Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Free your mind! And the rest will follow."

Eva Deutsch

Elektro, Anziehzeug und anderer Seelenbalsamico. Aus dem Untergrund mit ganz viel Schwarz.

6. 5. 2012 - 02:29

Free your mind! And the rest will follow.

Donaufestival, Tag 6: Genesis Breyer P-Orridge, of Montreal, Hunx and His Punx, Hercules and Love Affair, Dolce After Ghana, Lesbians on Ecstasy.

Alle Geschichten aus Krems
fm4.orf.at/donaufestival2012

Donaufestival

Metall & Klang im Stadtpark

Neben dem Musik-Programm am Messegelände zeigt das Donaufestival auch Ausstellungen, Performances, Filme und Installationen. Im Stadtpark hat Tänzerin und Choreographin Saskia Hölbling von der Tanzkompanie DANS.KIAS mit Laurent Goldring eine neue Form der Kunstokkupation in durchorganisierten Ballungsräumen inszeniert - "body in a metal structure".

In der Kunsthalle in Krems stellt neben dem deutschen Aktionskünstler John Bock auch der rumänischen Künstler Dan Perjovschi aus. Perjovschi ist ein kritisch-ironischer Beobachter des aktuellen Zeitgeschehens. Seine Zeichnungen über Politik, Gesellschaft und Kultur malt er direkt auf die Wände der Kunsthalle. Die Ausstellung kann man noch bis März 2013 besuchen. Hingehen!

FM4

"No graffiti, just wine & souvenirs" - Perjovschi zeigt seine pointierte Abbildung der Gegenwart

Genesis Breyer P-Orridge

Ein seltenes Zusammentreffen hat sich in der Minoritenkirche zugetragen. Eigentlich wäre das Spezialkonzert des Gesamtkunstwerks, der Transgressions-Ikone Genesis Breyer P-Orridge (Throbbing Gristle, Psychic TV u.v.a.m.) anlässlich der letzten Viennale geplant gewesen. Das wurde damals aus Krankheitsgründen abgesagt. Als P-Orridge mit Tony Conrad (The Dream Syndicate) und Edward O‘Dowd auf die Bühne kommt, singt P-Orridge der 50-jähriegn Viennale ein Marilyn Monroe-eskes Geburtstagsständchen für die Viennale.

Florian Schulte

P-Orridge verzerrt seinen Sound auch mit einer iphone-App. Modisch!

Das ist leider die einzige stimmliche Einlage des gesamten Auftritts. Die drei hüllen in den nächsten 60 Minuten die Minoritenkirche in ein Improvisationsspiel aus düsterem Ambient-Avantgarde. Dass sich P-Orridge seit fünf Jahrzehnten mit Musik auseinandersetzt, merkt man natürlich. Dass das streckenweise langatmig werden kann, muss man als Zuhörer wohl hinnehmen. Trotzdem sind solche Konzerte eine Rarität, deren Qualität man sich bewusst sein muss.

Katharina Seidler übernimmt während dessen im Messegelände:

Of Montreal & Hunx and His Punx

"Größer hätte der Kontrast kaum sein können zwischen Kevin Barnes, dem Interview-Partner und Kevin Barnes, dem Performer. Ersterer ist schwarz angezogen, ganz schwarz, ist freundlich und höflich, aber bestimmt, ernst und besonnen, gibt präzise Antwort, erzählt von seiner Depression und den Selbstmord-Gedanken, die er zur Zeit der Aufnahme der letzten Platte seiner Band Of Montreal, es ist ihre elfte, gehabt hat. (Tatsächlich ist „Paralytic Stalks“ „das düstere“ Of Montreal-Album geworden.) Ob es ihm jetzt besser gehe? Ja schon, er fühle sich auf Tour lediglich „displaced“, aber das kann auch etwas Positives sein oder so.

Of Montreal

Florian Schulte

Kevin Barnes in Rot.

Wie groß ist da der Unterschied zum zweiten Kevin, der in rotem Rüschenhemd, roter Hose und roten Schuhen auf der Bühne umherwirbelt, in die Hände klatscht, das Publikum zum Mitschwanken animiert und uuhh-uuuuuhh singt. Seine Band besteht aus acht Leuten plus zwei Tänzern, die abwechselnd in weißen Ganzkörperanzügen, grünen Glitzer-Capes, mit riesigen Stoffbrüsten oder als lebende Leinwände für die psychedelischen Visualprojektionen zwischen den mehreren Gitarren, Bass, zwei Schlagzeugern und Keyboards herumtanzen. Auch Querflöte, Saxophon und Tambourin kommen ausgiebig zum Einsatz und verleihen dem neo-psychedelischen Indie-Hippie-Funk-Spektakel zusätzliche Lebensfreude. Das Publikum spielt, ziemlich motiviert, mit Luftballon-Molekülen herum und als während der Show, einem Querschnitt durch die letzten fünf Of Montreal-Alben, die Konfettikanonen angehen, scheint Kevins Welt in Ordnung zu sein.

Of Montreal

Florian Schulte

Of Montreal-Gitarrist
Of Montreal

Florian Schulte

Of Montreal

Florian Schulte

Die amerikanische Teenage-Rock´n´Roll-Band Hunx and his Punx hingegen scheint kein Wässerchen zu trüben, so unbeschwert und jugendlich-verträumt wirkt ihre Liveshow. Seth „Hunx“ Bogart strippt aus seinem roten Regenmäntelchen, räkelt sich in seinem Overall mit Kamm-Motiv und Echthaar-Verzierung, macht sexy Witzchen, promeniert die Bühne entlang. In sympathischer DIY-Bauweise spielen die Punx mit allerhand campy Bildern und Klischees und lassen dabei so manche Pop-Kaugummiblase platzen. The curse of being young? Hier ist er eher Segen."

Hunx & his Punx

Florian Schulte

"Gimme gimme gimme gimme your love": Hunx and His Punx

Eva Brunner übernimmt hier wieder:

Hercules and Love Affair

Andy Butler hat neue Love Affairs mit auf Tour - Gustav, Beth und Whitney. Die drei SängerInnen versuchen die große Halle in Schwung zu halten. Hercules and Love Affair liefern eine gewohnt exaltierte bombastische Disco-Show. Trotzdem fragt mich Butler nach dem Auftritt: "War das Konzert langweilig weil die Leute nicht so viel getanzt haben?" Keine Angst Andy, beim Donaufestival geht es nicht nur um Party machen, sondern auch ums Zuhören.

Florian Schulte

Whitney, Beth und Gustav - die "Neuen" im Team Hercules.

Butler bleibt Österreich übrigens auch bei seinem neuen Album treu. Nach Patrick Pulsinger als Produzent hat er sich das Wiener Techno-Duo Microthol an Bord geholt. Eine erste EP wird in Kürze veröffentlicht, verrät mir Philipp Haffner von Microthol. Es bleibt spannend rund um Hercules and Love Affair!

Irmi Wutscher hat sich folgendes angesehen:

Dolce After Ghana - "The tits are alright"

Nicht nur zusehen und abtanzen war am heutigen Abend gefragt: das Perfomance Kollektiv Dolce after Ghana hat eine Fight-Night angesetzt und unter dem Motto "The end of feminism (as we knew it)" feministische Ikonen in den Wrestling-Ring geschickt.

Dolce after Ghana

Florian Schulte/Donaufestival

Mitten in der Halle 2 zwischen Bühne und Zuschauertribüne ist ein Wrestling Ring aufgebaut. Darauf und rundherum an die vierzig Performerinnen, teilweise in Wrestling-Outfits, teilweise in Fantasie-Superheldinnen-Klamotte, ein paar Rollergirls auf Rollschuhen sind auch dabei.

Es beginnt mit dem so genannten Tittentsunami: einer Art Macarena-Choreografie: Hand auf linke Titte dann rechte Titte, dann Kopf und in einer halbkreisförmigen Bewegung in Richtung Unterleib einmal rumhüpfen und mit einem Uh-uh-uh-uh-uh das Becken bewegen. Dahinter steck die Idee der Chaostherorie, sagen Dolce after Ghana im Interview: Wie durch das Flügelschlagen eines Falters kann mit dem Bewegen der Brüste vielleicht irgendwo ein Tsunami ausgelöst werden.

Dolce after Ghana

Florian SChulte/Donaufestival

Danach löst sich das Setting auf und driftet in total mayhem ab: Im Ring verdreschen sich Wrestler_innen, Piñatas in Frauenform werden von der Decke gelassen und kaputt gehauen, Konfetti regnet auf das Publikum. Rollergirls skaten um den Ring, es wird eine Huldigung auf die Porno-goes-Politics-Vorkämpferin Cicciolina angestimmt, zwischendurch gibt es Musikeinlagen. Dolce After Ghana sagen im Interview, sie wollen sich mit dieser Performance vom klassischen Sprechtheater, vom Unterhalten und Vorspielen wegbewegen. Ein Kopfnicken gibt es hier in Richtung der großer 70er Jahre Performerin Marina Abramović: eine nackte Frau steht minutenlang still im Ring, präsentiert sich in ihrer Verletzlichkeit. Bis eine andere auf die Bühne springt und fragt: "Why is this funny?" und erstere sagt: "Das ist der Abramović-Moment, falls du es noch immer nicht kapiert hast."

Abgesehen von dieser gescripteten Intervention springt der Funke zum Publikum nicht über. Die meisten gehen nach spätestens 45 Minuten der eineinhalbstündigen Performance rauchen, reden, Getränke holen. Zurück bleibt das Gefühl von Beliebigkeit: Es werden popkulturelle Slogans auf lustige Tittenreime umgedeutet und Verdrehungen von Namen feministischer Ikonen in den Ring geschickt. Vom Anspruch, den Feminismus von der Theorie in die Praxis zu holen ist wenig zu bemerken. Vielleicht liegt es auch am Ton, denn viel, was gesagt wird, ist unglaublich schlecht zu verstehen, aber der Abgesang auf den theoretischen Feminismus hat in dieser Form nicht funktioniert.

Eva Brunner hat bis zum Ende durchgehalten:

Lesbians on Ecstasy

Die Kanadierinnen gibt es seit ein paar Jahren eigentlich gar nicht mehr. Nur mehr zu besonderen Anlässen gehen sie gemeinsam auf die Bühne. Schade, dabei fetzen sie ab der ersten Sekunde über eben diese und übernehmen den Wrestling-Ring gekonnt. Die vier Damen beweisen Queer-Power. Ein letzter erfrischender Energiekick vor dem Ende des heurigen Donaufestivals. We hope to see you next year again!

Florian Schulte