Erstellt am: 9. 5. 2012 - 15:14 Uhr
Urschreitherapie
Über unzählige Auftritte in Fernsehserien und Kinofilmen ist er zu einer modernen Legende geworden, zum „missing link“ zwischen Affen und Menschen, der sich mit gestählter Brust von Liane und Liane hangelt. Weniger bekannt ist, dass die Popfigur Tarzan auf einer Reihe von Romanen basiert. Und die haben mit der verkitschten Dschungelromantik der Adaptionen wenig gemein.
Dieser winzige Schlitz von Mund und die kümmerlichen weißen Zähnchen! Wie jämmerlich wirkten sie neben den mächtigen Lippen und grimmigen Eckzähnen seiner glücklicheren Brüder!
Da sitzt der junge englische Lord inmitten seiner Affenfamilie und beneidet die Tiere um ihre physischen Attribute. Mit seinen Eltern, Lord & Lady Greystoke, hat er Schiffbruch erlitten. Sie sind längst vom Dschungel verschlungen. Ihr Sohn aber wird von einer sentimentalen Äffin in die Sippe eingegliedert. Tarzan nennt sie ihn. Übersetzt bedeutet das Weißhaut.
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Exotischer Eskapismus
Walde + Graf
Tarzan bei den Affen nennt der Amerikaner Edgar Rice Burroughs jenen Roman, der ihn zum reichen Mann machen wird. Die Jahre zuvor verbringt der Sohn eines Majors und einer Erzieherin mit gescheiterten Karrieren: Vom Militär wird er wegen eines Herzfehlers ausgeschlossen, das Goldschürfen bringt keinen Erfolg. Verarmt beginnt Burroughs zu schreiben. Von fernen Welten, in denen seine Figuren ganz von vorne beginnen können. Tarzan ist nicht nur der Entwicklungsroman des Affenmenschen, sondern auch der seines Schöpfers.
Tarzan von den Affen war die Personifizierung des primitiven Menschen, des Jägers und Kriegers. Mit seiner vornehmen Kopfhaltung, den breiten Schultern und den schönen, klaren Augen, in denen das Licht des Lebens und großer Verstandeskraft loderte, hätte er durchaus für den Halbgott eines wilden, längst vergangenen Kriegervolks in diesem uralten Wald gelten können. Doch er dachte nicht an dergleichen Dinge. Ihn beschäftigte, dass er keine Kleidung hatte, um allen Dschungelbewohnern zu zeigen, dass er ein Mensch war und kein Affe, deshalb beschlichen ihn oft schwere Zweifel, ob er womöglich doch noch Affe werden könnte.
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Urmenschlichkeit
Tarzan jagt und tötet. Er meuchelt seinen Affenvater und kämpft mit seinem Bruder um die Vorherrschaft über seine Sippe. Seine Feinde frisst er auf. Vieles an Burroughs Tarzan ist wüster Exotismus. Ein Relikt aus einer Zeit, in der im Wiener Prater noch ein komplettes afrikanisches Dorf ausgestellt war – inklusive der Einwohner, die man kurzerhand mit umgesiedelt hatte. Die Afrikaner sind bei Burroughs prototypische Wilde.
Erst die Begegnung mit der Professorentochter Jane weckt in Tarzan den Wunsch Mensch zu werden. Burroughs ist weniger ein Geschichtenerzähler als ein großer amerikanischer Mythen-Spinner. Es geht um die großen Themen, um Erziehung und Zivilisation, um Menschlichkeit und Triebe, um Leben, Tod und Wiedergeburt. Ausgefüllt wird dieses Gerüst mit viel Remmidemmi, Tieren und Sensationen.
Als die großen Muskeln auf dem Rücken und den Schultern des Menschen sich unter seinen kraftvollen Anstrengungen zusammenzogen und die mächtigen Bizepse und der Unterarm die furchtbaren Zähne von ihm wegdrückten, schwand der Schleier jahrhundertealter Zivilisation und Kultur vor dem verschwommenen Blick dieser jungen Frau aus Baltimore.
Und als das lange Messer mehrfach tief in Terkoz‘ Herzblut tauchte und sein mächtiger Körper leblos am Boden lag, war es eine Frau der Urzeit, die mit ausgestreckten Armen dem Mann der Urzeit entgegenstürzte, der um sie gekämpft und sie erkämpft hatte. Und Tarzan? Er tat, was man keinen Mann, in dessen Adern rotes Blut fließt, lehren muss. Er nahm die Frau in seine Arme und bedeckte die ihm zugewandten halboffenen Lippen mit Küssen.
Walt Disney
Tarzana
Die drei "Tarzan"-Romane wurden ins Deutsche übersetzt von Ruprecht Willnow, Marion Hertle und Stephan Pörtner.
Insgesamt 24 "Tarzan"-Romane schreibt Edgar Rice Burroughs. Ihm gelingt es als einem der ersten Autoren überhaupt, die Rechte an seiner Schöpfung zu behalten. Er übersieht die Produktion von Tarzan-Brot und Radiergummis, verdient an all den Comics, Illustrationen und Adaptionen mit. In den USA kündet die Tarzana-Ranch immer noch vom kapitalistischen Geschick des Autors. Ein Symbol für perfektes Branding und Franchising, errichtet aus der Fantasie eines Mannes, der von Afrika schrieb, ohne je einen Fuß auf den Kontinent gesetzt zu haben.
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