Erstellt am: 9. 5. 2012 - 09:00 Uhr
Die schönen Morde des Dario Argento
Einprägsame persönliche Dario-Argento-Momente für die Ewigkeit, ich könnte viele aufzählen.
Kein Regisseur hat den cineastischen Serienkillern und mysteriösen Mördern so ästhetisierte Denkmäler gesetzt wie Dario Argento. Am Mittwoch den 09.05. gibt es ab 22h ein „Movie Dungeon“ Spezial im House of Pain. Ebenfalls auf dem Programm: Ein Livemitschnitt der mit Argento verknüpften Progrockband Goblin vom Kremser Donaufestival.
Da ist das kindliche Staunen, gepaart mit Neugierde und Angst, als ich bei Adria-Urlauben mit meinen Eltern zufällig vor einem kleinen Kino stehe. Irritierende Aushängefotos hängen in den verschmutzten Schaukästen, dazu ein Plakat, das sich in die Buben-Netzhaut einbrennt. „Profondo Rosso“ heißt die verbotene, in blutige Farben getauchte Film-Verheißung, von der mich meine Mutter irgendwann wegzerren muss.
Anchor Bay
Sehr viel später, als ich im Rahmen einer Viennale die Ehre erhalte, ein Publikumsgespräch mit dem Maestro schüchtern zu moderieren, erzähle ich Dario Argento von dem Initialerlebnis. „Ah, Jesolo“, grinst er schelmisch, „what a nice town to make a holiday.“ Zu mehr als freundlichem Smalltalk kommt es aber leider nicht mit dem Schöpfer vieler genialer Filme, den ich als liebenswürdig und etwas chaotisch in Erinnerung habe.
Unvergesslich etliche Jahre zuvor die Erstsichtung seines Opus Magnum „Suspiria" (1977). In einer Videothek am Stadtrand erhasche ich eine abgenudelte Kassette des Films, der das Horrorgenre grundlegend veränderte. Endlich sehen, wovon ich lange nur gelesen und gehört habe. Ein psychedelisches Todesballett überrollt mich, pures destilliertes Kino. Dazu der Soundtrack der Band Goblin, voller pulsierender Analogsynthies und heulender Kirchenorgeln.
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Erinnerungen an Dario A.
Oder der Augenblick, der viele meiner Freunde und mich und mehrere Popkultur-Generationen verändert: der Erstkontakt mit "Dawn Of The Dead" von George Romero, der Kaufhaus-"Zombie", produziert von Dario Argento, der die weitaus überlegene europäische Fassung betreut. Die Apokalypse als Albtraum aus verfaulenden Shopping-Untoten, untermalt vom synthetisch wabernden Goblin-Sound.
Ewig werde ich auch an die Leinwanderlebnisse denken, als bei der besagten, vom jetzigen Filmmuseum-Chef Alexander Horwath kuratierten Viennale, die Streifen des Signore Argento endlich die große Leinwand ausfüllen. No more bad videos, das grausame und zugleich naiv infantile Märchen „Phenomena“ (1985), die bizarre und knallbunte Schauergeschichte „Inferno“ (Horror Infernal, 1980), der opulente Terror von „Opera“ (Terror in der Oper, 1985) überfluten in Cinemascope die Sinne.
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Und dazu tauchen im Kopf charmante Bilder aus einem Wiener Restaurant herum, in dem Dario Argento damals auf den Berliner Regie-Radikalen Jörg Buttgereit trifft. „Jorge, I love your movies“, schwärmt der Altmeister euphorisch. Ein lachendes Duo Infernal, vereint unter dem Viennale-Himmel.
Für beste Laune sorgt auch eine weitere Momentaufnahme rund um den Herren Argento, ein Rom-Aufenthalt mit dem überfälligen Besuch des kleinen Profondo Rosso-Shops, der ihm gehört. Das schmuddelig wirkende, aber fein sortierte Geschäft birgt im Keller das Dario-Argento-Museum, eine Erfahrung für sich. In vier Räumen sind Originalrequisiten zu sehen, diverse schlimm zugerichtete Kleiderpuppen drapiert und dazu ertönen Tonbandstimmen und Kettenrasseln, lustige Lichteffekte erhellen den Schrecken. Das Erhabene und das Billige sind sich oft ganz nah im Reich des Dario Argento.
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Der Regisseur mit den schwarzen Handschuhen
Uneingeweihten sei gesagt: In der Welt des italienischen Regisseurs nehmen Logik und Dramaturgie einen geringen Stellenwert ein; hier regieren die irrationalen Gesetze des Traums. In seinen rasiermesserscharfen Psychothrillern und stilisierten Splatter-Schockern hat Argento seine dunklen, gewalttätigen Fantasien verarbeitet.
Filme sind das, in denen sich blutiger Schrecken mit betäubender Eleganz paart, wo modernste computergesteuerte Filmtechnologie im Dienste einer Geisteshaltung steht, die sich aus Okkultem, Mystizismen und morbiden Visionen nährt.
Wenn David Cronenberg den kühlen Intellektuellen unter den Legenden des Horrors personifiziert und George Romero den Sozialkritiker, dann ist Argento der schwarze Romantiker – einer, der von der Idee der Einheit zwischen Kunstwerk und Künstler ungebrochen überzeugt ist, der wie sein Vorbild Edgar Allan Poe eine Besessenheit für das Makabre hegt.
Es passt zu diesem Bild, das der Regisseur höchstpersönlich in den schwarzen Lederhandschuhen steckt, wenn in seinen Filmen der unbekannte Mörder das Messer zückt. „Ich liebe meine Killer“, antwortet Argento auf seinen seltsamen Spleen angesprochen, „und ich bin wirklich gut bei der Darstellung solcher Szenen. Ich würde vermutlich auch einen guten Mörder abgeben.“
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Von Gelb zu Blutrot
Mit „L'uccello dalle piume di cristallo“ (Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe), seinem 1970 gedrehten Ausflug in die Psyche der schizophrenen Killer, etabliert Argento endgültig ein neues Schock-Subgenre – den Giallo Thriller. So wie sich der Terminus „Film noir“ von einer französischen Romanreihe, der „Serie Noir“ ableitet, so bezieht sich „Giallo“ (italienisch für Gelb) auf eine vergleichbare Reihe in Italien, die mit ihren gelben Coverumschlägen zum Synonym für mysteriöse Detektivgeschichten wurde.
Viele Regisseure aus Cinecittá begannen damals verworrene, an Edgar Wallace und Alfred Hitchcock angelehnte Thriller zu drehen, aber wenige erreichten die klaustrophobische Intensität eines echten Argento.
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In seinen Gialli wie „Profondo Rosso“ (Rosso – Farbe des Todes, 1975) oder „Tenebre“ (1982) fehlt die moralische Distanz anderer Psychothriller, die Mordsequenzen geraten zu einer pervers-stilvollen Einladung an den Zuseher, sich in den Blickwinkel des Killers hineinzudenken.
Argento will keine Geschichten erzählen, Botschaften vermitteln oder riesige Box Office-Triumphe feiern, ihm geht es darum, seine dunkelsten Seiten mit der Kamera als Waffe zu exorzieren.
Seine Werke scheinen moderne, filmische Nachfolger der amoralischen Literatur eines Huysmans, de Sade, Poe oder Baudelaire, gedreht von einem Philosophen des Todeskinos.
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Selbstzitate und Selbstpersiflagen
Dass sich Dario Argentos Schaffen aber bereits in den frühen Neunzigern grundlegend verändert hat, soll hier nicht verschwiegen werden. Während für Fans der klassischen Periode, zu denen wohl der Schreiber dieser Zeilen zählt, ein langsamer, aber unaufhaltsamer künstlerischer Abstieg beginnt, halten ihm andere die Treue.
Tatsächlich flackern im höchst unterschiedlichen Spätwerk des Meisters immer wieder grandiose Momente auf. Die weit aufgerissenen Blicke seiner hoch verehrten schauspielernden Tochter Asia Argento in „La sindrome di Stendhal“ (Das Stendhal Syndrom, 1996), die herrlichen Giallo-Selbstzitate in „Non ho sonno“ (Sleepless, 2001), die zutiefst verstörende TV-Episode „Jenifer“ im Rahmen der „Masters of Horror“ Serie 2005, zuletzt das schundige Exploitation-Mini-Juwel „La Terza Madre“ (The Mother of Tears, 2007).
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Gleichzeitig ist der römische Horrorpapst, getrieben von miserablen Produktionsbedingungen im Berlusconi-Italien, mit anderen Werken in künstlerische Bereiche abgesunken, die nur mehr traurig wirkten. Einen Tiefpunkt stellt sicher „Il fantasma dell'opera“ (Das Phantom der Oper, 1998) dar, ein Streifen, der sogar das gleichnamige Musical punkto Debilität in den Schatten stellt. Und dann ist da noch der unfassbare „Giallo“ (2009), den man gesehen haben muss, um ihn zu glauben. Was eine Schlüsselhommage an das von ihm mitkreierte Genre hätte werden können, geriet Dario Argento zur unfreiwilligen Persiflage seines gesamten Schaffens.
„Ich bin verliebt in die Farbe Rot. Ich träume in Rot. Meine Alpträume sind von Rot beherrscht. Rot ist die Farbe von Glück und Leidenschaft, die Farbe von den Reisen in unser Unterbewusstsein. Aber vor allem ist Rot die Farbe von Angst und Gewalt.“
(Dario Argento)
Aber Schluss mit den bösen Worten, manche Liebhaber wie meine Kritikerkollegen Sebastian Selig oder Markus Keuschnigg verbeugen sich auch vor dem very late Argento und können das mindestens so gut argumentieren. Der letztere FM4-Filmspezialist, der uns schon einige großartige Ausgaben des „Movie Dungeons“ im „House of Pain“ schenkte, wird am Mittwoch, zusammen mit Dr. Nachtstrom und meiner Wenigkeit, über den einzigartigen Regisseur referieren, anlässlich der Premiere von Argentos neuem Film „Dracula 3-D“ in Cannes. Viva Dario!
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