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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

21. 5. 2012 - 17:20

Artist Of The Week: Beach House

In Zeitlupe spielten sich Beach House an die Spitze der US-Indie-Szene. Auf dem vierten Album "Bloom" hat das Duo aus Baltimore nun seine Kunst der opulenten Untertreibung perfektioniert.

So viel Sturheit und Konsequenz ist bemerkenswert. Seit acht Jahren, vier Alben und gut 45 Songs beginnt beinahe jedes Stück von Beach House mit dem selben Intro: Eine Synthfläche rollt den Stimmungsteppich aus. Nach wenigen Takten setzt ein etwas schrottiger Drum-Computer-Loop ein, dann schieben sich schimmernde Gitarrenfigürchen ins Bild, die tiefe Stimme Victoria Legrands hebt an, der Bass aus der Dose oder den vier Saiten gesellt sich zum Schlurfen der Beats.

Im Refrain entlädt sich schließlich die in Zeitlupe geschichtete Spannung. Im Chorus schwelgen, spazieren, lustwandeln Beach House durch den paradisischen Garten unserer Existenz und sind doch melancholisch, weil sie, diese Existenz, diese Liebe, diese Jugend, dieses Leben dazu verdammt sind, zu vergehen. Romantik, ich hör dir tuckern! Manchmal beginnen die Stücke auch mit dem etwas schrottigen Drum-Computer-Loop und erst dann wird der Stimmungsteppich ausgerollt. So viel Abwechslung muss sein.

Beach House

Bella Union

Trotzdem kein Fadgas-Alarm

Früher einmal, in den trockennebeligen 80ern, nannte man das was Beach House machen Dream Pop und in der etwas knirschenderen Auslegung Shoe Gaze (im UK erscheinen ihre Alben auf Bella Union, dem Label der Ex-Cocteau Twins Mitglieder Simon Raymonde und Robin Guthrie).

Dass Victoria Legrand an der Stimme und Alex Scally an den Keys und der Gitarre Mitte der Nullerjahre wesentlichen Anteil am Kurswechsel von US-Indie hatten, weg vom Sturm und Drang der Arkadenfeuer hin in die Gewässer der Nostalgie und des Chillwave, wird gern übersehen. Ebenso musste dem Ohr der Rasanz die Entwicklung der Band verborgen bleiben, die unter der Oberfläche ihrer verträumten Fadgasmentalität und krautigen Monotonie immer komplexere und vielgestaltigere Popsongs heranzog.

In den acht Jahren seiner Existenz hat sich das Duo nicht aus der bereits im Bandnamen eingeschriebenen Ruhe bringen lassen. Weder von den zahlreichen Haters, noch von der stetig anschwellenden Schar von Fans oder dem Dauerlob vom obersten Indie-Geschmacksorgan Pitchfork.com.

Die einen sehen in Beach House den Ton gewordenen Beweis für die Substanz- und Richtungslosigkeit der modernen Hipster-Identität – verliebt in sich selbst und quirky Torheiten, die auf einem Fixie vor dem Hintergrund einer Instagram-Dämmerung in die Belanglosigkeit geradelt werden. Die anderen verteilen in Abkehr der hausinternen Bewertungslogik nun schon seit mindestens 3.5 Alben Höchstwerte jenseits der 8.1, wo normalerweise bei jeder Hype-Truppe spätestens mit Album Nummer 1.7 nix mehr über 6.2 geht.

Beach House

Bella Union

Cover: "Bloom" (Sub Pop/Bella Union/Cooperative Music)

Tatsächlich sind es weder schillernde Oberflächen und opake Stimmungen, die den Reiz der Beach-House-Musik ausmachen. Und auch Stil und Style sind nicht die Essenzen ihres Schaffens (wenngleich die Locken Legrands haarige Fan-Obsessionen zu triggern vermögen). Anders als die Softcore-Ästheten von Air in ihren schlimmsten Momenten lassen sich Beach House nämlich kaum auf eindeutige Stimmungsbilder ein, die zu Tode gestreichelt werden. Victoria Legrand ist auch nicht die Nico, die man überall heraushören möchte.

In Stücken wie „Wild“, „Lazulli“ oder dem vom Riffing her an die Smashing Pumpkins gemahnenden „The Hours“ schafft die Nichte des französischen Starkomponisten Michel Legrand vielmehr den Balanceakt, mühelos zwischen Bass und hohen Tonlagen zu switchen, von passiv auf expressiv zu gleiten und so den arrangierten Nebelwänden und Spinnennetzen von Alex Scally Leben jenseits von "Genre" einzuhauchen.

Blüte und Staub

Und jener hat unter der Patronanz von Indie-Überproducer Chris Coady (Yeah Yeah Yeahs, Santigold, TV On The Radio) musikalisch ein kleines Zartcore-Meisterwerk geschaffen, das in Sachen Tiefgang und Höhenflug dem letzten Grizzly-Bear-Album „Veckatimest“ in nichts nachsteht. Der Tusch im Refrain von „Lazulli“, die Slow-Mo-Ragtime-Variation plus anschließender Capri-Gitarre in „On The Sea“, das sind raffiniert gesetzte Höhepunkte, die sich mit Schlafzimmerblicken tarnen.

beach house

sub pop

„Bloom“ ist ein Twilight-Album. Die Songs mögen erwartbar wie der Sonnenauf- und untergang anmuten. Dazwischen regt sich aber das pralle Leben. Nur die Wut muss draußen bleiben.