Erstellt am: 18. 5. 2012 - 15:49 Uhr
Strategien zur Glücklichkeit
Hilft Lexapro auch gegen Schüttelfrost? Der renommierte Typograf und Grafikdesigner Stefan Sagmeister sprach gestern Abend auf der Schloßbergbühne Kasematten in Graz über "Design & Happiness". Zumindest stand das so im Programm der Springsessions. "Drugs & Hard Work" wäre als Titel aber auch treffend gewesen. Während hunderte junge Menschen der Kälte trotzten, die in die Kapuzenpullis kroch, erzählte Sagmeister offen, dass er seit drei Tagen ein Antidepressivum nehme. Er hätte zwar keine Depressionen, aber man habe ihm trotzdem Psychopharmaka gegeben. Reaktion des Publikums auf diese persönliche Zustandserklärung: Begeisterter Beifall.
John Madere
Die Rolling Stones und OK Go sind nicht die Einzigen, denen Stefan Sagmeister ein Albumcover kreierte. Unter seinen Kunden finden sich Time Warner, ein Luxus-Kaufhaus im Libanon und das Guggenheim Museum.
Ja, "negative Emotionen kommen schneller in unser Hirn". Das hat Stefan Sagmeister auch erklärt. Denn früher, also vor vielen abertausend Jahren, war der Mensch stets auf der Hut vor Bedrohungen. Heute hingegen ängstigt er sich in friedlichen Demokratien davor, einem fremden Menschen in der Bahn oder im Bus ein Kompliment zu machen, das ihm auf der Zunge liegt.
Stefan Sagmeister hat es versucht. Er ließ sein Training, fremde Menschen freundlich anzusprechen, filmen. Zwischen wissenschaftlichen Halbwissen und sehr auf die eigene Person zentrierten, doch durchaus charmanten Ideen in der Liga "Miranda July" pendelte der "Talk" in Graz bis zum Ende. Da zeigte Sagmeister den Teaser zu "The Happy Film", an dem er derzeit arbeitet. Geht alles gut, wird der Film, im Herbst 2013 in die Kinos kommen.
Zum gleichen Thema hat der gebürtige Bregenzer erst kürzlich eine eigene Ausstellung "The Happy Show" im Institute for Contemporary Art an der University of Pennsylvania gestaltet. Zu sehen sind dort auch grafische Umsetzungen von Statistiken - die hat Verena Michelitsch gemacht. Die Grazer Grafikdesignerin hat mehrere Monate für Sagmeisters Agentur in New York gearbeitet.
Zukünftiges Werk: Zweckloses Design
To cut things short: Die Highlights aus Sagmeisters Vortrag kann man hier auch sehen.
Die Arbeiten Sagmeisters sind es schließlich, die einen interessieren. Dass der Fünfzigjährige jedoch lieber aus den Büchern des amerikanischen Psychologie-Professors Jonathan Haidt zitiert, enttäuscht. Haidts "Glücks-Hypothese" hat Sagmeister für sich entdeckt und erforscht.
Vor allem davon spricht der Typograf und lässt Stammbuchweisheiten für einige persönliche Erfahrungsmomente beiseite. In der Früh fünfzehn Minuten Fahrrad zu fahren oder zu laufen täte ihm besser als fünfundvierzig Minuten Meditation. Das klingt nachvollziehbar: Denn insgeheim heißt das wohl dreißig Minuten länger schlafen zu können oder zuhause zu frühstücken.
All seine Empfehlungen für DesignerkollegInnen ergeben Sinn: Dinge zu machen, die einem selber gefallen, und weniger jene, die man nicht mag. Die Freiheit zu haben, über Ideen ohne Druck nachdenken zu können. Bei beruflichen Reisen auch mal einen Tag in einer anderen Stadt dranzuhängen. Bloß: Nicht jeder ist ein Star-Designer. Stefan Sagmeister ist der letzte, dem man das zum Vorwurf machen könnte. Doch fragen will man ihn nach seinem "Talk" bei den Springsessions eine Menge.
Nachgefragt bei Stefan Sagmeister
Wie übersetzt du dieses umfassende englische Wort "Happiness" für dich?Aus Mangel eines besseren Begriffs mit Glücklichkeit und Glück. Das Problem mit dem Begriff ist, dass so vieles darunter fällt. Von ganz kurzen Sachen wie dem glücklichen Moment oder der Extase oder dem Orgasmus bis zu lebenslangen Dingen - dass man das Ding findet, für das man da ist im Leben. Oder dazwischen das Mittellange, die Zufriedenheit, die ein paar Stunden dauern kann. All diese Dinge fallen unter denselben Begriff, haben im Vergleich aber nichts miteinander zu tun.
Du hast öffentlich gesagt, du führst Tagebuch über dein Glück. Machst du das nach wie vor?Ja, jetzt mit dem Film noch ein bisschen ordentlicher. Ich führe jeden Tag eine Notiz darüber, wie gut es mir geht. Von null bis zehn. Ich führe während der experimentellen Zeit jeden Tag Videotagebuch, indem ich ein Selbstinterview vor der Kamera mache. Ich schreibe nach wie vor Tagebuch und sehe einmal in der Woche in einem Buch nach, in dem ich zu Beginn des Jahres festgehalten habe, was ich gerne machen möchte, und schaue, ob ich das wirklich mache. Und ich mache einmal im Monat einen Psychologie-Test. Das mache ich jetzt für den Film, sonst würde ich mir nicht so viele verschiedene Dinge antun.
Wir versuchen für "The Happy Film" so gute Daten wie möglich über eine Person zu bekommen. Damit ich am Schluss des Films nicht nur vom Gefühl, sondern auch vom täglichen Ablauf her weiß, was funktioniert und was nicht.
Nach dem steten Streben nach der Optimierung von Produktionsprozessen, der Optimierung unserer Körper wird nun an der Optimierung unserer Gefühlszustände gearbeitet. Könnte man das Filmprojekt nicht auch als etwas eher nicht so Gutes lesen: Dass jetzt auch im Privatesten optimiert werden soll? Das Streben nach Glück ist ein tief menschliches. Mit der Verbesserung von Herstellungsprozessen hat das ganz wenig zu tun. Ich spreche ungern für alle. Ich kann nur für mich sprechen, weil da weiß ich es: Die meisten Handlungen, die ich tue, weshalb ich sie mache, laufen auf das hinauf. Am Schluss mache ich es, weil ich mir vorstelle, das wenn ich es mache, dann glücklicher bin. Und aus dieser Einsicht heraus wollte ich probieren, ob es vielleicht nicht so sein kann, dass ein direkterer Weg besser ist. Ob das so ist, weiß ich noch nicht. Aber es wäre ja schrecklich, wenn ich diese Dinge immer nur auf unglaublichen Umwegen zu erreichen versuche, wenn es einen direkten Weg gebe. Und das probiere ich aus.
Die drei Hauptsachen, die ich ausprobiere, sind Meditiation, kognitive Verhaltenstherapie und Drogen.
Das ist ein ziemliches Selbstexperiment! Du nimmst nun seit drei Tagen auch ein Antidepressivum, ohne Depressionen zu haben?Ja. Es gibt einige Psychologen in den Staaten, die meinen, dass Antidepressiva auch bei leichter "social anxiety" helfen. Also ich würde sagen: Wenn ich in ein Zimmer hineingehe, in dem hundert Leute sind, die ich alle nicht kenne, muss ich mich überwinden. Ob das Antidepressivum da hilft, kann ich nach der kurzen Zeit noch nicht sagen.
Gibt es andere, erste Erkenntnisse im Zuge deines "The Happy Film"-Projekts?Das eine, das ich sicher gelernt habe, ist, wie schwer es ist, selbst einen schlechten Film zu machen. Ich habe einen komplett neuen Respekt für das Medium bekommen. Der Sprung vom Visuellen, das ich gewohnt bin, zum Visuellen im Dokumentarfilm war viel größer als ich ihn mir vorgestellt habe.
Du propagierst das Sabbatical - also ein Bildungsjahr oder ein Jahr Auszeit - nach sechs Jahren Arbeit.
Bildungsjahr gefällt mir! In meinem Fall ist das sehr diszipliniert. Ich habe einen Stundenplan wie in der Volksschule. Weil ich bin daraufgekommen: Wenn ich mir die Zeit nicht einteile, wird sie mir eingeteilt. Ich habe mir am Anfang des Sabbaticals gedacht, ich möchte dieses große Vakuum der Zeit vor mir haben. Das hat gar nicht funktioniert, da habe ich dann nur gemailt und Kaffee gekocht. Obwohl ich mir eingebildet habe, dass ich dieses freie Nachdenken so gerne mache: Als ich es wirklich machen konnte bin ich darauf gekommen, dass es wahnsinnig schwer ist. Und dass ich jede Ausrede dafür verwende, eigentlich wieder das Alte zu machen.
Dein letztes Sabbatical hast du auf Bali verbracht. Es scheint, als könne man die kreative Elite der westlichen Welt im Affenwald auf Bali treffen.Ja! Aber ich muss auch sagen, das war für mich auch Teil des Angenehmen auf Bali: Dass du die Möglichkeit auch hast, auch andere Ausländer kennenzulernen, die etwas machen. Und in Bali ist es sehr Kunst- und Design-orientiert. Damien Hirst war dort drei Monate. Ihn würde ich in London nie kennenlernen. Auf Bali hat er nichts zu tun und da gehst du gemeinsam essen - ohne Probleme. Ich hatte auf Bali interessantere Dinner-Gespräche als sonst wo.
Sehr viele Menschen kennen dich über die Alben-Cover, die du gemacht hast. Aber ein Album-Cover bekommt so schnell auch keine Band mehr von dir?
Ja, das Album ist halt tot. Mich hat das Medium aus ein paar Gründen interessiert. Einer davon war, dass es ein Massenmedium war. Das CD- oder auch das Vinyl-Cover ist jetzt ein Collector's Item. Und als das für mich nicht mehr interessant. Mir war das schon recht, dass es in jedem Haushalt vertreten war als normales Massenobjekt, mit dem man trotzdem etwas machen konnte. Aber es gibt ja sonst auch noch einen Haufen Klump zu gestalten. Ich bin da nicht sehr nostalgisch.