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Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

12. 5. 2012 - 12:13

Liebe und andere Versprechen

Wenn Menschen zurückkommen und doch verloren gehen: Der italienische Autor Andrea Bajani bietet großes Gefühlskino der vielen kleinen Momente.

Das mit dem Kinderkriegen ist so eine Sache. Mal abgesehen von den vielen neuen Herausforderungen, kommt bereits bei der Planung etwas auf uns zu, das wir bis zu diesem Zeitpunkt wunderbar umschiffen konnten: Nämlich die Erkenntnis, Teil einer Kette zu sein, eines Fadens, der zwar mit einem selbst enden könnte, der aber weit vor einem selbst begonnen hat. Wir sind nicht als Einzelwesen möglich – uns gibt es nur deshalb, weil es viele vor uns gab. Ob uns das gefällt oder nicht.

Buchcover - eine Laterne mit Möwen

dvt

"Familie" könnte man das nennen, "Verstrickung" wäre auch eine schöne Beschreibung dafür. In ein Netz aus genau diesen Verstrickungen lässt der Autor Andrea Bajani seine Hauptfiguren Pietro und Sara tappen. Das Paar wünscht sich ein Kind. Doch das klappt nicht. Die Beziehung zerbricht, Möbel werden aus der Wohnung geschafft, es bleiben "Löcher wie Zahnlücken" und ein großes Gefühl von Verlorenheit.

"Zwei Ängste waren aufeinander getroffen, ihre, etwas zu sagen, und meine, nach einer Erklärung zu fragen, und damit hatten wir alles unter den Teppich gekehrt."

Schreiben übers Schweigen

Ob die Zeit tatsächlich Wunden heilt, darüber lässt sich streiten. Und ob Schweigen dem Heilungsprozess dient, darüber lässt sich fantastisch schreiben, zumindest im Fall von Andrea Bajani. Er liefert mit seinem Roman "Liebe und andere Versprechen" eine Landkarte des Unaussprechlichen. Pietro und Sara sehen für sich selbst keine Zukunft, deshalb arbeiten sie sich in die Vergangenheit, unter die Teppiche ihre Vorfahren. Es wird an Wohnungen geklingelt, wo man als Kind gewohnt hatte, es wird an Stellen vorbeigeradelt, die für das Liebespaar von Bedeutung waren, als es noch ein Liebespaar war. Und aus verstaubten Büchern fallen Schwarz-Weiß-Fotografien, von totgeschwiegenen Großvätern und unbekannten Orten.

"Die Fotos, die jetzt zu Hause hingen, stammten alle aus der Zeit vor Marios Aufbruch nach Russland, er war noch ein junger Mann. Aber er trug schon Uniform, und wenn man ihn so sah in seinem Silberrahmen, bekam man das Gefühl, soeben sei der Krieg ausgebrochen. Fotos von später gab es nicht, meiner Mutter war das sehr recht, sie sagte, sie wolle das Gesicht, das er da bekommen habe, gar nicht sehen, das Gesicht hatten Hunde zerfressen."

Geschichtsaufarbeitung im eigenen Gesicht

Andrea Bajani ist für den Roman "Liebe und andere Versprechen" mit dem "Premio Bagutta", einem der wichtigsten italienischen Literaturpreise ausgezeichnet worden.

Übersetzt wurde der Roman von Pieke Biermann.

Pietro sieht seinem Großvater zum Verwechseln ähnlich - dem jungen Großvater, noch nicht gezeichnet von der Kriegstraumatisierung, die ihn Jahrzehnte hinter die Mauern einer psychiatrischen Klinik zwingen sollte. Das ist Andrea Bajanis Art, Geschichte aufzuarbeiten: Weg mit der Distanz, statt dessen das Leben des Soldaten-Großvaters im eigenen Gesicht suchen. Wenig Wut ist dabei zu finden, auch wenig Abrechnung oder Schuldzuweisung. Über einen alleinstehenden alten Mann kommt Pietro seiner eigenen Familiengeschichte näher. Mit großer Zuneigung und großartigen Sprachbildern zieht uns der Autor durch drei Generationen: Da baumeln alte Uniformen wie Gehängte im Schrank, rote Soßenflecke auf Russlandkarten ziehen sich wie Blutlachen über die Steppe, und die Mutter kocht für diesen fremden alten Mann, als könnten die Berge an Kartoffeln und Nudeln ihr den eigenen Vater zurückbringen.
Wir sind, was wir sind, weil es viele vor uns gab. Andrea Bajani schreibt über dieses Buch in seiner Danksagung am Schluss: "Dies ist meine Umarmung". Das trifft es sehr gut.