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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

21. 5. 2012 - 11:29

I Gotta Get A Message To You

Zum Tod des Robin Gibb

Ich mag einer geographisch bedingten Täuschung aufsitzen, aber irgendwas sagt mir, dass es es immer noch sehr verschiedene Pop-Geschichtsschreibungen gibt, diesseits und jenseits des Kanals, und ja, die letztere steckt meiner Wahrnehmung nach immer noch tiefer drin im alten Machismo und Rassismus als die andere.

Sie klammert sich an ein Narrativ, in dem Charts-Pop was für kleine Mädchen (und daher minder) ist und Groove was grundsätzlich „Schwarzes“, das man „im Blut“ hat, so als wäre der Einfluss afrikanischer Musik auf angelsächsische Popmusik etwas tendenziell Animalisches, das mit der Hautfarbe genetisch weitergegeben wird.

Es ist die Sorte Einstellung, die die Bee Gees als mutmaßliche Teenie-Bopper-Weißbrot-Disco-Heinis in der konventionellen Popgeschichtsschreibung lange ihren verdienten Stellenwert kostete.

Und das, obwohl sie eindeutig die erste britische Band waren, die erfolgreich und überzeugend den Weg von der Gitarrenmusik zum Dancefloor beschritt - also eine Utopie verkörperten, der das Indie-Universum noch Ende der Achtziger angestrengt hinterherhecheln sollte.

Die frühen Bee Gees

Bee Gees

Die frühen Bee Gees, Robin ganz links

Den Spott der vermeintlich ernsthaften Kritiker, der die Bee Gees verfolgte, werden sie angesichts 200 Millionen verkaufter Platten zwar verkraftet haben, aber die – zumindest in Großbritannien in den letzten Jahren weitgehend erfolgte - Rehabilitierung der Bee Gees ließ absurd lange auf sich warten und ging selbst dann noch mit falsch verstandener, cheesy ironischer Seventies-Nostalgie einher.

Vielleicht war auch der Punk mitschuld. Wir erinnern uns an den Sündenfall der Verteufelung des Disco, dessen Überwindung mit einer Neubewertung des Disco als gefährliche Subkultur einherging, die zum historisch genauso gültigen Disco-Bild der Bee Gees nie so recht passen wollte.

Bee Gees Single Words

Polydor

Als einer, der ihre Hochblüte als Kind miterlebt hat, kann ich mich natürlich an die Hypersaturierung der Ultrakurzwelle mit den Sounds von Saturday Night Fever erinnern und weiß nur zu gut, warum die Bee Gees damals als glibberige Kommerzscheiße verrufen waren.

Tatsache bleibt, dass die Bee Gees damals nicht nur erfolgreich die Lenden einer ganzen Spießergeneration lockerten, sondern auch wie niemand sonst eine perfekte Synthese aus gewaltigem Songwriting und Disco-Grooves zustande brachten.

An dieser Stelle sei auch für den 2003 verstorbenen Maurice Gibb eine Lanze gebrochen, dessen Wikipedia-Biographie den unfreiwillig ironischen Satz enthält: „Maurice was less influential in the disco Bee Gees sound of 1975 to 1979, when he played mostly bass guitar“.

Ich schätze, jeder mit Ohren, aber insbesondere Arif Mardin, der 1975 mit dem 13. Album der Band Main Course als Produzent die (nach den Blue-eyed Soul-Tendenzen der Vorgänger durchaus schlüssige) Disco-Phase der Bee Gees einleitete, hätte das anders gehört, ja ich würde sogar behaupten, Maurice Gibbs' Bass-Spiel war für Disco so wichtig wie das des kürzlich verstorbenen Donald „Duck“ Dunn für den Sixties-Soul (um noch ein anderes animalisch grooviges Weißbrot zu nennen).

Robin Gibbs Solo-Album Robin's Reign

ATCO

Jawohl, übrigens, richtig gelesen: Es war noch zu Beginn ihrer klassischen Disco-Phase bereits das dreizehnte Album der Band, schließlich hatten die Bee Gees damals schon eine ganze Karriere als aufgestiegene und gefallene Pop- und Psychedelik-Wunder inklusive einiger der besten Singles („Spicks and Specks“, „Massachusetts“, „New York Mining Disaster 1941“, „Words“, „To Love Somebody“ etc.) und erstaunlichsten Alben der Sixties (von ihrem insgesamt eigentlich dritten, dem titellosen britischen Debüt über das exzentrische Idea bis zum Konzeptwerk Odessa) auf dem Buckel. Der gestern verstorbene Robin hatte dazu neben seinem prominenteren, weil attraktiveren Bruder Barry einige der größten Songs beigetragen; abgesehen von einem ziemlich erfolgreichen Solo-Abstecher, Robin's Reign.

Allerdings, wenn man da einmal zu graben begonnen hat, kommt man aus dem Wiederentdecken gar nicht mehr heraus.

Dabei wurde selbst in der spezialisierten Sixties-Revival-Szene, in der ich mich in den Achtzigern herumzutreiben pflegte, der Beitag der Bee Gees zur Welt des Psychedelic Pop aus Scham über ihr späteres Werk zugunsten coolerer Namen gern sträflich vernachlässigt. Aber dankenswerterweise sind wir über das infantile Lagerdenken jener Zeit heute längst hinaus. Oder?

Diese kleine Würdigung soll nun fürs erste reichen. Während ich das hier schreibe, hab ich nämlich dringend eine Sendung für heute, Montag, Abend (FM4 Heartbeat am 22 Uhr) vorzubereiten, die neben einem Interview mit den Wave Pictures auch einen ausführlichen Tribut an das Frühwerk des Robin Gibb beinhalten wird. Inzwischen sei der heutige Nachruf von Bob Stanley empfohlen.