Erstellt am: 8. 5. 2012 - 14:41 Uhr
„Ich habe YouTube erfunden“
Das ganze Interview mit Peter Weibel gab es auch im letzten Sumpf zu hören. Hier kannst du den Sumpf nachhören!
Außerdem gibt es am
9. Mai in FM4 Connected auch eine Listening Session der Platte zu hören!
Peter Weibel
Er mache Musik für Dreijährige, denn Dreijährige wüssten den Beat seiner Musik besonders zu schätzen. Und er hat YouTube erfunden. Außerdem ist Peter Weibel auch der Patron der US-Serie Sex and the City. Nur für den Fall, dass ihr das noch nicht gewusst habt. Peter Weibel ist zweifelsfrei der Daniel Düsentrieb unter den österreichischen KünstlerInnen. Künstler, Kurator, Schlitzohr. Aber nicht nur die Künste, auch die Musik hat es dem Herrn angetan, und so hat Peter Weibel mit seinem Hotel Morphila Orchester vor über 30 Jahren dem Österreichischen Postpunk Leben eingehaucht.
„Sex in der Stadt“, den Titel der 1982 auf Platte erschienen ist, hat man vielleicht schon das eine oder andere Mal gehört. Ein eingängiger Riff, ein Peter Weibel, der spontan tagesaktuelle Sexannouncen aus der Tageszeitung vorliest und das zum Liedtext macht. Damals konnte man eine Nummer wählen und sich das Lied über Telefonhörer vorab anhören. Eine für damalige Verhältnisse geniale Promoaktion, noch lange vor Facebook und YouTube.
Peter Weibel, der mittlerweile zwischen seinem Beruf als Professor an der Universität für angewandte Kunst in Wien und seiner Berufung als Leiter des ZKM in Karlsruhe hin und her pendelt, hat wieder Blut geleckt und vor kurzem sein Projekt wiederbelebt: 2011 ist eine neue CD mit dem Titel „Signature Songs“ auf Extraplatte erschienen, und außerdem ist das Hotel Morphila Orchester - gemeinsam mit den Chicks On Speed - wieder auf einer Bühne gestanden. Und nun, zum 30. Geburtstag, wird die legendäre Platte „Schwarze Energie“ über Cien Fuegos als Vinyl neu aufgelegt. Für ein Gespräch hatte der vielbeschäftigte Peter Weibel trotzdem Zeit.
Herr Weibel, was war denn der Auslöser dafür, dass sie damals vor über 30 Jahren dachten: So, jetzt schreib ich mal ein paar Lieder und mach eine Platte?
Also, ich hab' ja immer schon Soundart gemacht, mit Geräuschen und Klängen gearbeitet, mit Tonbändern und mit Pop Musik experimentiert. Und der Wunsch, eine eigene Band zu haben, war schon in den 1960ern bei mir da. Aber ich musste erst Loys Egg finden. Ebenfalls Künstler, der auch Gitarre spielen konnte.
Im Jahre 1979 wurde die Kunst der 1960er und 1970er Jahre, die Aktionskunst, die Medienkunst, plötzlich nicht mehr „gewollt“. Um 1979 herum begannen der „berühmte Hunger nach Bildern“ und die Rückkehr zur Malerei. Das war eine unglaubliche Akademisierung und Reduzierung der Errungenschaften der Kunst der 1960er und 1970er Jahre. Und da wollte ich mit dem damaligen Kunstbetrieb nichts mehr zu tun haben. Die einzige Freiheit lag damals in der Musik. Deshalb bin ich gewissermaßen „immigriert“ ins Exil der Musik.
Das war für sie damals also ein Ausbrechen aus den akademischen Strukturen?
Absolut! Ja ja. Die Rückkehr dieser Art von Malerei in einen normalen Galeriebetrieb, das war ja unerträglich! Im Art Rock und Punk lagen die Möglichkeiten des Schöpferischen und Chance die Kluft zwischen Avantgarde und Pop mit kritischem Inhalt zu füllen. Es war plötzlich möglich, zwischen dem Pop und der Avantgarde eine kritische Brücke zu schlagen.
Können sie sich noch an ihre ersten Auftritte erinnern? Was war das für eine Szene damals in Wien?
Wir hatten gleich Zuspruch von Leuten aus New York und Ex-Jugoslawien. Die hiesige Szene, das waren eher so ... wie hat das damals geheißen? Ach ja, Austropop! Und in diese Szene haben wir nicht gepasst. Aber die Studierenden an der Angewandten haben damals gegen mich protestiert. Die haben gesagt, sie möchten niemanden haben, der diese Art von Rockmusik macht. Später dann war es so, dass meine Schüler alle eigene Rockbands hatten. Und ein Professor oder Kunststudent, der keine Rockband hatte, war „out“!
Wenn wir in ein Lokal in Wien gekommen sind, dann haben die Leute gesagt: „Ah, sie kommen von der Angewandten! Dort möchte ich hin!“ Da hab ich gefragt: „Wieso wollen sie denn da hin?“ Und die Antwort war: „Weil man dort auch Rockmusik studieren kann!“
Mit anderen Künstlern wie Peter Gordon und sein Love of Life Orchestra, auch mit Minisex und dem „Falter“ haben wir versucht, das Avantgarde-Musikleben hier in Wien zu beleben. Und das ist uns auch gut gelungen! Zwischen 1979 und 1984 gab es in Wien eine lebendige Musikszene.
Schwarze Energie wird jetzt wieder veröffentlicht. Glauben sie, dass die Texte, die sie vor 30 Jahren geschrieben haben heute noch eine Relevanz haben für Jugend und für die Menschen, die sie vielleicht jetzt erst entdecken?
Ja. Neue, junge Gruppen wie die Chicks On Speed covern mittlerweile unsere Lieder. So wie unser berühmtestes Lied „Sex in der Stadt“. Da gibt’s ja mittlerweile eine ganze Fernsehserie drüber: „Sex and the City“! Und Lieder wie „Scheiß Polizei“ sind heute genauso wichtig wie damals.
Die Chicks on Speed haben ja auch eine interessante Cover-Version von „Sex in der Stadt“ gemacht, auf Englisch…
Ja, eine Coverversion, die mir sehr gut gefällt!
Es ist ja auch spannend, wenn man sein eigenes Lied dann neu interpretiert hört. Erstens von Frauen, dann in einer anderen Sprache und dann noch gespickt mit aktuellen Sex-Annoncen ...
… und im Rhythmus härter! Das Cover gefällt mir sogar besser als unser Original. Da war unseres gewissermaßen „lyrisch“ dagegen.
Auch sprachlich ist das Cover interessant, da kommen ja ganz plötzlich ganz neue Begriffe vor. „Gay Sex“, „Tomboy“, …
Und „queer“, genau genau!
Sie haben auch damals eine sehr witzige Aktion gemacht, um diese Single zu vertreiben: Sie haben eine Telefonnummer installiert bei der man rund um die Uhr anrufen und sich die Single „Sex in der Stadt“ anhören konnte ...
Und ich habe damals bei Live-Aufführungen im In- und Ausland auch Sexhotlines angerufen. Mit den Damen habe ich dann während dem Konzert auf der Bühne telefoniert und mir ihre „Kompetenzen“ und „Fähigkeiten“ erklären lassen. Das war dann auch Teil des Liedes. Die wussten nicht, dass das mit Lautsprechern an 2000 Leute übertragen wird.
Musiker stellen ihre Lieder ins Internet, zum Beispiel auf YouTube. Die brauchen kein großes Label mehr. Glauben Sie, dass so eine Aktion wie mit dem Telefon heutzutage noch funktionieren würde?
Wir waren gewissermaßen die Pioniere von YouTube! Heutzutage ist ja jeder Sender und Empfänger gleichzeitig, so eine Aktion braucht man nicht mehr. Man braucht nicht einmal mehr das Radio. Jeder sendet Botschaften, jeder empfängt Botschaften.
Reden wir doch noch ein wenig über die Platte „Schwarze Energie“. Mir ist am Plattencover etwas aufgefallen: Darauf sieht man das Bild einer gut sortierte Plattensammlung mit vielen schönen Platten drinnen. David Bowie, Lou Reed und The Clash zum Beispiel. Und mittendrin steht „Peter Weibels Greatest Hits Collection“. War das Zufall oder ein absichtliches Arrangement?
Peter Weibel
Das war Absicht. Diese Plattensammlung ist ja eine Art „Kanon“. Man sieht die Platten, die damals mir, aber auch jedem anderen intelligenten Musiker, gefallen haben. Mir gefällt dieses Plattencover auch als virtuelle Skulptur sehr gut. Außerdem haben wir einen Finger genommen, der zeigt auf eine bestimmte Platte.
…nämlich auf ihre!
Genau, auf meine (lacht)! Und dieser Finger hat sich an der Platte verletzt. Der Finger hat eine kleine Wunde, einen Schnitt. Da sieht man einen kleinen Blutstropfen. Weil unsere Platte ist so scharf, dass man sich beim bloßen hingreifen schneidet!
Ist die Musik von Peter Weibel gefährlich?
Sie war damals gefährlich. Ja, ja. Und ihre Konsumation war auch gefährlich. Unsere Musik hatte schon Ansätze von „Bewusstseinserweiterung“. Jede gute Musik sollte auch ein Beitrag zur geistigen Entwicklung sein. Musik muss sich an das Gehirn adressieren, auch wenn sie rhythmisch ist.
Ich habe gesehen, unseren größten Erfolg hatten wir bedauerlicherweise bei Dreijährigen. Die haben zu unserer Musik wie Roboter gestampft und konnten gar nicht genug davon bekommen. Nur waren sie noch nicht gescheit genug zu sagen: „Mama, kauf Schwarze Energie!“ Aber sie haben nur danach gelechzt (lacht) und danach gestöhnt! Wenn Dreijährige ein Taschengeld hätten, dann wären wir heute Millionäre!
Und jetzt haben Sie die Platte wieder veröffentlicht, damit die damals Dreijährigen sich heute die Platte kaufen, richtig?
So ist es. Das ist in deren Gehirn eingesickert. Und wenn sie die Platte jetzt hören werden sie sagen „Das ist die Musik nach der ich mich immer gesehnt habe. Die kenn ich seit meiner Kindheit!“
Gleich nebenan, neben ihrer Platte, die im Plattenregal auf dem Cover von „Schwarze Energie“ zu sehen ist steht eine Platte von Captain Beefheart. Haben sie ein besonderes Naheverhältnis zu Captain Beefheart?
Ja, weil Captain Beefheart ja auch Maler war. Und er war auch ein ungewöhnlicher Außenseiter. Er war mein Liebling. Es gibt einige Lieblinge von mir, die uns auch beeinflusst haben. Klarerweise auch der verschleppte Gesang des Musikers der die Noten nicht trifft: Bob Dylan. Aber Bob Dylan ist ja der Godfather von jedem der nicht singen kann (lacht)!
Aber Captain Beefheart, der war ein unglaublicher Sklaventreiber! Der hat seine Bandmitglieder in die Wüste geschleppt, ihnen nur Bohnen und Brot zu Essen gegeben, und sie mussten für ihn 18 Stunden lang am Tag proben.
Na Wahnsinn, das wusste ich nicht.
Waren sie auch so ein Sklaventreiber?
Na, ich hatte eine andere sehr unangenehme Eigenschaft: Ich habe die Probetermine immer vergessen. Entweder bin ich gar nicht gekommen, oder ich bin zu spät gekommen und zu früh gegangen. Oder ich habe, wenn wir außerhalb von Wien gespielt haben, den Zug verpasst. Dann musste ich mit dem Auto durch ganz Österreich hechten, damit ich noch rechtzeitig zum Konzert komme. Die anderen Musiker waren dann so entsetzt von mir, dass ich ohne Probe und nur eine Minute vor Konzertbeginn plötzlich vor ihnen stehe, dass sie sich geweigert haben, mich wieder mit nach Hause zu nehmen.
Und ich konnte mir meine eigenen Texte nicht merken. Also musste ich sie live neu „erfinden“. Und ich hatte auch Probleme mit den Einsätzen, die ich oft geschmissen habe. Aber gerade das nicht Geprobte war auch Teil der Idee.
Wie war das eigentlich für Sie wieder auf der Bühne zu stehen? Sie haben mit den Chicks On Speed in Straßburg im letzten Jahr ein Konzert gespielt.
Das war wahnsinnig verlockend! Und zwar so sehr, dass ich mit dem Gedanken spiele, dass wir mit neuem Material wieder auftreten werden. Ich habe mir auch eine eigene Gitarre gebaut, mit der ich wahnsinnig gut spielen kann. Weil sie in Wirklichkeit computergesteuert ist und der Computer macht bekanntlich keinen Fehler. Und die Chicks On Speed haben gesagt, sie würden jederzeit wieder bei uns auftreten.
Und schreiben sie auch schon wieder neue Lieder?
Wir haben ein neues Lied, das ist eigentlich schon drei Jahre alt. Das heißt „Über die Datenwelt“. Wir sind alle Datenjäger und Datenträger. Es gibt ganze „Daten-Parteien“, die Piratenparteien. Die Datenwelt ist alles, was die heutige Welt zusammenhält.
Über dieses Thema haben aber schon Abwärts vor 30 Jahren ein Lied geschrieben: „Wir leben im Computerstaat".
Ja genau, aber das Wort „Daten“ kommt darin noch nicht vor. Und mein Wunsch wäre, dass die Kinder, die Sechsjährigen bei den Cornflakes in der Früh singen [singt]: "Wir sind Daten, Daten, Daten! Wir sind Daten, Daten, Daten!“ Ich habe jetzt mein Zielpublikum von Dreijährige auf Sechsjährige erhöht (lacht)!
Wie sehen sie denn die zeitgenössische, musikalische Avantgarde? Was gibt es, was fasziniert sie? Gibt es denn überhaupt noch „das Rohe“, wie es Ende der 1970er, Anfang der 1980er und vielleicht auch noch in den 1990ern gegeben hat?
Also solche Arbeiten wie „Raw Power“ von Iggy and The Stooges, so etwas gibt es nicht mehr. Die ganze Kraft des metallischen Klanges bis hin zu Industrial und Noise: Das gibt es heute nicht mehr. Die Musikindustrie ist heute Teil einer großen Unterhaltungsindustrie. Und diese Musikindustrie stagniert. Ich sehe im Augenblick wenig Gegenbewegung.
Was glauben Sie, woran liegt das, dass sich keiner mehr in der Musik so offensichtlich wehrt?
Das liegt daran – und das ist nur meine Theorie und die ist vielleicht nicht sehr beliebt – dass das, was damals aufgebaut wurde an „schwarzer, negativer Energie", an Kriminalität, der Mythos des Verbrechens, das Außenseitertum, dass das heute alles Teil der Musikindustrie geworden ist. Die Musikindustrie hat erkannt, dass es gut fürs Geschäft ist, wenn jemand wild herumballert. Früher gab es den braven Peter Alexander und die „Bösewichte“, die Rolling Stones. Heute sind die Bösewichte beliebter. Es gehört zum Nimbus eines guten Unterhalters, dass er ein leichter Verbrecher ist.
Eine Frage zum Abschluss: Wem soll man denn eigentlich die Platte „Schwarze Energie“ schenken?
Da bin ich Romantiker. Demjenigen den man wirklich liebt!