Erstellt am: 10. 5. 2012 - 15:06 Uhr
Zwischen Protest und Überzeugung
von Chrissi Wilkens
In den Straßen des Athener Zentrums hängen noch die bunten Wahlplakate der Parteien. Unter ihnen auch die vom Linksbündnis Syriza, das 16,7% erreichte und damit zur zweitstärksten politischen Kraft wurde. Die Partei gilt als eindeutiger Wahlgewinner. "Sie haben ohne uns entschieden - wir gehen ohne sie weiter", steht in großer schwarzer Schrift auf dem Wahlplakat von Syriza, dahinter das Foto einer Massendemonstration.
syriza
Das Wahlergebnis macht es schwer, eine Mehrheit zur Regierungsbildung zu finden, am Mittwoch ist ein weiterer Versuch, eine Regierung zu bilden, gescheitert. Nach dem Konservativen Antonis Samaras, Chef der Nea Demokratia, hat auch Syriza-Vorsitzender Alexis Tsipras keine Partner gefunden. Heute, Donnerstag, versucht Sozialisten-Chef Evangelos Venizelos sein Glück. Seine Partei, die PASOK, hat wie auch die ND sehr starke Verluste verbuchen müssen.
"Wieviel Schulden haben wir wirklich?"
Die 28-jährige Katerina lächelt zufrieden. Die junge Juristin hat die beiden letzten Jahre fast jeden Monat auf den Straßen der griechischen Hauptstadt gegen die von den Gläubigern diktierte Sparpolitik demonstriert.
Katerina hat Syriza gewählt. “Es die einzige Partei, die untersuchen will, wie die Schulden zustande gekommen sind. So etwas ist möglich. Es ist bereits in Argentinien und Ecuador geschehen”, sagt sie.
Alexis Tsipras, der 37-jährige Vorsitzende von Syriza, ist der jüngste Parteiführer Griechenlands. Er will einen Ausschuss zur Überprüfung der Schulden zusammenstellen und auch die mit den Gläubigern vereinbarten Kürzungen der Gehälter und Renten verhindern. Er setzt sich für die Abschaffung von Gesetzen ein, die "elementare Arbeitnehmerrechte beschneiden" und will die Bonusregelung, wonach die stärkste Partei zusätzlich 50 Mandate erhält, abschaffen. In den ausländischen Medien wird er als linksradikaler Politiker bezeichnet. Katerina stimmt darin nicht überein: "Wir sagen nicht, wir möchten die Schulden nicht zurückzahlen. Wir möchten aber erst einmal wissen, wie viel wir wirklich schulden.”
EPA/ALKIS KONSTANTINIDIS
Nikos hingegen, ein junger Taxifahrer, hat für die ultra-konservative Partei Unabhängige Griechen von Panos Kammenos, einem ehemaligen Abgeordneten der konservativen Nea Demokratia, gestimmt. Die Partei, die erst vor ein paar Monaten gegründet wurde, hat es geschafft, mehr als 10 Prozent zu bekommen und dabei einen großen Teil der Nea Demokratia-Wähler zu gewinnen.
Nikos hat dies Partei gewählt, weil sie nicht nur gegen den Sparkurs ist, sondern sich auch für nationale Themen einsetzt z.B. im Namensstreit mit der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien (FYROM) oder gegenüber der Türkei. "Griechenlands internationale Position wurde durch die Schuldenkrise geschwächt. Wir brauchen eine starke Stimme in Parlament, die die nationalen Interessen verteidigt", sagt Nikos, während er aufmerksam den Nachrichten im Autoradio lauscht.
Die Europäische Union reagierte mit klaren Worten auf das Wahlergebnis in Griechenland: "Es gibt zwischen Griechenland und der Eurozone eine Vereinbarung. Und Griechenland muss diese einhalten", warnt EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Mittwoch. In Europa herrscht Angst vor einer linken Regierung in Griechenland, die den Sparkurs kippen könnte. Am selben Tag sagt der deutscher Finanzminister Wolfgang Schäuble, Athen könne nicht gezwungen werden, den Euro zu behalten. "Griechenland entscheidet selbst, ob es in der Euro-Zone bleibt oder nicht."
"Wir haben nichts zu verlieren"
Katia, eine 48-jährige Privatangestellte, lacht entspannt. "Noch eine Erpressung. Wir sind daran gewöhnt." Seit Jahren hat sie sich geweigert, zur Wahlurne zu gehen, aus Protest gegen die beiden großen Parteien PASOK und Nea Demokratia, die sich seit fast vier Jahrzehnten an der Macht abwechseln. Diesmal aber war sie entschlossen, zu wählen - weil es um das Schicksal Griechenlands geht, meint sie.
Sie hat auch für Syriza gestimmt, obwohl sie sich in kein politisches Lager einordnen lassen will. "Ein paar Stunden nach den Wahlen, als ich gemerkt habe, dass die politische Landschaft sich total verändert und wir vielleicht auch aus der EU fliegen könnten, hatte ich Angst. Danach habe ich mich beruhigt. Wir haben nichts mehr zu verlieren, nur unsere Ketten."
EPA/ALEXANDROS BELTES
Vasiliki, eine junge Friseurin, sieht es genauso. Die 27-Jährige arbeitet seit acht Jahren in einen Friseursalon. Die Kunden werden immer weniger, ihr Chef schuldet ihr drei Monatsgehälter. Vasiliki wohnt in einem heruntergekommenen Vorort Athens, wo viele papierlose Migranten und Flüchtlinge aus Asien und Afrika leben und die Kriminalitätsrate sehr hoch ist. In dieser Gegend hat die neofaschistische Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) viele Anhänger gewonnen, mit Gewalt gegen Ausländern und der Ablehnung des Sparkurses und der etablierten Parteien. Mit fast 7 Prozent hat sie nicht nur zum ersten Mal den Sprung in das griechische Parlament geschafft. Die Darstellung hat sich auch von einer kriminellen rechtsradikalen Schlägertruppe zur scheinbar familiengerechten Rechtspartei gewandelt. Auch Vasiliki hat dieser Partei ihre Stimme gegeben, “aus Protest, damit jemand im Parlament mal auf den Tisch hauen kann, wenn die Politiker der großen Parteien unser Land an die Gläubiger verkaufen!” Als sie aber kapierte, dass diese Partei faschistische Ansätze hat, bereute sie es. Nun hofft sie auf einen Wechsel oder auf einen Neuanfang in einem anderen Land. Wie viele griechische junge Leute es bereits getan haben, überlegt sie, auszuwandern.
Weil sich die Parteien nicht einigen können, werden Neuwahlen in Griechenland immer wahrscheinlicher. Aktuellen Umfragen zufolge könnte dann das Linksbündnis Syriza bei Neuwahlen im Juni weiter wachsen.