 . Upcoming, im August: ein Journal zu dem London-Olympics.

FM4 hat auch diesmal wieder ein EM-Quartier im Wiener WUK, mit Public Viewing, Moderation und netten Gästen.

In der unauffälligsten Gruppe dieser bevorstehenden Euro, der Gruppe A, sind sie die womöglich Unauffälligsten: Gastgeber Polen steht im Fokus, über Russland wird ein wenig gemunkelt und Griechenland beäugt man streng. Was Michal Bilek und seine Tschechen so treiben, interessiert außerhalb von Böhmerwald, Sudeten, Erz- und Riesengebirge kaum jemanden.

Das hat mit der unauffälligen Qualifikation zu tun, in der man sich im Schatten von Spanien mit Ach und Krach in die Play-Offs rettete; und auch mit dem Abschied von einer Generation spektakulärer Stars. Cech, Rosicky und Baros sind die letzten dieser in den Nuller-Jahren immer für Überraschungen guten Crew um Pavel Nedved. Die Nachrücker haben nicht mehr deren internationale Leuchtkraft. Dazu kommt, dass Coach Bilek den Ball gern flach hält. Und schon wird, zumindest in der internationalen Betrachtung, aus einer vormals schillernden Truppe eine Partie grauer Mäuse.

Daheim gibt es aber auch einen anderen, durchaus hoffnungsfrohen Blick.
Festzumachen ist die Entwicklung der letzten paar Monate/Jahre etwa am Komplett-Austausch der gewohnten Abwehr. Die Euro '08 bestritt man mit Grygera, Ujfalusi, Rozehnal und Pospech. Die sind allesamt noch bei guten Vereinen (von Fulham über Galata bis Lille) im Ausland unterwegs - einberufen wurde keiner mehr. Die Abwehr besteht jetzt aus ausschließlich Unter30jährigen.
Oder am Anteil der Spieler, die in der tschechischen Gambrinus Liga tätig sind: bei der letzten Euro (die WM '10 verfolgten die Tschechen vorm Fernseher) waren das nur zwei (eine davon war Micha Kadlec, jetzt einer der Führungskräfte im Team) - diesmal sind es gleich sieben. Fünf davon kommen vom Champions League-Teilnehmer Viktoria Pilsen, dem besten Talente-Entwickler des Landes.

Das große Problem: Abhängen von Rosicky

Michal Bíleks 23:

Tor: 1 Petr Čech (Chelsea/ ENG), 16 Jan Laštůvka (Dnipropetrovsk/UKR), 23 Jaroslav Drobný (HSV/D)

Abwehr: 2 Theodor Gebre Selassie (Slovan Liberec), 5 Roman Hubnik (Hertha BSC/D), 6 Tomáš Sivok (Besiktas/TUR), 4 Marek Suchy (Spartak Moskau/ RUS), 3 Michal Kadlec (Leverkusen/D), 8 David Limberský, 12 František Rajtoral (Viktoria Plzen).

Nachtrag vom 28. 5.: Abwehrspieler Daniel Pudil (Cesena/ITA) wurde durch Mittelfeldakteur 22 Vladimír Darida (Viktoria Plzen) ersetzt, den Bilek eigentlich nur als Stand-By für den angeschlagenen Rosicky nominiert hatte.

Mittelfeld: 13 Jaroslav Plašil (Bordeaux/FRA), 17 Tomáš Hübschman (Shakhtar Donetsk/UKR), 19 Petr Jiráček(Wolfsburg/ D), 10 Tomáš Rosický (Arsenal/ ENG), 9 Jan Rezek (Famagusta/CYP), 11 Milan Petržela, 18 Daniel Kolář, 14 Václav Pilař (Viktoria Plzen).

Stürmer: 15 Milan Baroš (Galatasaray/TUR), 21 David Lafata (Jablonec), 20 Tomáš Pekhart (Nürnberg/D), 7 Tomáš Necid (ZSKA Moskau/ RUS)

Auf Abruf: Tormann Tomáš Grigar (Teplice)

Das größte Problem des aktuellen tschechischen Aufgebots ist aber die Abhängigkeit von Tomas Rosicky. Der hatte keine große Saison und ist zudem auch nicht wirklich fit. Rund um ihn als Offensiv-Chefautor, als vielleicht letzten klassischen Zehner, baut Bilek aber sein System auf: Alleskönner Plasil spielt einen modernen Hybrid-Sechser/Achter (Jiracek wird den konventionelleren Part geben) hinter dem kleinen Arsenal-Star, zwei schnelle Flügel (Pilar und wohl Rezek) flankieren den Kapitän.

Wenn Rosicky ausfällt (und irgendwie riecht es danach) dann wird es eng. Kolar ist international zu grün, Sparta-Kapitän Marek Matejovsky wurde erst gar nicht nominiert, Jiri Stajner ist zu deutlich überm Zenit. Einen Plan B hat das Team Bilek/Komnacký/Stejskal nicht. Vielleicht wird das historische Momentum Václav Pilař in eine wichtige Rolle spülen, aber das sind jetzt bereits wirklich wilde Spekulationen.

Die zweite Schwäche von "Team Czech Republic" - neben der Abhängigkeit von Rosicky - ist die mangelnde Qualität im Angriffs-Zentrum. Milan Baros ist kein echter Killer mehr, der ungelenke Necid konnte sich im Team nie so recht behaupten, es wird wohl Pekhart die Notlösung sein. Die Tatsache, dass Ex-Austrianer David Lafata auch mit dabei ist, sagt schon einiges aus.

Die Stärke der Tschechen liegt hinten: Tormann Petr Cech ist ein echter Welttorhüter ohne Fehl und Tadel; Theo Gebre Selassie hat sich überraschend schnell etabliert, mit Sivok, (trotz Hertha-Abstrichen) Hubnik und Kadlec steht man sehr gut da.

Wer fehlt?

Neben den bereits Genannten, vor allem den Abwehr-Oldies und Matejovsky sind Jan Polak von Wolfsburg, Kamil Vacek von Chievo, Jan Rajnoch von SivasSpor, Mario Holek von Sparta Prag und Roman Bednar von Blackpool nicht dabei. Ich vermisse auch Vaclav Kadlec von Sparta Prag.

Bileks Team besteht fast durchgehend aus Über25jährigen, für jüngere Spieler ist kein Platz, das sieht wie ein eher unsympathisches Prinzip aus: Tomas Kalas (Vitesse), Ondrej Mazuch (Dnipro), Ondrej Celustka (Trabzon) oder Libor Kozak (Lazio) warten noch auf ihre Chance, Supertalent Ladislav Krejci ist zudem verletzt.

Michal Hubnik halfen seine Ortskenntnisse in Warschau nichts, Martin Fenin bleibt das Schicksal des tragischen Talents.

Was steht zu erwarten?

Bleibt noch der Hinweis, dass ich alle UserInnen ersuche mich doch auf ihnen allfällig fehlende Namen und Taten hinzuweisen; entweder im Forum oder per Mail (martin.blumenau@orf.at) - ich habe sicher den einen oder anderen Rudi Skacel übersehen.

Als unbeachtete Mannschaft in einer unbeachteten Gruppe kann man, wenn man flexibel bleibt, einiges erreichen. Genau diese Flexibilität wäre jetzt gefragt: Wenn die Knackpunkte (was passiert, wenn Rosicky/Baros ausfallen oder floppen?) erfolgreich aufgelöst werden, kann sich Bileks Team auch fürs Viertelfinale qualifizieren. Bleiben sie in einer Schockstarre, werden sie überrollt werden.

Ein wenig erinnert das alles an den englischen Patienten von gestern, fällt mir gerade auf...