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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

20. 5. 2012 - 12:04

Das gute Büro

Eier, Butter, Bier - Texte zu Einkaufslisten unbekannter Provenienz (21)

marc carnal

Marc Carnal, der schönste Mann von Wien, sammelt seit geraumer Zeit Einkaufslisten.

Unterstützt wird er dabei von einem stetig wachsenden Kreis an redlichen Helfern, die ihn regelmäßig mit am Wegesrand oder in Supermärkten aufgelesenen Zettelchen beliefern, auf denen Fremde seltsame, amüsante, wirre, ungesunde oder fragwürdige Gedankenstützen notiert haben.

Zu diesen teils zauberhaften Stichwortsammlungen verfasst Herr Carnal dann Texte und trägt diese zwischendurch auch öffentlich vor.

Termine findet man hier.

Gut, dass es Jongleure gibt!
Ein dreifach Hoch auf all die braven Leuchtröhrenglasbläser!
Hut ab vor fleißigen Ergotherapeuten!
Auch Tankwarte, Galvaniseure, Tierpräparatoren, Make-up Artists und Brunnenbauer verdienen unseren bedingungslosen Respekt für ihren täglichen Beitrag zu unserem reibungslosen Aufenthalt im Diesseits.

Doch wir stehen jeden Tag zu islamischen, buddhistischen oder jüdischen, auf jeden Fall unchristlichen Zeiten auf, frühstücken Knusper-Cerealien und eilen dann ins Büro.
Ja, wir sind Teil einer haltungsgeschädigten, fahlen Mehrheit, die es letztlich doch nicht geschafft hat, irgendwas mit Menschen zu tun und die eigentlich auch nichts mit Medien macht, sondern Tag für Tag – problemlos ersetzbar und längst resigniert – unter Neonröhren hockt.

Manchmal fragen wir uns zwar, ob sich die Welt nicht ebenso einwandfrei weiter drehen würde, wenn wir das immer gleiche Kopieren, Tippen, Rechnen und Telefonieren einfach sein ließen, aber wir sind Sklaven unserer Leasingverträge, Einziehungsermächtigungen und kostspieligen Alltagsdrogen.

Es bleibt uns eigentlich nur eine Hoffnung, um im erbarmungslosen Takte der Stechuhr nicht Hoffnung und Fassung zu verlieren:

Das gute Büro

Das gute Büro ist eine Rarität. Es ist durch keine bestimmte Branche, Größe oder Stadt bedingt. Die meisten sehen es in ihrem gesamten Lebenslauf nicht von innen.

Im guten Büro arbeiten Menschen unterschiedlichsten Schlages. Was sie verbindet, ist ihre unausgesprochene, aber zur wohltuenden Selbstverständlichkeit gewordene Zurückhaltung. Man weiß fast nichts über die Kollegen. Privates wird konsequent verschwiegen. Man kennt höchstens biografische Highlights und den Familienstand der anderen.

Jeder weiß, was er zu tun hat und erledigt ebendies kommentarlos und nach Möglichkeit schweigend. Lässt es das Arbeitsvolumen zu, ist es jedem freigestellt, kostenlos bereitgestellten Kaffee zu genießen, im Freien zu rauchen oder sich in sozialen Netzwerken zu zerstreuen.

marc carnal

Pausengespräche sind unverbindlich und drehen sich um Chronikmeldungen, Wetterverhältnisse oder Television. Die Arbeit in den Pausen zu thematisieren oder gar darüber zu klagen, ist ein allseits anerkanntes Tabu, ebenso wie Urlaubsberichte, Nacherzählungen von Filmen oder Meinungen über andere Mitarbeiter.

Die Leistung anderer ist nicht im Interesse des einzelnen, dafür gibt es Führungskräfte.
Interne, schriftliche Kommunikation ist stets für alle einzusehen, jeder kann jedes E-Mail lesen. Das verhindert die allermeisten Unklarheiten, Ungerechtigkeiten und Gerüchte. Jeglicher interner Schriftverkehr ist ausschließlich beruflicher Natur.

Bürohumor ist undenkbar. Das Versenden „lustiger“ Powerpoint-Präsentationen oder Fotomontagen ist im Wiederholungsfall ein Kündigungsgrund.

Man schickt keine Kollegen in den Supermarkt, um diesen an der Feinkost-Vitrine durch aufwändige Wurst-Käse-Essiggurken-Kornspitz-Kombinationen wertvolle Zeit zu rauben. Gespeist wird in der Kantine oder eine selbst mitgeführte Jause. Abgesehen davon wird am Schreibtisch nicht geknabbert, geknuspert oder gelutscht.

Gelutscht wird auch sonst niemand. Affären mit Kollegen sind nicht vorstellbar. Sollte man sich dennoch verlieben, wird dies entweder geheim gehalten oder einer von beiden kündigt.

Die Bezahlung ist transparent und richtet sich vor allem nach den absolvierten Stunden. Zusätzliche Verantwortung wird entlohnt, jedoch bescheiden genug, dass diese vor allem aus fachlichen und charakterlichen, niemals aus monetären Gründen übernommen wird.

Nach der Arbeit verabschiedet man sich freundlich und geht natürlich niemals mit Kollegen „noch was trinken“, denn jetzt ist es endlich an der Zeit, Briefmarkensammlungen zu sortieren, sich in Darkrooms zu zerstreuen, Trimm-dich-Pfade zu absolvieren, in Hinterzimmern eine Weltrevolution vorzubereiten oder auch einen kleinen Aufsatz namens "Das gute Büro" zu verfassen, den manche wohl mit einem mürrischen "Muss man doch nicht so eng sehen..." quittieren werden, aber eben nur jene, die nie Teil eines guten Büros waren.