Erstellt am: 18. 5. 2012 - 16:41 Uhr
Geschmackvolle Beatlehre, aber auch harte Schule
Über die Sinnhaftigkeit der Helmut-List-Halle ist an dieser Stelle schon letztes Jahr ein wenig gemeint und gemunkelt worden. Heute soll hier stehen: Sie ist dem Vibe des Springfestivals nur wenig zuträglich. Zu weit draußen, in den meisten Fällen zu groß, unsexy und mit dem Charme einer Laminatfliese ausgestattet. Ein, also ein, Eröffnungskonzert mit zwei, drei, vier mittelgroßen bis großen Acts, die die Halle auch voll machen und das Publikum euphorisiert in ein prickelndes Wochenende schicken, schön und gut, das kann und soll funktionieren. Um elf oder zwölf Uhr soll aber Schluss sein im Mehrzweck-Moloch und die Menschen sollten in die Clubs der Stadt losgelassen werden. Mit Amon Tobin hat das gestern gut geklappt - wenn auch ein einziger Act (Respect to the local DJ-Support Zvonko and Wolfram) für die große Eröffnungs-Sause eventuell ein bisschen mager ist - der Donnerstag Abend aber präsentiert sich in der Helmut-Liste-Halle als etwas triste Veranstaltung. Gar so viele Menschen sind nicht gekommen.

Philipp L'heritier

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Dabei ist das Programm ein ohne Übertreibung fantastisches. Gilles Peterson, der Mann, der das Wort "Connaisseur" erfunden hat, nämlich hat es zusammengestellt. MJ Cole, 2-Step- und Garage-Altmeister, präsentiert ein Set, das so klingt wie vor zehn Jahren, im besten Sinne, und heute noch frisch. Er greift dabei auch gerne in den Schmalztopf, lehnt sich stark Richtung R'n'B und Soul und fährt triefende Streichersamples auf. Sehr schön ist das. An anderen Stellen arbeitet er sich in die Gegenden von Grime vor und setzt auf den Einsatz von MCs. Die werden zwar nur vom Band zugespielt, das macht aber nichts. Eine im Moment eher selten gehörte Musik, gegen deren Revival nichts einzuwenden wäre.

Philipp L'heritier

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Der Schweizer Produzent Dimlite kommt mit Drummer und zaubert eine schwindlig machende Mixtur aus Krautrock, kosmischem Jazz, Elektronika und vertrackten HipHop-Beats. Mit diesem Konzert empfiehlt er sich für einen Platz im Plattenregal zwischen Four Tet und Flying Lotus. Drummer mitbringen - das bringt's eigentlich immer. Radiokönig Gilles Peterson himself legt ein überraschend druckvolles Set auf die Plattenteller bzw. in die CD-Player, das er dann aber doch immer wieder mit langsameren Jazz- oder Tropicalia-Platten aushebeln muss. Unterstützung kommt von Earl Zinger am Mikrofon, gemeinsam können sie die Helmut-List-Halle dann doch recht ordentlich füllen und in Stimmung bringen, danach ist aber wieder Sinkflug angesagt.
Der fantastische, klarerweise englische und klarerweise sehr junge Produzent Addison Groove hat mit seinem Debütalbum "Transistor Rhythm" eines der elektronischen Alben des Jahres bislang veröffentlicht und überführt Bass Music und Juke in eine weit entlegene, in jedem Fall bessere Zukunft. In Graz aber steht er auf verlorener Position und vor wieder minimaler Crowd. Nach Addison Groove soll Mala von den Digital Mystikz noch erhebliche technische Probleme an den Plattenspielern gehabt und sein Set erboßt unterbrochen haben. Zeit für die Stadt.
In der Postgarage gibt's zum Beispiel House von Alle Farben, im ppc, richtig, echte Live-Musik. Mathias Modica vom tollen Münchner Label GOMMA stellt ebenda die Kuhglocken-Disco seines Solo-Projekts Munk als echte Band auf die Bühne, die österreichische Band Elektro Guzzi erweist sich wieder einmal als so ziemlich einer der besten Live-Acts unter der Sonne.

Philipp L'heritier

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Auch die Nacht im Dom im Berg steht wie der Gilles-Peterson-Abend im Zeichen eines von Künstlerhand kuratierten Programms, dort lautet die Losung "Mixhell Presents". Laima Leyton und ihr Ehemann Igor Cavallera, den man wohl üblicherweise als den ursprünglichen Drummer der brasilianischen Metal-Gottheiten Sepultura kennt, treten mit ihrem Projekt Mixhell selbst auf und haben eine Handvoll verkumpelte Acts eingeladen. Eine Nacht, die sich liebevoll dem Beat der brachialeren Sorte widmet. Der Finne Huoratron beispielsweise zerlegt den Floor mit großem Körpereinsatz, ein höherer Publikums- und Schweißzuspruch ist an diesem Wochenende bislang noch nicht zu erleben gewesen.
Die Nacht im Dom wird von dem Franzosen Arnaud Rebotini beschlossen, der ja nun seit geraumer Zeit schon nach dem Ausscheiden des ebenso guten Ivan Smagghe aus dem Projekt solo unter dem Namen Blackstrobe firmiert. Blackstrobe, das waren irgendwann einmal zwei richtig heiße Typen, die sich ihren eigenen Dunstkreis aus Electroclash, Proto-Techno und augenzwinkernder Finstermann-Attitude erschaffen haben, dem mysteriös um sie aufgekochten Hype dann aber nie so ganz gerecht werden konnten - oder wollten. Arnaud Rebotini ist ein imposanter Riegel von einem Mann, mindestens vier Meter groß, mit akkurat gegelter Rockabilly-Tolle und einem prächtigen Hufeisen-Schnauzer. Er kann nur breitbeinig stehen und scheint sich ausschließlich auf einem besonders fetten imaginären Motorrad durch die Welt zu bewegen. Dabei ist er ein Lieber. Sein schon recht darkes und dirtyes Set und sein Bestrafer-Image konterkariert er mit kleinen ironischen Gesten und einem kaum wahrnehmbaren Grinser. Den guten Rotwein trinkt er aber natürlich trotzdem einzig aus der Flasche. Als erstes Stück seines Sets spielt Rebotini eine elektrofizierte Instrumental-Version von Donna Summers "I Feel Love". So ein Typ ist das. Besser kann das Ende der Nacht gar nicht beginnen.

Philipp L'heritier

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