Erstellt am: 23. 5. 2012 - 10:56 Uhr
Ägypten wählt
Sammy Khamis berichtet heute auch in FM4 Reality Check über die Wahlen in Ägypten - ab 12 Uhr auf FM4!
Heute in Kairo:
- Wen wählst Du?
- Ich wähle Amr Moussa.
- Wie kannst Du nur Amr Moussa (den ehemaligen Außenminister und Generalsekretär der Arabischen Liga) wählen?
- Er ist der einzig moderate.
- Er ist ein Feloul (ein Mitglied der Mubarak-Regierung)
….
Die Diskussion geht ewig weiter. Ich drehe mich derweil weg. Mit einem Lächeln, denn der Wahlkampf in Ägypten stimmt mich zuversichtlich. Erst zum zweiten Mal nach 2005 wird mehr als ein Kandidat zur Präsidentschaftswahl zugelassen. Zum ersten Mal in der Geschichte Ägyptens kann man vor der Wahl nicht sagen, wer das Land regieren wird. Deshalb auch die angeregten und anregenden Diskussionen auf den Straßen.
Diese sind voll von den Plakaten der Kandidaten. Im einen Stadtteil dominiert der liberale Hamdeen Sabahi, im anderen der Kandidat der Muslimbruderschaft Mohamed Mursi. Fährt man auf der Stadtautobahn so springen einem die farbenfrohen Plakate der großen, alten und aussichtsreichsten Anwärter entgegen: Ahmed Shafik, Abdel Moneim Aboul Fotouh und Amr Moussa.
Namen prasseln wie Regen auf einen ein
Im Minutentakt fallen die Namen um mich herum. Sie prasseln auf mich ein wie nur allzu selten Regen auf die Straßen Kairos. Am 23. und 24. Mai wählt Ägypten einen neuen Präsidenten. Derzeit stehen alle genannten Kandidaten relativ gleichauf. Um die 40 Prozent der Wahlberechtigten wissen noch nicht, wem sie ihre Stimme geben werden. Es wird wohl die Stichwahl am 16. und 17. Juni brauchen, um am 21. Juni den neuen Präsidenten zu ernennen.
Der Pharao und seine Erben
Heute wurde in der Innenstadt ein neues Mural fertiggestellt. Es ist eine Mischung aus einem Herrscherstammbaum der jüngsten ägyptischen Geschichte und zeigt neben Hosni Mubarak und dem Feldmarschall Hussein Tantawi die beiden Präsidentschaftskandidaten Amr Moussa und Ahmed Shafik. Es wird klar: Beide kommen aus der Regierung Mubaraks und sind sogenannte Feloul, ein abwertender Begriff für ehemalige Mitglieder der Regierung. Davor steht Ahmed, 34. Er sieht aus wie einer, der im Januar 2011 und seitdem immer wieder auf dem Tahrir stand. Ich schaue zweimal hin. Auf seiner Brust prangen sechs Buttons der Moslembruderschaft.
Sammy Khamis, Park 15
Sieht so ein Moslembruder aus? Ich frage ihn, wen er wählen wird, und er antwortet: Mohamed Mursi, den Kandidaten der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Moslembruderschaft. Und weshalb? Weil alle anderen mit der Regierung zusammen gearbeitet hätten und deshalb nicht integer wären, meint Ahmed in einer Mischung aus Arabisch, Englisch und Deutsch. Wie es um Aboul Fotouh stehe, den anderen, moderateren Kandidaten aus dem politischen Islam? Nein nein nein, Mursi sei besser. Er habe sieben Uni-Abschlüsse und nur weil er keine Reden halten könne bedeute das nicht, dass er kein guter Präsident werde. Ich danke ihm - lächelnd. Jetzt war ich Teil der ägyptischen Wahlen.
Freiheit, Demokratie, Essen und Arbeit
Auf facebook lese ich dann die Statusmeldungen meiner Freunde. Alles und alle sind darin vertreten: Moussa, Fotouh, Mursi etc. Aber man kann eine Gemeinsamkeit erkennen: Es geht nicht mehr als erstes um Freiheit, Gleichheit oder Demokratie. Sondern es geht zusätzlich auch um Essen und Arbeit. Die Wähler werden pragmatisch, die Kandidaten hoffentlich auch. Ideologien braucht der neue Präsident nicht, denn diese lösen die dringendsten Probleme des Landes ebenso wenig wie polarisierende Phrasen. Vielmehr braucht Ägypten einen moderaten Alleskönner. Er muss mit seinem Volk sprechen können. Gleichzeitig mit einem islamisch dominierten Parlament umgehen können. Er muss die Macht des Militärs schwächen und die Wirtschaft ankurbeln, Jobs schaffen und das Gesundheits- wie das Bildungssystem reformieren. Nebenbei stehen der Tourismus sowie die Verkehrsprobleme Kairos auf der To-Do-Liste. Präsident zu werden ist in Ägypten nicht leicht. Ein Land nach einer Revolution zu führen noch schwieriger.
Schau mer jetzt endlich!
Ich gebe Ahmed die Hand, um mich zu verabschieden. Ich frage ihn noch, wen er wählen wird, falls Mursi es nicht in die Stichwahl schafft. Er schaut verdattert, antwortet dann: "Hanshouf - Wir werden sehen". So entspannt, so ambitioniert, so reflektiert und so friedlich wie Ägypten sich vor der Wahl zeigt, wird ist ein Hanshouf kein "Schau mer mal", sondern ein "Endlich geht es weiter!".