Erstellt am: 21. 5. 2012 - 12:27 Uhr
Hippie unter Hipstern
Was nach 10 Jahren und 238 Episoden "Friends" übrig blieb, als der letzte laughter track verstummt war, war der "Rachel" als dekadenprägender Haarschnitt. Und Paul Rudd, der in 18 Episoden Phoebes Freund Mike Hannigan spielte. Im Gegensatz zum restlichen "Friends"-Cast, verkörperte Rudd diese Melange aus awesomeness und awkwardness, die prägend für die Art der amerikanischen Komödie waren, die sich bald rund um den bärtigen Judd Apatow ausformte und eine Gegenposition zur in Blaupause erstarrten romantischen Komödie und dem brachialen Schenkelklopf-Zoten-Brei einnahm.
abc
Ruddster rises
2004 - also bereits im Jahr, in dem "Friends" endet - kommt Paul Rudd mit "Anchorman" in die Kinos, produziert wird der von Judd Apatow und endlich hat Rudd auf der großen Leinwand seine Nische zum Strahlen gefunden. Es folgen "The 40 Year Old Virgin", "Knocked Up", "Walk Hard" und der grandiose "I Love You, Man". Je größer allerdings die Rollen für Rudd wurden, umso weniger exzentrisch waren sie. Wo er in "Anchorman" und "Forgetting Sarah Marshall" in Nebenrollen als schnauzbärtiger Reporter Brian Fantana ("Anchorman 2" soll übrigens 2014 in die Kinos kommen!) bzw. als komplett verblasener Surflehrer Chuck triumphieren durfte, stellte man ihm in "Role Models", "Dinner für Spinner" oder auch "I Love You, Man" jeweils einen anderen Mann zu Seite, der Gaganess und Anarchie verkörperte.
universal
Rudd schüttelt zwar auch den hemdtragenden Durchschnittsmann aus dem Ärmel, der leicht gebeutelt von Arbeitsstress, Ehekrisen oder unverständlichen Männlichkeitsritualen versucht, nie die Contenance zu verlieren, doch ausgestattet mit der Superheldenkraft Sympathie kann Rudd sich ja in Sachen Exzentrik oder Glaubwürdigkeit rollentechnisch viel weiter aus dem Fenster lehnen. Geerdet und mit schier nie enden wollender Freundlichkeit ausgestattet, musste doch endlich mal ein Regisseur den Ruddster dazu nutzen, ihn in weit hanebüchenere Rollen - und Kostüme - zu stecken.
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Crocs und Gras
Regisseur Jesse Peretz verpasste ihm 2011 dann endlich Norwegerpullover, Tanktops, Crocs und kurze Hosen. Mit Vollbart, schulterlangen Haaren und endlosem Grundvertrauen in die Menschen generell und die Welt im allgemeinen gibt Paul Rudd Ned, den titelgebenden our idiot brother. Dieser Ned umarmt die Welt, auch, wenn die ihn in den Arsch tritt. Zynismus, Hintergedanken oder doppelte Böden sind ihm fremd. Deswegen verkauft er einem Polizisten auch ein Sackerl Gras, als der meint, I had a really rough week. Aja, der Polizist ist nicht Undercover sondern in voller Uniforms-Montur. Nach Gefängnisaufenthalt und Rausschmiss bei der Freundin kehrt Ned zu seiner Familie zurück. Seiner Mutter und seinen drei Schwestern Miranda, Liz und Natalie, einer Ausgeburt der Unsympathie von Schwager und der wahrscheinlich coolsten Eventuell-Schwägerin ever: Cindy, gespielt von der anbetungswürdigen Rashida Jones.
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Drei Schwestern
Elizabeth Banks, Emily Mortimer und Zooey Deschanel spielen das schwesterliche Triumvirat, das so gar nichts von Neds Grundglücklichkeit und Offenheit hat, sondern einen Krisen-Dreierpack geschultert hat, von dem nicht nur Frauenzeitschriften verarbeitungstechnisch seit Jahrzehnten zehren: Karriere, Familie/Ehe und persönliche Freiheit/Selbstverwirklichung. Miranda (Banks) steckt in High Heels und ärmellosen Kleidern und arbeitet für die "Vanity Fair", Natalie (Deschanel) ist bestirnfranste Bohème in Vintage-Kleidung, die in winzigkleinen Lokalen, nay, off-spaces, sich als Stand-Up-Comedian versucht und Liz (Mortimer) hat ihre Kinder zwar River und Echo getauft, ist aber meilenweit von entspanntem Hippietum entfernt, sondern zerfressen vom Bestreben, als Mutter alles nicht nur richtig, sondern am besten zu machen. Außerdem ist da noch Liz' Ehemann Dylan als selbstgerechter Dokumentarfilmer und männlicher Gegenpol zu allem, was Ned verkörpert. Eine Paraderolle für Steve Coogan.
constantin
Dem Ruddster noch nicht verfallen? Ein Drei-Click-Stufenprogramm, um das zu ändern:
Ned ist das Mentos in diesen drei Krisencolas, das zunächst mal Alles zum Schäumen und Überlaufen bringt. Wohlmeinende Chaosanrichter gehören zur Standardausrüstung der Komödie, doch schon lange mochte man so einen so gerne wie den Rudd'schen Ned. Seine entwaffnende Ehrlichkeit macht ihn zum Mann mit einem ganzen Arsenal an Sprengsätzen für Alltagssituationen. Er ist die konsequente Weiterführung der Kind-Männer, die die amerikanische Komödie bevölkern, Ironie ist ihm fremd. Wenn der Bewährungshelfer auf seine Erzählung, dass er wieder einen Joint geraucht habe, antwortet, "I did not just hear that", dann wiederholt Ned den Satz eben. Lauter.
Ehrlichkeit ist kein Prinzip bei ihm, sondern einfach die einzig ihm bekannte Art zu kommunizieren, durch Ned kommt die Wahrheit ans Licht, die der Rest der Familie vor sich selbst versteckt - oder zumindest ein bisschen verkleidet hat. "If I would be able to love something as much as Ned loves everything..." - "...you wouldn't be such a bitch", lautet irgendwann eine Teil-Erkenntnis unter Schwestern.
constantin
Der weise Narr
Ohne ihn je dem Spott preiszugeben, lässt Jesse Peretz den Hippie, der auf Country steht, in die urbanen und fragilen Lebensentwürfe seiner Schwestern einbrechen. Mirandas Karriereambitionen, Natalies Angst, sich auf etwas festzulegen, dies aber als Freiheit zu deuten und Liz' Supermutter-Bemühungen - sie halten schon allein Neds einfachen Fragen nicht stand. Denn er ist natürlich ganz und gar kein Idiot, wie der der Titel behauptet, sondern er ist in echt der Narr, der der eigentliche Weise ist.
"Our Idiot Brother" läuft sei7 17. Mai in den österreichischen Kinos. Ganz ohne dämlichen deutschen Verleihtitel!
Mit einigen Sprengseln an Indie/Sundance-Flair aber ohne kalkulierte Hipness oder allzu sich aufdrängenden Zeitgeistzitaten gelingt es Peretz, neben einer liebevollen Komödie auch noch das urbane Leben von Mittdreißigern zwischen Bio-Tomaten und Selbsterkenntnis durch Schwitzen ("Sustainable Upgrade" heißt das im Film) zu streifen. Bosheit gibt es hier nicht, nur genaue Beobachtungen und so wird "Our Idiot Brother" neben einer zu umarmenden Komödie auch zum amüsanten Kaleidoskop von Bobo-Blessuren und Lifestyle-Krisen. Eine Belehrung, dass die Hippie-Welt eine bessere ist, gibt es in "Our Idiot Brother" nicht. Denn auch in der Biobauern-Idylle lauern zwischen grüner Wiese und Kräutergarten fiese Latzhosenträgerinnen, wie Neds Ex-Freundin Janet (Kathryn Hahn, momentan übrigens in der grandiosen HBO Serie "Girls" zu sehen, die ebenfalls von Apatow produziert wird).
constantin
Bald: "Wanderlust"
Bald schon bekommt es Paul Rudd übrigens wieder mit alternativen Lebensformen zu tun, diesmal sind die Hippies aber wieder die Anderen. In "Wanderlust" landet er als New Yorker in einer Kommune am Land. An seiner Seite in der Komödie von David Wain, findet sich übrigens "Rachel", mit Jennifer Aniston unten dran.