Erstellt am: 5. 5. 2012 - 15:28 Uhr
Was ist wesentlich?
Wenn sich achtzig Bands melden, die unbedingt spielen wollen, und vierhundert Menschen ein Anliegen und den Drang haben, etwas zu tun, ja dann behält kaum jemand den Überblick. Der Lendwirbel ist weit mehr als das soziokulturelle Straßen- und Stadtteilfest, das sich seit 2008 im Grazer Bezirk Lend manifestiert.
Zehn Tage hindurch macht der Lendwirbel deutlich, dass es vielen Menschen nicht egal ist, was sich vor ihrer Haustüre tut. Die Grazer Stadtpolitik beschränkt sich seit Jahren bevorzugt darauf, mit Reglementierungen, Verboten und grotesken Maßnahmen auf Realitäten zu reagieren statt zu zu agieren. Teilentmündigungen passieren den Stadtsenat.

Mathias Drago
Jüngster Beschluss ist die Ausweitung des Alkoholverbots im öffentlichen Raum in der Innenstadt. Schanigärten sind von dieser Regelung ausgenommen. Dass fast zeitgleich dem bar.projekt, einem von elf jungen Menschen betriebenen Lokal, ein behördlicher Bescheid ein Ende verordnete, verärgert. Zudem das bar.projekt in einer jener Straßen im Jakominiviertel liegt, das seitens der Stadt als neue Stätte für junge Kreative proklamiert wird. Mit dem bar.projekt und der CunTra - la Kunsthure hatte sich das "Jakominiviertel" tatsächlich bei den jüngeren und auch den nicht mehr ganz so jungen GrazerInnen beliebt gemacht. Nach über dreißig Jahren stellt sich nun heraus, dass die Bar einst ein Teppichladen war und konsenswidrig genützt wird.
Baba, barprojekt? Kommende Woche findet ein Gespräch mit der zuständigen Behörde statt.
Im Kontrast dazu entwickelt der Lendwirbel einen bürgerlichen Idealismus, sich zu beteiligen und zu genießen. Von einer Stelle der Stadt, vom Stadtmarketing, wird diese Tatsache anerkannt.
Aufbruch ins Wesentliche
Um das alles zu fassen bzw. auszulassen, was für einen nicht so relevant ist: Das Lendwirbel-Programm zeigt auf Klick "Tun Lassen" oder "Hören Tanzen".
Bis 13. Mai 2012 ist es nun an der Zeit, rauszugehen. Frühstück gibt es in acht Sprachen, reichst du mir mal die Butter auf Serbokroatisch, bitte. Ein Herrgottswinkel informiert über die Religionen im Lend. Zum Gstettnsitzen muss man sich schon ein kleines Stück stadtauswärts bewegen und "Human Knitting" klingt gruseliger als es ist. Eine eigene lokale Währung will eingeführt werden, und für achtzig Bands stellt sich die Frage: Wie präsentieren wir uns ohne Bühne?
Tatataa! Musik, Musik, Musik! Das Programm des Lendwirbels kündigt "Secret Shows" im ganzen Lend an. Ein Tipp für alle Neulinge gegen Frust: Erst gar nicht nach einem Timetable suchen am Samstag, den 12. Mai!

J.J.Kucek
Zur Stunde wird im Schlagergarten geschunkelt. Am Muttertag, dem 13. Mai, spielt erstmals ein klassisches Orchester am Lendwirbel.
Musikalische Programmpunkte, die zuvor nicht übersehen werden sollten und die Highlights werden könnten, sind die Disco Intim im Volksgarten und der Producing-Workshop mit DJane EOS. Für letzteren ist allerdings eine Anmeldung erbeten, eine kleine Ausnahme.
Was im Lend geht und was gar nicht, das erörtern alle, die es angehen wollen, beim "LendStorming". Das offene Diskussions- und Gesprächsformat am 9. Mai am Mariahilferplatz ist das zentrale Experiment. Das Motto des Lendwirbels 2012 lautet "Aufbruch ins Wesentliche!". Was kann die Intelligenz der Vielen konkret erreichen?
Hier steht alles zur Verhandlung, hier will ein temporärer Ort der gemeinsamen Auseinandersetzung geschaffen werden. Teppiche liegen für das "LendStorming" bereit, Sitzgelegenheiten bringt jede und jeder bitte möglichst selber mit. "2012 kann es nur darum gehen inhaltlich starke Perspektiven für die zukunftsfähige Entwicklung unserer Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft bis hin zu Spiritualität und unseres tagtäglichen Handelns in dieser Stadt zu kreieren."
Nach dem Manifest im Vorjahr wollen es die LendwirblerInnen also genau wissen.
Radio fm4 / Maria Motter
Wieviele Quadratmeter denn schon gentrifiziert seien, wären verlorene Meter. "Die schäbigste Wohnung im neuen In-Viertel von Graz", wie die Lendwirblerin Nana Pötsch treffend formuliert, findet sich in Immobilieninseraten. Sie selbst ist unlängst von Lend in einen anliegenden Bezirk gezogen, weil sich im Lend keine passende Wohnung finden ließ. Wesentlich sind Fragen wie: Was schafft real Offenheit? Wieviel an Konflikt und Scheitern in der Stadt ist auszuhalten?
Radio FM4 / Maria Motter
Keine Institutionalisierung
Kunst, Kultur und Musik erlebt derzeit auch Anger bei Weiz: Beim Festival KOMM.ST performen bis 19. Mai 2012 zehn internationale KünstlerInnen. Und die geschätzten FM4-Kollegen Roland Gratzer und Lukas Tagwerker haben das Theaterstück "ANGER 1934 - Ein Zeitreisen Referat" geschrieben, gemeinsam mit Sebastian Wilhelm. Premiere: 11. Mai.
"Der Lendwirbel ist ein Ausdruck und eine Form von Sprache, sich mit dem öffentlichen Raum zu beschäftigen. Idealerweise gehört er jeder und jedem", sagt Nana Pötsch, die als Teil des Kernteams des Lendwirbels das Grundgerüst für all die Aktivitäten schafft. Raum und Platz eignet sich dann jeder und jede selber an. Lendwirbeln, das heißt im Idealfall gestalten und nicht nur zu konsumieren. "Und weitaus mehr einzufordern", so Pötsch.
Da passt es gut, dass dieses Jahr erstmals Kritik am Lendwirbel laut wurde: Zu koordiniert, zu geplant und zu programmiert würde der Lendwirbel. Einer Institutionalisierung verweigert sich das Kernteam selbst. Und dass nicht etwa, weil sich die enorme ehrenamtliche Arbeit längst durch das ganze Jahr zieht. Der Lendwirbel war und ist ein autonomes Konstrukt. Wie Projekte initiiert und Behörden kommuniziert werden, erfahren alle, die es wissen wollen, bei den offenen Treffen im Vorfeld. Diese Erfahrungen sollen zu Creative Commons werden und zu einer Kultur, die jede und jeder sich aneignen kann.