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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

14. 5. 2012 - 18:53

Anonymous-Radar erfasst INDECT

Das auf Initative der polnischen Polizei entstandene EU-Überwachungsprojekt INDECT wird dort gerade von einem Parlamentsauschuss untersucht. Am Sonntag kündigte Anonymous EU-weite Proteste an.

Das viel kritisierte Projekt INDECT kommt immer mehr unter Druck, inzwischen auch in seinem Ursprungsland Polen. Auf Initiative der Abgeordneten mehrerer Oppositionsparteien wurde der Krakauer TU-Professor und INDECT-Projektleiter Andrzej Dziech vergangene Woche in den Innenausschuss des polnischen Parlaments ("Sejm") vorgeladen. In einer ersten Stellungnahme wies Dziech die Kritik der Abgeordneten zurück, INDECT würde der exzessiven Bürgerüberwachung Vorschub leisten, das Recht auf Privatsphäre missachten, sowie Meinungs- und Gewissensfreiheit bedrohen.

Dziech betonte zum wiederholten Male den akademischen Charakter des Projekts, das überdies allen Transparenzregeln der EU-Forschungsprojekte unterliege und laufend kontrolliert werde. Wie bei jedem EU-Forschungsprojekt zum Thema "Sicherheit" sei auch bei INDECT ein "Ethikrat" eingebunden, der über die Ethik und Rechtskonformität des Projekts wache.

Ethik, Polizei und Heimatschutz

Vorsitzender dieses Ethikrats ist Assistant Chief Drew Harris von der nordirischen Polizei, zur Seite steht ihm dabei Detective Chief Inspector Zulema Rosborough, ebenfalls von der Polizei des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nord-Irland.

Das als "Menschenrechtsanwalt" ausgewiesene Mitglied des Ethikrats, Ralph Roche, ist in Wirklichkeit Polizeijurist bei der oben genannten Behörde. Rechtsprofessor Emil Plywaczewski wiederum gehört der polnischen Plattform für Heimatschutz an, für die auch ein weiterer Akademiker im Ethikrat, Professor Mariusz Ziolko, Forschungsaufträge abwickelt.

Das nach dem Ausstieg des polnischen Innenministeriums vorschnell totgesagte EU-Überwachungsprojekt INDECT ist der Prototyp für ein System zur Rundumüberwachung der urbanen Zivilgesellschaft, sowohl im realen wie im virtuellen Leben. Das technische Set-Up sieht einer modernen militärischen Gefechtsfeldzentrale zum Verwechseln ähnlich.

Ethik, Zensur und Transparenz

Das sind bereits fünf von acht Mitgliedern des Ethikrats, durch dessen Konstruktion auch sichergestellt ist, dass jedes Dokument des INDECT-Projekts letztlich über den Tisch der nordiririschen Polizei gehen muss. Der Ethikrat bestimmt auch, welche Passagen des betreffenden Dokuments trotz des Transparenzgebots nicht veröffentlicht werden.

Neben zwei Mitgliedern aus dem zivilen akademischen Bereich ist als Industrievertreter der Burgenländer Andreas Pongratz von der auf Videotechnik spezialisierten Firma X-Art. Pongratz verwies gegenüber ORF.at darauf , dass im Sinne der Information aller Projektteilnehmer - vereinbart worden sei, Anfragen zentral zu beantworten. Über die Untersuchung des polnischen Sejm war Pongratz am Montag Abend noch nicht informiert, zeigte sich aber zuversichtlich, bei der nächsten Sitzung des Ethikrats kommende Woche mehr zu erfahren.

Wie getrickst wird

Was die Tätigkeit des Ethikrats angeht, so finden sich nach dem Inhaltsverzeichnis des Jahresberichts 2011 (erschienen Februar 2012) gleich einmal zwei leere Seiten. Anders als in den Vorjahren ist auch keine Aufstellung aller Mitwirkenden mehr enthalten, 2010 hatte die nordirische Polizei mit fünf im Ethikrat operativ werkenden Beamten dabei den Löwenanteil gestellt. In den Berichten selbst wird auf ähnliche Art getrickst.

So erweckt eine Lektüre des Berichts den Eindruck, als seien die INDECT-Projektakteure ständig in Austausch mit Datenschützern oder Kritikern des Projekts aus den Reihen der Politik. So wird zum Beispiel das große Interesse von EU-Parlamentariern an INDECT thematisiert.

Der Umstand, dass die im Text erwähnten Abgeordneten Alexander Alvaro (Liberale, DE) und Martin Ehrenhauser (Fraktionslos, AT) das Projekt in Grund und Boden kritisiert hatten, wird hingegen nicht erwähnt.

Im September 2010 hatte der INDECT-Ethikrat angekündigt, "Themen, die sich negativ auf die Polizeiarbeit, die nationale und öffentliche Sicherheit oder das Ansehen der Beteiligten auswirken könnten", nicht mehr zu veröffentlichen. Darauf verschwanden einige Dokumente vorübergehend von der Website.

Die Einladungspolitik

Ebenso wird angeführt, dass Professor Hannes Tretter vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (Wien) in den Ethikrat eingeladen und dort erschienen sei. Nach Tretters einleitenden Ausführungen sei es auf der Sitzung vom 21. September 2011 zu einer Diskussion zum Thema Generalüberwachung per se und die Ausgewogenheit des Projekts gekommen, hieß es lediglich. Was der Bericht nicht enthält, war auf Nachfrage von ORF.at aus dem Wiener Ludwig Boltzmann Institut zu erfahren:

Professor Tretter habe eine Einladung als Mitwirkender im Ethikrat zwar angenommen, allerdings strikt ohne Auflagen wie zum Beispiel, dafür ein "Non Disclosure Agreement" (Schweigepflicht) zu unterzeichnen. Die INDECT-Koordintaoren hätten sich höflich bedankt, meldeten sich freilich nicht mehr. Auf eine Wochen später erfolgte Nachfrage Tretters hieß es, dass sich die Angelegenheit erledigt habe.

Wie man zu Experten kommt

In der nämlichen Sitzung bedankte sich auch der Datenschutzbeauftragte Polens, Wojciech Wiewiorowski für die Einladung, lehnte aber eine direkte Mitwirkung im Ethikrat mit Verweis auf seine gesetzlichen Verpflichtungen als Chef der unabhängigen Datenschutzbehörde ab. Als solcher stehe er dem Gremium für künftig anfallende Datenschutzfragen natürlich extern zur Verfügung. Seitdem wird Wiewiorowski auf der INDECT-Homepage als "externer Berater" gelistet.

Die Kapitel zu den Einzelprojekten, aus denen INDECT zusammengesetzt ist, folgen jeweils ein- und demselben Muster. Die "Work Packages" drei und vier bezeichnen in Wirklichkeit eine umfassende Suite aus verschiedenen Datamining-Applikationen, die Daten aus allen möglichen Quellen (WWW, Blogs, P2P) zur Analyse von Beziehungen und Verhaltensmustern extrahieren.

Monitoring-Centers, Internet-Provider

Weitere Elemente sind die "INDECT Lawful Interception Platform", Monitoring Center, die direkt in bei den Internet-Providern angesiedelt sollen, wo der Verkehr aller Kunden im betreffenden Netzwerk mitprotokolliert werden könnte. Aber: Diese Plattform werde ja nur zum Abfangen des Datenverkehrs jener Ziele benutzt, für die ein gerichtlicher Überwachungsauftrag vorliege, die anderen Datenpakete würden weitergeleitet und nicht untersucht.

Zum einleitend als "hochsensibel" beschriebenen Arbeitspaket vier heißt es: "Da Beziehungsanalyse von Textdaten, die Beziehungen zwischen namentlich bekannten Entitäten (Personen, Orten, Organisationen, Daten usw.) betrifft, kann der Missbrauch die Privatsphäre der Bürger beeinträchtigen." Mit dieser in's Wolkige abstrahierten Aussage ist das vorbeugende Ausschnüffeln unbescholtener Bürger durch das automatisierte Erstellen von Bewegungs- und Kommunikationsprofilen gemeint (S.20). Gegenmaßnahmen: "Daher muss darauf geachtet werden, dass Missbrauch solcher Software verhindert wird."

"Man muss halt aufpassen"

Das zieht sich sterotyp durch alle Sektionen des Berichts: Erst wird ein Überwachungsszenario beschrieben, dass einem die Haare zu Berge stehen. Hierauf kommt eine Warnung, dass so ein Szenario eventuell die Privatsphäre gefährden könne."Man muss halt aufpassen" ist dann die stereotype Lösung.

Der Bericht des Ethikrats 2011. Im Frühjahr 2010, als das Projekt bereits in heftiger Kritik stand, hatte man erst eine Öffnungspolitik ausgerufen. Highlight daraus: "Um der zunehmenden Öffnung Genüge zu tun, hat Mr. Harris eingewilligt sein Foto auf der Website zu veröffentlichen.

Der Abschnitt über den Einsatz von Drohnen aber sagt über Einstellung und Perspektive der meisten INDECT-Teilnehemer eine Menge aus. "Die größten und komplexesten ethischen Probleme betreffen die unbemannten Flugzeuge von INDECT" heißt es im Resümee der Arbeitsgruppe zwei. Das sollte man auch meinen, ist doch mit HD-Kameras und anderen Sensoren vollgepacktes Kriegsgerät zur Überwachung der EU-Zivilgesellschaften in urbanen Räumen noch ein Novum.

Drohnen und ihr "freier Wille"

Zuerst gelte es die Frage zur klären, wieviel "freier Wille" der Drohne zugestanden werde. "Kann sie einen direkten Befehl missachten, wenn der Operator die Drohne zum Beispiel einem Auto hinterherschickt, obwohl sie wegen Treibstoffmangels dann nicht mehr zurückkehren kann. Das wird in einem Absturz resultieren, der Unschuldige gefährdet. Was ist wichtiger? Soll sie umkehren, wenn nur ein Autodieb drin sitzt, aber im Fall von Terroristen weiter folgen?"

Hier wie überall im INDECT-Projekt wird die Sicht der Behörden mit "common sense" gleichgesetzt. Auf Kritik aber hatten die staatsnahen polnischen Heimatschutzforѕcher von Anfang an erst mit Unverständnis reagiert. Sodann wurde und wird mit Vehemenz etwas bestritten, was niemand der Kritiker behauptet hatte, sodann folgen die Tricksereien mit Polizeijuristen, die als Menschenrechtsanwälte deklariert werden usw.

Bewusste Unschärfen

Entschiedene Projektgegner, die nur einmal Kontakt mit der INDECT-Koordination hatten, werden so als Dialogpartner dargestellt. Es ist die übliche Mischung aus bewusst gesetzten Unschärfen im Text, von Auslassungen, Halbwahrheiten und den Resultaten selektiver Wahrnehmung, wie man sie aus den polizeilichen EU-Ratsarbeitsgruppen seit Jahren kennt.

Auf dem Anonymous-Radar

Was das weitere Prozedere in Polen betrifft, so wurde in Folge der Absenz hochrangiger Vertreter des Innenministeriums vertagt, die INDECT-Anhörung sollte diese Woche weitergehen.

Eine weitere unerfreuliche Nachricht für den Professor und die anderen Heimatschutzakademiker ist, dass INDECT seit Sonntag Abend offenbar auf dem Radar der Anonymous-Bewegung aufgetaucht ist. "Lasst uns gegen INDECT in gleicher Weise protestieren, wie wir es gegen ACTA zu Beginn des Jahres getan haben und noch immer tun. Lasst uns europaweite Proteste am 28. Juli 2012 anstreben!" heißt es in einem Video, das am Sonntag veröffentlicht wurde.