Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die Walze überrollt uns sanft"

Christian Pausch

Irrsinn, Island, Ingwer.

24. 5. 2012 - 11:56

Die Walze überrollt uns sanft

Die isländischen Ausnahmekünstler Sigur Rós veröffentlichen ihr sechstes Studioalbum "Valtari".

Eva Brunner hat Sigur Rós-Bassist Georg Hólm zum neuen Album "Valtari" interviewt. Zu hören heute in der FM4 Homebase (19 - 22).

Vor vier Jahren haben Sigur Rós ihr letztes Studioalbum präsentiert. "Með suð í eyrum við spilum endalaust" - "Mit einem Summen in den Ohren spielen wir für immer" hat das letzte Album der Isländer geheißen und war für viele Fans - mich eingeschlossen - nicht ganz so leicht zu verdauen. Es ist ein Pop-Album gewesen, das Sigur Rós da 2008 präsentiert haben und mit runden, einfach gestrickten Popmelodien hat man ihre Musik zuvor nun wirklich nicht in Verbindung bringen können. (Auch wenn sich dieser Weg beim Vorgänger-Werk "Takk..." schon abgezeichnet hat.)
So viel sei vorweggenommen: Die damals schockierten Fans können beim neuen Album "Valtari" wieder aufatmen.

Sigur Rós Valtari

Sigur Rós

Nicht der Begriff "Pop" an sich, der in manchen Reviews benutzt wurde, war es, der vielen die letzte Sigur Rós-Platte madig gemacht hat, und auch die Musik selbst war nicht schuld. Es war etwas Persönlicheres, nämlich dieses exquisite Gefühl eine Musik, eine Band zu hören, ja zu lieben, mit der die meisten nichts anfangen können; dieses Gefühl wurde dem eingefleischten Fan genommen, durch eingehende Melodien und Mitsing-Refrains. Plötzlich waren alle Sigur Rós-Fans, haben Ö3-HörerInnen die CDs der Isländer bestellt und haben Leute die Konzerte von Sigur Rós besucht, die nicht einmal wussten, dass die Band aus Island kommt.

Pop goes the World

Am 4. September kommen Sigur Rós nach Österreich und bespielen abermals die Open Air Arena Wien. Das kann nur fantastisch werden!

Dass mir das alles wurscht sein kann und es nicht den Untergang der (Fan-)Welt bedeutet und (!) dass "Með suð í eyrum..." ein großartiges Album ist, habe ich erst in dem Moment verstanden, den meine Kollegin Nina Hofer hier sehr schön beschrieben hat, nämlich beim Live-Konzert in der Arena Wien. Dort hat sich mein Frust gelegt, denn ich habe verstanden, dass ich Sigur Rós nicht mehr alleine in meiner Wohnung hören muss, sondern ihre Musik nun auch bei Autofahrten mit Freunden, bei Grillparties mit der Familie und beim Fortgehen im Indie-Pop-Club erwünscht ist und dort auf einmal auch hin passt.

Sigur Ros

Wikocommmons/cc-by-sa-2.5_arni torfason

Und genau jetzt, wo ich mich sehr gut mit den zwei Gesichtern meiner Lieblingsband zurechtfinde, erscheint das sechste Album "Valtari" - "Walze" und überrollt mich und uns alle mit sphärischen Klängen in althergebrachter Sigur Rós-Manier. Soll mir nur Recht sein.

Vor einigen Tagen wurden Gerüchte laut, Sigur Rós würden sich auflösen, doch so schnell das die Spatzen von den Dächern gepfiffen haben, so flott wurde dementiert. Solche Gerüchte zeigen vor allem eines: Auch wenn sich die Musik wieder an früheren Alben orientiert, eines hat sich nicht verändert: Sigur Rós sind jetzt Popstars. Sie haben sich diesen Status - ob er ein Fluch oder Segen ist, wird sich zeigen - aber auch redlich verdient.

Sigur Rós Valtari

Sigur Rós

Mystery Film Experiment

Das neue Album wird auch Popstar-mäßig angepriesen und beworben: eine Special Edition, eingepackt in isländischer Schurwolle wurde herausgegeben, eine Pre-Listening-Session rund um die Erdkugel wurde für "Valtari" abgehalten und jeder der acht Songs auf dem Album erhält ein Video von einer/m anderen RegiesseurIn. So gibt es zum Song "Ekki múkk" - "Kein Piepser" bereits dieses Video von Inga Birgisdottir, die auch schon das Jónsi-Soloalbum gestalten durfte.

Die Band äußert sich auf ihrer Homepage zum Valtari Mystery Film Experiment: "With the films, we have literally no idea what the directors are going to come back with. None of them know what the others are doing, so hopefully it could be interesting." Das nächste Valtari-Video wird am 4.Juni veröffentlicht. Der Künstler Ragnar Kjartansson, der vor kurzem zusammen mit Sigur Rós-Keyboarder Kjartan Sveinsson das Projekt "Take me here by the dishwasher" in Wien präsentiert hat, ist für folgendes Video verantwortlich:

Ragnar Kjartanssons Video zum Song "Ég anda" (dt. "Ich atme")

Das Rollen der Walze

Die Musik auf "Valtari" ist typisch: Langstreckenflug-artige Songlängen, das Augenmerk mehr auf dem einzelnen Ton als auf Melodien (z.B. im Song "Fjögur píanó" - "Vier Klaviere"), die mit dem Geigenbogen gespielte Gitarre darf nicht fehlen, genauso wenig wie das alles in ein Meer aus Noise auflösende Schlagwerk ("Varúð" - "Vorsicht"), hie und da ein Glockenspiel, zierlicher Gesang ("Ég anda"- "Ich atme").

Das alles zusammen schafft das, was man von Sigur Rós schon lange gewöhnt ist: eine Platte mit sehr mächtiger, alles einnehmender Wirkung. Sanft und langsam, aber dennoch mit der notwendigen Schwere walzt uns "Valtari" platt und ebnet gleichzeitig den Weg für eine Band, die hoffentlich noch lange nicht an ihrem künstlerischen Deadend angekommen ist.