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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

17. 5. 2012 - 15:32

Die meisten DJs

Springfestival, Tag 1: Amon Tobin, Axel Boman, John Talabot, Patrick Pulsinger, Wolfram.

Jetzt ist das Schlachtschiff der Borg also doch endlich auf der Erde gelandet. Wollen fremde Rassen von kybernetischen Dronen menschliche Technologien assimilieren, gar unser Gefühl für Harmonie und Wärme, unser Herz in sich aufnehmen? Auf der Bühne der Grazer Helmut-List-Halle steht eine aus weißen Würfeln zusammengesetzte Konstruktion, die als Projektionsfläche für allerlei Lichtshow dient, als verschachtelte Leinwand für Technik- und Industriefilme, die Abbildung von Schaltkreisen und Kabelsalat, live aus dem Zentrum des Maschinenraums.

Amon Tobin

Philipp L'heritier

Amon Tobin
Amon Tobin

Philipp L'heritier

Amon Tobin

Philipp L'heritier

Der Headliner am Eröffnungsabend des Springfestivals ist Amon Tobin, der Unique Selling Point seiner Performance sind die Visuals. Wie soll man das ja auch sonst immer machen, dieses verflixte "Live"-Spielen von elektronischer Musik. Der Lichterzirkus von Amon Tobin pegelt sich vom Grad der Erregung her dann irgendwann im Mittelfeld zwischen der aktuellen Squarepusher-Show, die so toll dann auch wieder nicht gewesen ist, und der jegliche Sinneswahrnehmung sprengenden Daft-Punk-Pyramide ein.

Der brasilianische Produzent präsentiert sein aktuelles, auch schon gut ein Jahr altes Album "ISAM". Dafür hat Tobin, wie schon auf dem sehr guten Vorgänger-Album "The Foley Room", weitestgehend auf seine Trademark-Verquickung von Jungle und von altem Vinyl gezogenen Jazz-Samples verzichtet und sich der Herstellung von eigenem Klangmaterial mithilfe von selbst aufgenommenen Field Recordings zugewandt. Was es zu hören gibt, bewegt sich zwischen abstrakter Klanginstallation, die nur noch am Rande Musik sein will, dem Summen von Insekten und vor allen Dingen haargenau im Koordinaten-System des frühen, gerne als "klassisch" gehandelten Sounds von Warp Records: Scharfkantige Beats und Geräusche aus dem digitalen Shredder im Andenken an Autechre werden mit flauschig-warmen Wohlfühlflächen der Schule Boards of Canada durchsetzt. Das alles ist sehr schön und gut, neue Welten aber, man ahnt es schon, werden an diesem Abend keine mehr erschlossen.

Axel Boman

Philipp L'heritier

Axel Boman, Postgarage
Axel Boman

Philipp L'heritier

Hat man es danach geschafft, einen Shuttle-Bus zu besteigen oder alle anderen, vielen, vielen guten Menschen vor der Helmut-List-Halle auszutricksen und ein rares Taxi zu ergattern, hat man im Inneren der Stadt wieder einmal die Wahl - heute jedoch, man muss es sagen, noch nicht zwischen gar so brennenden Pflichtveranstaltungen: Im Dom im Berg kann man sich mit der Label Night von Ram Recordings eine Geschichtslektion in Sachen Drum'n'Bass abholen, im ppc hat Andy Butler von Hercules and Love Affair abgesagt und stattdessen Allzweckwaffe Wolfram an die Plattenteller gestellt, der schon das Warm-Up für Amon Tobin besorgt hat. Danach kommt Yuksek, dessen im letzten Jahr erschienenes und schön käsiges Dance-Pop-Album "Living on the Edge of Time" hier noch einmal dezent empfohlen sei.

Am Besten jedoch ist das Programm in der Postgarage: Da lösen sich nämlich der schwedische Produzent Axel Boman, Konsens-Shooting-Star der Stunde John Talabot, Supertyp Patrick Pulsinger und mit dem Engländer Scuba ein Mann, der schon vor fünf Jahren gewusst hat, was Postdubstep sein könnte, an den Geräten ab. Durch die Durchmischung der mitunter doch recht unterschiedlichen Styles der vier Herren ergibt sich ein stimmiges, vielfärbig schillerndes Gesamtporträt einer bestens getuneten Party. Im kleinen Raum der Postgarage legt noch dazu DJ DSL auf. Das Dach ist in Feuer.

John Talabot

Philipp L'heritier

John Talabot
Patrick Pulsinger

Philipp L'heritier

Patrick Pulsinger

Das alles ist also richtig dicht und auch mit richtig guten DJs besetzt und vom Party-Faktor her bestens gepolt, wenn man aber in einer trüben Minute kurz so bei sich nachgrübelt "Festival, aha, hm, naja", dann könnte man schon auf den Gedanken kommen, dass vielleicht ein, zwei aus den Socken schießende Live-Acts, die dieses Land eventuell noch nie gesehen hat, dem Abend und dem Sensationsfaktor des Eröffnungstages schon sicher nicht geschadet hätten. Aber es kommt ja noch so einiges.

DJ DSL

Philipp L'heritier

DJ DSL
Wolfram

Philipp L'heritier

Crowd

Philipp L'heritier