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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

7. 5. 2012 - 10:49

Artist Of The Week: Damon Albarn

Blur, Gorillaz, The Good The Bad & The Queen, chinesische und englische Opern, Mali Music, Africa Express, Rocket Juice & The Moon und was sonst noch alles. Damon Albarn gibt seit Jahrzehnten keine Ruhe. Eine kritische Anerkennung.

Blättern wir einmal im Terminkalender des Damon Albarn für dieses Jahr:

Erledigt wäre die Veröffentlichung des Session-Albums „Rocket Juice & The Moon“ zusammen mit Flea von den Red Hot Chili Peppers und dem nigerianischen Afrobeat-Drummer Tony Allen, mit dem Damon ja schon bei The Good, The Bad & The Queen zusammengearbeitet hatte.

Derzeit aktuell: Die Veröffentlichung der Studioversion von Damons letztes Jahr in Manchester uraufgeführtem, seitdem runderneuerten englischen historischen Singspiel „Dr Dee“, das heuer mit einem Gastspiel an der English National Opera dem Londoner Publikum vorgesetzt werden soll.

Dann wären da die aller Wahrscheinlichkeit nach letzten paar Gorillaz-Tracks für die Werbeaktion einer gewissen Turnschuhfirma.

Im Juni erscheint „The Bravest Man In The Universe“, das in Damons Studio gemeinsam mit Richard Russell von XL Records produzierte Comeback-Album der Soul-Legende Bobby Womack.

Alle FM4 Artists Of The Week auf einen Blick: fm4.orf.at/artistoftheweek

Nebenher noch die Blur-Aktivitäten: Der etwas rostige Live-Auftritt der Band neulich bei den Brit Awards. Das karriereumspannende Box-Set „21“, das am 30. Juli erscheinen soll, rechtzeitig für den Gig am Ende der olympischen Spiele im Londoner Hyde Park, den Albarn im Interview mit John Harris als möglichen Schlussstrich unter die Karriere der Band bezeichnet hat. Nebst der vermutlich letzten Blur-Single „Under The Westway“, die Damon im Februar begleitet von seinem alten Schulfreund Graham Coxon bei einer Benefiz-Show für die War Child Charity gesungen hat.

Und zwischendurch tut sich wieder was beim Africa Express, Damons losem Projekt spontaner musikalischer Zusammenkünfte von westlichen und afrikanischen MusikerInnen.

Damon Albarn im Studio

EMI

Im Bekanntenkreis meiner englischen Heimat stehe ich als Damon Albarns beharrlicher Apologet ziemlich alleine da.

Vermutlich hab ich noch einiges übersehen. Anzunehmen auch, dass während der Arbeitstage im Albarnschen Studio, wo regelmäßig von zehn Uhr morgens bis fünf Uhr abends Musik gemacht wird, einiges noch diskret Unerwähntes entsteht, von dem wir erst 2013 zu hören kriegen werden.
Rot markiert sind außerdem noch die Schulferien seiner Tochter Missy, die er sich – so gut es geht – frei zu halten pflegt.

Man kann kaum behaupten, dieser 44-jährige, der wohl kaum mehr zu arbeiten bräuchte, mache es sich leicht. Und trotzdem, ich sage es, wie es ist: Im Bekanntenkreis meiner englischen Heimat stehe ich als Damon Albarns beharrlicher Apologet ziemlich alleine da. Selbst die, die seine musikalischen Verdienste anerkennen, tun das nur unter Hinweis auf seine angeblich so unerträgliche Persönlichkeit.

Es hat wenig Belang, den Leuten zu erklären, wie sympathisch Damon unter vier Augen sein kann. Ich verstehe natürlich trotzdem, was sie meinen. Ich habe Damon Albarn gesehen, wenn er gerade Oberwasser hat und selbstzufrieden die Schultern wiegt, während er mit geziert schlampigem Schritt eine übergroße Festivalbühne vermisst. Wenn er seine Wasserflaschen über den ersten Reihen ausleert in einer Geste, die Wohltätigkeit (ich kühle euch Verschwitzte) symbolisch mit Herablassung eint (ich pisse euch auf den Kopf).

Ich habe seine Ansprachen erlebt, wann immer er wieder einmal einen Preis erhält, einmal narkoleptisch wortkarg, dann wieder triumphal wie zuletzt die lange, lange Dankesrede anlässlich des Lifetime Achievement-Awards für Blur bei den heurigen Brits, in der er sehr lobenswerterweise niemand auslassen wollte, der oder die der Band je geholfen hatte, gerade dadurch aber das Scheinwerferlicht weit über die ihm zugedachte Zeit hinaus beanspruchte.

Damon Albarn ist alles nur kein Depp und weiß natürlich selbst am allerbesten, dass ein großer Teil der Welt ihn für einen arroganten Gockel hält, ganz egal wie viele große Songs er aus dem Ärmel schüttelt, und wie lange er nun schon sein normalstmögliches Leben abseits des Celebrity-Zirkus führt. Und es nervt ihn enorm.

Kaum ein Interview in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren, in dem er nicht auf die freiwillige Hintanstellung seines angeblich so großen Egos hingewiesen hätte: Jetzt verstecke ich mich schon hinter Cartoon-Figuren, und sie behaupten immer noch, dass ich mich in den Vordergrund spiele (sinngemäß). Und natürlich gehen solche Beschwörungen schon wieder nach hinten los, beweisen scheinbar erst recht die Obsession seiner Selbstdarstellung.

Allerdings, Eifersucht spielt hier eine große Rolle. Und die traditionelle Dummheit der Pop-Rezeption, die Lennon viel glaubhafter als McCartney findet und Richards so viel cooler als Jagger.

Dass das britische Feuilleton ihn nun schon seit einiger Zeit zum definitiven Alleskönner-Genie seiner Musikergeneration hochstilisiert, nachdem er sich ins Feindesland der Opernhäuser begeben hat, dient auch nicht gerade der Beliebtheit unter seinen musizierenden ZeitgenossInnen, wann immer er bei einem seiner vielen Nebenprojekte wieder einmal ein paar Melodica-Töne einstreut, und die Kamera dabei so beharrlich lange an ihm allein hängen bleibt.

Allerdings, Eifersucht spielt hier eine große Rolle. Und die traditionelle Dummheit der Pop-Rezeption, die Lennon viel glaubhafter als McCartney findet und Richards so viel cooler als Jagger, ohne dabei mit einzurechnen, dass erstere sich auf Kosten zweiterer in ihrem Verweigerergestus sonnen durften, der niemand interessiert hätte, wenn zweitere sich nicht den Arsch dafür aufgerissen hätten, dass ihre jeweiligen gemeinsamen Bands überhaupt in das Blickfeld jener Mainstream-Öffentlichkeit kamen, die erstere dann mit stylischer Verachtung strafen konnten.

Dasselbe gilt für die Beziehung zwischen Graham Coxon alias „the cool one out of Blur“ und Damon Albarn, der lebenslang mit den hybristischen Exzessen des Britpop assoziiert bleibt. Tatsache ist, dass jede große Pop-Band einen Strategen braucht. Einen, der nicht nur riecht, was als nächstes kommt, sondern vor allem – großer Unterschied! – , was es als nächstes braucht. Und einen, der die Konsequenz, Unbeirrtheit und Energie aufbringt, diese Vision auch gegen den Widerstand eines Plattenlabels oder eines Produzenten zu verwirklichen.

Beim Herumgooglen ist mir vor ein paar Tagen, die Abschrift eines Artikels aus dem Record Collector Magazine in die Hände gefallen. Darin geht es um die Versteigerung einer Sammlung von Demos aus den späten Achtzigern, als ein junger Damon Albarn nach einem abgebrochen Schauspielkurs nach London kam und sein Glück mit der Musik versuchte.

Es spielt keine Rolle, wie viel jener Graeme Holdaway und jene Marijke Bergkamp, die das Studio namens The Beat Factory betrieben, in dem Damon als Assistent arbeiten sollte, tatsächlich zum Aufbau seines Talents beigetragen haben mögen, enorm interessant ist allerdings folgende Aussage Holdaways:

„Mein Ziel war, Damon dazu zu bringen, sich auf einen Stil einzupendeln, den wir mit einer Art von Kontinuität etablieren konnten. (…) Ich fand es etwas verstörend, dass er von einer Minute auf die andere wie Bowie, dann wieder wie Morrissey klingen, dann wieder eine gute Annäherung an einen Kurt-Weill-Song schreiben konnte. Während seiner Zeit mit uns war er ein musikalisches Chamäleon. (…) Seine Reichweite ging von Solo-Songs mit Klavier und Stimme über sehr synth- und sampleorientierte Songs bis zu ungebremsten zweiminütigen Punk-Prügeleien. (…) Er schrieb auch einen Song mit afrikanischer Percussion und World Music-Einflüssen namens 'Free The World'.“

Schon der Albarn der Britpop-Ära trug also bereits den Reichtum an Optionen in sich, die er jetzt so schamlos ausspielt.

Das Erstaunliche an dieser Beschreibung Albarns erster Gehversuche, die auch heute noch nach einer akkuraten Zusammenfassung seiner stilistischen Palette klingt, ist dass sie aus dem Jahre 1998 stammt – also zwei Jahre vor der Veröffentlichung der ersten EP der Gorillaz, nur ein Jahr nach Blurs titellosem gelbem Album, das Albarns erste Ausbrüche aus den Grenzen der britischen Gitarren-Pop-Tradition beinhaltete. Vier Jahre bevor er zum ersten Mal nach Afrika fuhr und sich zu „Mali Music“ inspirieren ließ.

Schon der Albarn der Britpop-Ära trug also bereits den Reichtum an Optionen in sich, die er jetzt so schamlos ausspielt, auch wenn er sich konzepttreu auf eine ästhetische Richtung beschränkte. Das bestätigt den Eindruck jener, die ihn damals für einen Faker hielten, aber es spricht in Wahrheit natürlich für sein Pop-Verständnis und seine Fähigkeit, die eigene Kreativität im gesellschaftlichen Zusammenhang zu begreifen.

Umgekehrt könnte man behaupten, seine derzeitige, enorm produktive Phase sei latent untereditiert. Damon Albarn hat sich eine Position erarbeitet, in der es niemand mehr gibt, der Nein zu ihm sagt.

Er ist nun wieder der 19-jährige Typ aus Colchester, der in der Beat Factory jede Idee ausprobierte, die ihm in den Kopf schoss. Immer fähig, zwischendurch eine herzzerschmetternde Ballade wie „Under the Westway“ oder „Turn the Applecart“ aus Dr Dee oder „Poison“ von Rocket Juice & the Moon locker hinzuscheißen.
Und dazu noch, wie Noel Gallagher, mit dem er sich jüngst ausgesöhnt hat, treffend formuliert: „mad as a box of frogs“.

Was gibt’s daran nicht zu mögen?