Erstellt am: 20. 5. 2012 - 15:18 Uhr
Song Zum Sonntag: Richard Hawley
Josef war ein guter Mann, obwohl er seine Frau und seine Kinder umgebracht hat. Maria war ein Problemkind, sie hat gestohlen, um zu essen und ihren Körper verkauft, ein Auto gestohlen, um da weg zu kommen, jetzt ist alles, was sie hört, der Regen am Himmel von einem Gefängnisfenster in Skye's Edge. Jakob war fehlgeleitet, ein Messer in der Tasche, so viel Angst in der Stadt, sie hat ihn gefangen genommen, junge Männer lassen in Kämpfen ihr Leben.
EMI
Willkommen im Arbeiterkinderdenkmal. Verzweifelte Existenzen, die aus der Misere raus wollen, verzweifelte Familienväter, die ihrem verzweifelten Leben ein Ende setzen und dem ihrer Kinder auch, weil sie keinen Ausweg wissen, hoffnungslose junge Mädchen, die ihren Körper feilbieten müssen, junge Männer, die in Zweikämpfen sterben, weil ihr verzweifeltes Leben nicht mehr als den Augenblick auf der Straße wert ist, sie alle stehen auf des Messers Schneide und gleiten die Klinge hinab ins Verderben.
So sehr Richard Hawley's frühere Platten eine Scott Walker'sche oder oft sogar Chet Baker'sche Melancholie verströmten - der Ex Pulp Musiker und Jarvis Cocker Kumpel aus Sheffield hat dies nun gegen zwei Dinge eingetauscht: Den epischen Gitarrensound und das beinharte Protestlied. Hawley ist ein "Working Class Hero", wie es ihn in England immer exemplarisch gab und wie er seit langer Zeit fehlt, seit Jarvis Cocker ("Different Class", "Common People") und Elvis Costello, Ray Davies und Pete Townsend, die Gallagher Brüder, Billy Bragg und Paul Weller altersgemäß verbürgerlicht sind.
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über Richard Hawley macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Und die Waffe des Verzweifelten, die Maschine, die gegen den Faschismus kämpft, die gute, laute elektrische Gitarre und die Drohwände, die nur sie dazu aufzubauen imstande ist - sie ist Hawleys Verbündete im Beschreiben der Missstände im Arbeiterbezirk Skye Edge in seiner Geburtsstadt Sheffield, einem Drecksloch im englischen Norden, das einst in den 80ern und 90ern, wo Hawley noch mit den Longpigs aktiv war, mit ABC, Heaven 17 ("Fascist Groove Thang") und Pulp neben Leeds (Chumbawamba, Gang of Four, Mekons) die Hochburg eines linksradikalen Working Class Popkonzepts war.
Dass er dabei eine recht plakative Drastik und ein recht ödes Solospiel verwendet, das ihn in die Nähe von Robin Trower, Peter Frampton oder Chris Rea bringt, soll wohl nur mich stören - ich musste ja von Robert Rotifer erfahren, dass die jungen, englischen Hipster neuerdings nicht nur Fleetwood Mac, sondern sogar Hall and Oates gut finden, da ist ein bisschen rockistischer Konservativismus fast erholsam. Und Hawleys schnurrende, tiefe Stimme trägt uns durch diese Dröhnrockplatte als gekonnter, stilsicherer Stimmungsmarker des Anzuklagenden und zu Beweinenden, er kann "old England is dying" sagen und dabei sanft schnurren - auch eine wichtige Eigenschaft.