Erstellt am: 20. 5. 2012 - 21:29 Uhr
Watch Me Dance
Rewind: Der vierte und letzte Tag des Springfestivals spuckt wieder Höhepunkt um Höhepunkt aus allen Schläuchen. Die große Closing Night in der großen Stadthalle widmet sich diversen britischen Musiken, die zentrale Elemente des von dem geschätzen Musikjournalisten Simon Reynolds formulierten Hardcore Continuums ausmachen: 2-Step, Garage, Grime, Drum'n'Bass, Dubstep. An diesem Abend jedoch weniger in der bissigen Straßen-Ausformung, sondern auch gerne und ausdrücklich auf Pop und Humor gebürstet.

Philipp L'heritier

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Ms. Dynamite beginnt ihren Auftritt mitsamt einem durchgehend höflich grinsenden DJ vor - wenn man die Menschen ganz hinten in der Ecke und den Typen, der gerade im Innenhof der Stadthalle eine Zigarette raucht, mitrechnet - kaum mehr als 100 Leuten. Diese Frau hat immerhin für ihr Debütalbum "A Little Deeper", ja, auch schon wieder vor zehn Jahren den renomierten Mercury Prize erhalten und ist so etwas wie ein richtiger Star. Das geringe Publikumsaufkommen bewegt Ms. Dynamite jedoch nicht zur Faulheit, sondern stachelt sie zu überschäumender Fleißarbeit an. Sie peitscht das Publikum hoch, erzählt kleine Witzchen und inszeniert das gute, alte Schrei-Duell zwischen den Girls und den Boys in der Menge. Nach Tanz- und Hände-in-die-Luft-Faktor beurteilt gibt Ms. Dynamite denen, die gekommen sind, eine richtig gute Zeit. Sie scheint auch selbst Spaß zu haben. Höhepunkt des Auftritts sind das mit dem durchaus ein bisschen legendären DJ Zinc produzierte "Wile Out" und die mit gut einem Jahr auf dem Buckel noch immer aktuellste Single "Neva Soft", die wiederum der junge Produzent Labrinth auf seinem Konto verbuchen kann. Es ist eines der besten Stücke des letzten Jahres. Es sei hier ausdrücklich empfohlen.

Philipp L'heritier

Philipp L'heritier

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Der danach auftretende Toddla T veranstaltet mit seinem Soundsystem so ziemlich die beste vorstellbare Danceparty. Der junge englische Dj, Produzent und Radiohost präsentiert ein stark um Manipulation und Effekte quasi fast schon in Richtung Live-Performance erweitertes DJ-Set, das sämtliche Bass-Musik der Welt zu einem großen Sack Konfetti schreddert. Toddla T, der den eigenen Spaß an der eigenen Musik mit Verrenkungen, quirky Dancemoves und mitunter die Texte verbildlichenden Gesten zum Ausdruck bringt, hat zwei MCs und die R&B-Sängerin Shola Ama mit im Gepäck. Letztere hat 1997 mit "You Might Need Somebody" einen großen Kuschel-Hit gehabt - der am Samstag Abend natürlich live dargeboten wird. Zwischen credibelstem Garage, korrektem Drum'n'Bass und nie gehörten Dub-Raritäten. Danach kommt wieder eine Nummer von Sean Paul. Der eine der beiden MCs untermalt seine rhythmischen Bewegungen immer wieder mit einer Aufforderung ans Publikum "Watch Me Dance!". Alle schauen, alle tanzen.
Die Postgarage ist unterdessen sehr gut gefüllt - die Leute wollen den Auftritt von Dillon sehen. Die aus Brasilien stammende, mittlerweile längst in Berlin angekommene Musikerin hat vergangenes Jahr auf BPitch Control ein über weite Strecken sehr schönes, minimalistisch orchestriertes Debüt-Album veröffentlicht, das ihre eigene Stimme ins Zentrum stellt. Dillon haucht, flüstert und gurrt, bisweilen bewegt sich die quietschende Gesangsakrobatik jedoch leicht ins Manierierte. Dazu bemüht die junge Künstlerin eine spukhafte Aura. Bei ihrem Auftritt auf dem von der Pratersauna gehosteten großen Floor der Postgarage kann man Dillon hinter all dem Nebel und dem mystischen Rauch kaum sehen. Einerseits präsentiert Dillon ihre Songs sehr werkgetreu an den Tasten, an anderen Stellen wird das Material mitunter stärker elektronisch unterfüttert und so in den Club getragen. Es entstehen Momente von wohlig durch den Körper zuckender, fast schon mit den Händen fassbarer Anspannung.

Philipp L'heritier

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Im ppc stellt der beim Spring immer wieder gern gesehene und auch an dieser Stelle schon oft genug über den schwarzen Klee gelobte schottische Musiker Drums of Death zum ersten Mal sein neues Audio/Visual-Programm vor. Drums of Death macht Meta-Musik, die jeder sofort in den Beinen begreifen kann: Er nimmt die überdeutlichsten Zeichen von den Oberflächen von House und Jungle und Pop und zimmert daraus ein Flechtwerk aus immer wiedererkennbaren Signalen der Tanzmusik, das aus seinem hypercollagierten Charakter schon wieder eine eigene Identität gewinnt. Auf Platte muss man das nicht immer hören, in der Live-Darbeitung generiert der gute Mann mit der Totenkopf-Bemalung im Gesicht stets verlässlich höchste Ekstase. Er sagt ständig und immer wieder "Let's Go!", im letzten Stück spannt sich - für Drums of Death völlig unerwartet - ein gut vierminütiges Saxofon-Solo über den Beat. Saxofon, großartig.
Auf Drums of Death folgen zwei von ihm selbst eingeladene Herren: Der französische Produzent Vitalic mit bratzendem Electroclash-Sound wie vor 13 Jahren, gerade so als hätte DJ Hell eben erst eine S&M-Disco in einem abgefuckten Artspace in Brooklyn eröffnet, und, danach Legende, Legende, Andrew Weatherall mit einem etwas unmotivierten Set vor um 5 Uhr früh nicht mehr besonders motiviert anwesenden Menschen.

Philipp L'heritier
Die Bassdrum im Dom schlägt für eisenharten Techno der minimalen Schule, der Abend ebendort steht unter dem durchaus wörtlich zu nehmenden Motto "Machine". Mit dabei u.a. Luke Slater mit seinem Planetary Assault System oder der großartige Surgeon, der durchaus als einer der Vorreiter des gerade wieder populären Techno-Entwurfs der besonders dunklen, kargen und industrialhaften Sorte gelten darf, wie er aktuell beispielsweise von solch feinen Acts wie Sandwell District, Andy Stott oder, in Momenten, Demdike Stare praktiziert wird.
Erfahrungsgemäß ist die Postgarage der ideale Ort, um das lange Wochenende des Springfestivals zu beenden. Im kleinen Raum, draußen brennt schon die Sonne in die Stadt, steht dort das junge österreichische Duo Xander & Niederreiter an den Abspielgeräten. Unterstützung kommt unangekündigt und ungeschminkt von Drums of Death als Teilzeit-MC. "Let's Go!" sagt er, und "Graz, ich liebe dich!" Irgendwann taucht dann nach ihrem offiziellen Gig im ppc auch noch Joyce Muniz in der Postgarage auf und bedient auf ebenfalls unnachahmliche Weise als unverhoffte Gastsängerin das Mikrofon. Eines der letzten Stücke des Sets von Xander & Niederreiter ist "Bakerman" von Laid Back - vermutlich im Soul-Clap-Edit. The Night Train Is Coming, Take It Easy. Lalala.

Philipp L'heritier

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