Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Ed Wood Forever"

Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

15. 5. 2012 - 10:32

Ed Wood Forever

Wer wegen "Dark Shadows" grantig auf Tim Burton und Johnny Depp ist, sollte sich wieder einmal ihre beste Zusammenarbeit ansehen.

Zombie-Onkel George A. Romero tut sich ebenso schwer Geldgeber für seine Filme zu finden wie Terror-Papst John Carpenter. Der Italosplatter-Maestro Dario Argento ist schwerkrank und wird in Cannes vermutlich seinen letzten Film präsentieren.

Wenigstens Tim Burton geht es blendend, das ist schön zu wissen. Schließlich muss man sich wirklich freuen, wenn es einem großen Exzentriker und Vertreter einer Kultur der Außenseiter, Weirdos und Beautiful Freaks gelingt, sich mitten im kommerziellen Herz von Hollywood zu etablieren. Zusammen mit seiner gleichgesinnten Frau Helena Bonham-Carter und Dauergästen wie Johnny Depp lebt Burton als alternder Gruftie seine (Alb-)Träume aus und wird dafür auch noch bestens bezahlt.

Nicht so gut ist die ganze gruftige Gemütlichkeit aber anscheinend für Tim Burtons filmisches Schaffen. Schon seit geraumer Zeit tritt der Regisseur auf der Stelle, erstarrt in langjährig etablierten morbiden Schablonen und Formeln. Schien mit dem ziemlich belanglosen Effektspektakel „Alice in Wonderland“ schon ein Tiefpunkt erreicht, erweist sich Burtons vermeintliche Rückkehr zu seinen Goth-Wurzeln, die TV-Serien-Hommage „Dark Shadows“, nun auch als Enttäuschung.

Dark Shadows

Warner Bros

Wilde Friseuren und müde Witze

Zum mittlerweile achten Mal tritt Johnny Depp darin für seinen Regiefreund overdressed vor die Kamera. Als tragischer Oldschool-Vampir Barnabas Collins wird er nach 200-jährigem Schlaf versehentlich von Bauarbeitern wieder erweckt. Nostalgisch und schlecht gelaunt tappst der blutgierige Gentleman durch die amerikanische Provinz im poppigen Jahr 1972. Nur die Wiedervereinigung mit seinem Familienclan kann Barnabas zur Ruhe bringen. Dabei erweisen sich die diversen Verwandten als mindestens so verschroben wie ihr vampiristischer Vorfahre.

„Dark Shadows“, basierend auf der gleichnamigen Grusel-Soap-Opera aus den späten Sixties, begeistert mit grellen Kostümen, wilden Frisuren, aufregender Ausstattung und einer charmanten Songauswahl auf der Tonspur.

Gegen das lahme Drehbuch, dass sich in müden Witzchen und vorhersehbaren Wendungen erschöpft, kann das aber alles nichts ausrichten. Und dass Johnny Depp längst nur mehr wie auf Autopilot agiert, wenn er für Burton in eine Maske schlüpft, konnte man schon aus dem Trailer erahnen.

Wirklich unverzeihlich ist jedoch, wie der Regisseur all die potentiell phänomenalen Frauenfiguren des Films verschenkt. Die Newcomerin Bella Heathcote verspricht als junge Gouvernante Großartiges im ziemlich lässigen Vorspann, verschwindet dann aber bald hinter Depp in der Versenkung. Michelle Pfeiffer und Chloë „Hitgirl“ Moretz dürfen ihre Parts höchstens anteasen, gerade mal Eva Green bekommt etwas mehr comichafte Screentime.

Dark Shadows

Warner Bros

Wer wegen „Dark Shadows“ auf das einstige Dreamteam Tim Burton und Johnny Depp grantig ist, kann sich natürlich zum emotionalen Ausgleich „Edward Scissorhands“, „Sleepy Hollow“ oder eventuell auch „Sweeney Todd“ anschauen.

Ich empfehle aber einen DVD-Abend mit einem Film, der meiner bescheidenen Meinung nach den Höhepunkt in den bisherigen Karrieren von Regisseur und Hauptdarsteller einnimmt, nicht nur kollaborativ, sondern auch was deren Einzel-Filmografien betrifft. Die Rede ist natürlich von dem schwarzweißen Biopic-Meisterstück „Ed Wood“.

Tim Burtons 1994 veröffentlichter Streifen änderte für alle Involvierten eine ganze Menge. Am meisten wahrscheinlich posthum für den tragischen Titelhelden des Films, den Regisseur, Produzenten und Darsteller Edward D. Wood Jr., dessen Werke regelmäßig in Listen mit den „schlechtesten Filmen aller Zeiten“ gewählt wurden. Chaos und Dilletantismus regierten in den fünfziger Jahren auf den improvisierten Sets des Schundkönigs, was nicht zuletzt den mikroskopischen Budgets zu verdanken war, die hinter Filmen wie „Glen or Glenda“ steckten.

Der zuvor vor allem für seine „Batman“-Adaptionen bekannte Tim Burton rehabilierte den legendären Trash-Filmemacher plötzlich als bewundernswerten Leidenschaftstäter und setzte ihm ein grandioses Zelluloid-Denkmal. Spätestens durch „Ed Wood“ wurde aber auch klar, dass sich Burton als Regisseur enorm weiterentwickelt hatte und Johnny Depp definitiv in die allererste Hollywood-Riege gehörte.

Ed Wood

Buena Vista

Der Orson Welles des Mülltonnen-Kinos

Der Film ist ein Tribut an wackelnde Kulissen, eine Verbeugung vor Akteuren, die durch Papp-Dekorationen stolpern und dabei ihre umständlichen Dialogsätze vergessen. Mittendrin Ed Wood, der durch nichts zu erschüttern oder zu bremsen ist. Auch wenn alles schiefgeht, schreit der Regisseur nach dem allerersten Take zufrieden "Cut" und die Szene ist im Kasten.

Wood, der gerne Damenunterwäsche und Angorapullis trug, war mit seinen Billigst-Horrorfilmen und Pulpdramen lange nur einer Handvoll Filmfreaks ein Begriff. Dann entdeckten ihn nach seinem Tod die Schöpfer der "Golden Turkey" Awards und machten ihn zum Antistar und zur Messlatte für alles Bad Cinema.

Tim Burton vermeidet alle Fallen und Fettnäpfchen, macht sich weder über die Hauptfigur lustig noch kokettiert er mit dem Klischee furchbar schriller Drag-Queen-Movies. Er dreht, ganz im Sinne seiner Verehrung für gloriose Sonderlinge, den Spieß vollständig um. Statt Ed Wood als dumpfen Spinner abzustempeln, zollt er ihm Bewunderung für seine Obsessionen und sein Improvisationstalent. Er lässt ihn im Film sogar auf Orson Welles persönlich treffen und sagt uns Zuschauern damit: Eddie war der Welles des Mülltonnen-Kinos.

Schundfilmer, Transvestit, Frauenheld: Johnny Depp spielt Ed Wood vor allem als großes Kind mit leuchtenden Augen voller Naivität. Aber wirklich jede Rolle in dem Film ist exzellent besetzt. Am meisten brilliert Martin Landau als todkranker Horrormime Bela Lugosi, zurecht Oscar-gewürdigt.

Ed Wood

Buena Vista

Schutzheiliger aller Kinosüchtigen

„Ed Wood“ ist letztlich viel mehr als das Portrait einer Person. Es ist ein Tribut an die Kunst des No Budget-Filmemachens. Eddie Wood steht stellvertretend für die andere Geschichte des Kinos. Für eine Generation von sanft durchgeknallten Fanatikern. Er ist der Schutzheilige aller Kinosüchtigen, betont Burton. Seine Botschaft: Alles was zählt, ist die bedingungslose Liebe zum Medium und eine große Portion Besessenheit. Andere Faktoren wie Geld, gute Schauspieler oder gar Talent scheinen nebensächlich.

Spontanität ist alles, das grenzt bei Ed Wood schon fast an Dadaismus. Bemalte Suppenteller dienen als fliegende Untertassen. Ein Duschvorhang und ein Sessel reichen um eine Fluzzeugkabine zu simulieren. Als der Requisiteur den Motor zum Riesenkraken vergessen hat, muss sich Bela Lugosi eben selbst in das Gummimonster einwickeln. Als der ehemalige Graf Dracula vor dem Drehbeginn zu „Plan 9 From Outer Space“ stirbt, nimmt der Regisseur kurzerhand den Masseur seiner Frau und steckte ihn in Lugosis Cape.

Der Film blendet dezent im Jahre 1959 aus, nach der Premiere von „Plan“. Später dreht Ed Wood dann Pornos, schreibt Groschenhefte und wird zum schweren Alkoholiker. Er stirbt verarmt und heruntergekommen 1978 im Alter von 54 Jahren. Tim Burtons und Johnny Depps gemeinsame Heiligsprechung von Ed Woods fast perversem Optimismus lässt ihn ewig leben.

Ed Wood

Buena Vista