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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

4. 5. 2012 - 02:35

Beat Dis

Donaufestival, Tag 4: Seefeel, The Field, Emika, Squarepusher und mehr.

Der vierte Tag des Donaufestivals ist - ähnlich wie vielleicht der Sonntag der vergangenen Woche, bloß mit anderer Ausrichtung - in musikalischer Hinsicht sehr dicht und von der Idee her großartig zusammenpassend gebucht. Es geht um im weitesten Sinne Elektronik und deren Ausfransungen und Wechselwirkungen mit Rockmusik und Pop - mit Ausnahme des Eröffnungskonzerts des Abends in der Minoritenkirche vielleicht: Da versieht nämlich das wunderbare Ensemble Bohren & Der Club Of Gore wieder einmal die Zeitlupe mit der passenden nachtschwarzen Tonspur, samt großzügigem Saxofon-Einsatz und dem gängigen Image der Band als freudlosen Totengräbern angenehm entgegenwirkenden launigen Zwischenansagen.

bohren & the club of gore

Florian Schulte

Bohren & Der Club of Gore
bohren und der club of gore

Florian Schulte

Natürlich aber gibt es mehr als nur Musik beim Donaufestival: "Seaplane Mothership" von Hotel Modern und die Video-Performance von Sabine Marte hat die hochgeschätze Kollegin Irmi Wutscher gesehen:

Performance, Performance, Performance

„Seaplane Mothership“ von Hotel Modern ist noch am Freitag, 4.5., um 19 Uhr im Stadtsaal zu sehen, „Hotel Totale“ von Sabine Marte um 20 Uhr in der Halle 2

"Das Konzept von Hotel Modern ist es, liebevoll gebastelte Miniaturwelten zu erschaffen, die mit der Handkamera aufgenommen auf der Leinwand in Kinogröße aufgeblasen werden. Im Raumschiff sind es alte Handys und Taschenrechner, die zu Monitoren auf der Kommandobrücke werden, Geschirr-Abtropfgitter ergeben herrlichste Stahlkonstruktionen und gläserne Kaffeefilter eine Retro-Sixties-Decke im Speisesaal. Waren es letzte Woche noch die Alltagswelten der Shrimps, so geht es diesmal um ein Raumschiff, das 500 Jahre nach Untergang der Erde auf seinen eigenen Untergang zusteuert. Dem Logbuch des Captains entnehmen wir, dass alle möglichen toten Superstars an Bord sind: Kurt Cobain und Whitney Houston mixen Margaritas; Schopenhauer wird zum Nieten geschickt, nicht Nietzsche, denn der ist ein Denker und kein Macher; und Kaiserin Sisi ist zwar überzeugt, dass die Crew noch am Leben ist, sie zweifelt jedoch an dessen Sinn. Daneben treten noch ein Gartenzwerg und ein Hausarzt mit Hobby-Keramik auf, in Videoinstallationen wird von Zwergen eine Bibliothek angezündet und tote Körper schwimmen zu klassischer Musik im Wasser.

sabine marte

Florian Schulte

Sabine Marte

Weniger menschelnd geht es in Hotel Totale von Sabine Marte zu: der Performance zugrunde liegt ein mathematisches Zahlenspiel von David Hilbert, von einem Hotel mit unendlich vielen Gästen in unendlich vielen Zimmern. In der Performance wird daraus ein Horrorszenario in Endlosschleife: In einer Art Matrix gefangen, taumeln zwei Frauenfiguren durch immer gleiche gesichtslose Hotelzimmer und Gänge, geloopt auf der Videowand, und werfen einander hohle Phrasen an den Kopf. Auf der Leinwand taucht in Überlebensgröße auch immer wieder die Hotelmanagerin auf, eine Art Überfrau, die corporate slogans der absoluten Verfügbarkeit drischt. Sie wird schlussendlich irgendwann erschossen und die Performerinnen selbst übernehmen das totale Hotel. In glitzernden Superheldinnenkostümen rezitieren sie auf elektronsichen Beats das Hilbertsche Mantra: „Der Gast von Nummer zwei kommt ins Zimmer Nummer vier, Nummer vier auf Nummer acht, Nummer acht auf Nummer sechzehn, auf Nummer zweiunddreißig undsoweiter undsoweiter.“

Während Hotel Modern eine monty-python-hafte Revue bietet, bei der Sentimentalität auf Abgründiges trifft, ist es bei Sabine Martes „Hotel Totale“ vor allem eine technoide Aalglätte, die´das Publikum in den Sog des Horrorhotels zieht."

Seefeel

seefeel

Florian Schulte

Seefeel
seefeel

Florian Schulte

Das Programm in der großen Halle wird von einer Band aus der Abteilung "Quasi-Legenden, die kaum irgendwer kennt, leider" eröffnet. Die englische Gruppe Seefeel hat vor auch schon wieder fast zwanzig Jahren auf so guten Labels wie Too Pure oder Rephlex eine wundersame Musik veröffentlicht, für die sich dann irgendwann einmal jemand den Begriff "Postrock" ausgedacht haben muss.

Da treffen Ambient und sporadisch aufknacksende Elektronik auf mit derb Hall beladene Gitarren und ein Faible für gut hinter den Soundnebel gemixte esoterisch-sphärische Gesänge. Irgendwann war das einmal neu, frisch und auch wirklich merkwürdig. Weil das aber abgesehen von Top-Kennern und Kritik in den 90ern nicht brennend viele Menschen interessiert hat, haben sich Seefeel aufgelöst und sind im eigenen Dampf verschwunden. Seit ein paar Jahren ist die Band wieder da, neben zwei Original-Mitgliedern mit dem japanischen, formidabel in so gut wie allen Gewässern fischenden DJ Scotch Egg am Bass und einem ehemaligen Drummer der nie zu unterschätzenden weirden Allesmacher von den Boredoms als Neulinge in der Bandkonstellation. Eine EP und ein sehr gutes Album haben Seefeel da, wo so eine Musik auch hingehört, nämlich bei der verlässlichen Instanz von Warp Records, in den letzten zwei Jahren veröffentlicht, und dieses Material gibt’s beim Donaufestival auch vornehmlich zu hören. Das ist interessant und Seefeel auf dem Papier auch eine sehr gute Band, dennoch hört man sich derlei Musik, wenngleich an diesem Abend drum-heavy und an Live-Dynamik interessiert, bisweilen gar noise-rockig dargebracht, vielleicht lieber zuhause im Mahagoni-Salon an.

Katharina Seidler:

The Field

Axel Willner

Florian Schulte

"Konzerte von The Field muss man anders angehen als andere Liveacts. Man darf sich keine Knalleffekte erwarten, Stilbrüche, Rhythmus- oder Harmonieeskapaden oder effekthascherische Breaks, denn Axel Willner, der Hauptdenker hinter The Field, zieht seine Magie aus Repetition: Thema und Variationen. Dass er ein Meister der ambientösen Techno-Scapes, Minimal-Pop, Post- und Krautrock und von allem zusammen ist, weiß er genau, die Musikwelt weiß es auch und liebt ihn dafür, und genau das gibt ihm die Sicherheit und Größe, sich diesen einen Luxus zu nehmen: Zeit. Ähnlich wie zahlreiche andere Acts der Kölner Labelhitschmiede Kompakt (willkürlich, subjetiv gewähltes Beispiel: Labelchef Michael Mayer als Urvater des langen Warm-Ups bei DJ-Sets) kann sich Willner mit seiner Live-Band, aktuell bestehend aus Dan Enqvist am Bass und Philip Janzen am Schlagzeug, die ihn in wechselnder Besetzung seit mehreren Jahren sowohl auf der Bühne als auch im Studio begleitet, langsam aufwärmen und den Sog langsam kommen lassen, denn irgendwann kriegt er sie ja doch.

The Field Drummer

Florian Schulte

Auch heute kriegt er uns alle, nach anfänglichem Herumstehen, Rauchen-Gehen, Passiv-Schauen, und er kann sich eine halbe Stunde dafür Zeit lassen oder länger, denn früher oder später geht der Funke, den er einem zu Beginn unbewusst in den Körper pflanzt, in Flammen auf und jeder fragt sich, wie er das auf einmal gemacht hat. Dann kommt "Over The Ice", im Original sieben Minuten lang, und wird auf fünfzehn bis zwanzig aufgeblasen, allein das Break - das Break! - dehnt sich endlos und unendlich und kann doch nicht lang genug dauern. Zusätzliche Props seien an Herrn Janzen von der Band Von Spar verliehen, der noch nicht einmal lang mit dabei ist und der Show am Schlagzeug punktgenau zusätzlichen Biss, Herz, Seele und, äh, Funk verleiht. Großes Kino.

Florian Schulte

In-Sich-Versunken-Sein ist das neue Aus-Sich-Herausgehen: The Field.

Emika

Emika

Florian Schulte

Da steht sie mit ihren roten Lippen, dem heißen Kleid und den sagenhaft hohen Schuhen und schüttet uns ihr Herz aus, und dazu rollt auch noch ein Bass durch den Saal, der alle umblasen muss. Ema Jolly ist allein auf der Bühne und wirkt fast schüchtern vor der schwarzen LED-Wand, die Squarepusher später entzünden wird, dreht Knöpfe an zwei Maschinen, wird von hinten von Scheinwerferstrahlen gestreift. Die meisten Songs auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum, das sich die Londoner Beat-Pioniere Coldcut für ihr Label Ninja Tune gesichert haben, haben nicht nur das Zeug, sondern sind zumeist schon kleine Hits, wiedererkannt werden sie auch. Warum sie vielen Menschen im Saal nicht gleich in die Beine fahren, ist unsicher, im Gespräch mit Kollegen tippen wir auf Emikas Mut zur Pause und ihr dezidiertes Sitzen zwischen den Genre-Stühlen Techno, Pop und Dubstep. Eventuell und unter Umständen hätte es auch ein bisschen lauter im Saal sein können, aber wer kann die Dynamiken einer Party schon so genau zerpflücken. Deep, melodisch, mutig, erfrischend und vor allem fantastisch ist Emikas Live-Set in jedem Moment und wer ihr jetzt eine große Zukunft als Produzentin, Songwriterin und Performerin prophezeit, ist sowieso schon spät dran."

Emika

Florian Schulte

Squarepusher

Squarepusher

Florian Schulte

Der Headliner des Abends ist Squarepusher. Der englische Produzent Tom Jenkinson ist wohl vor gut fünfzehn Jahren mit seinem Projekt gemeinsam mit Acts wie Autechre, Boards of Canada, dem Aphex Twin und ein paar anderen Menschen um die fast-erste Warp-Schule mit vertrackter Computerbastelarbeit für die wie halt immer von Journalistenhand lancierte Konstruktion des Wortes IDM - Intelligent Dance Music - unfreiwillig zwar, aber genügend fantastischen musikalischen Nährstoff bietend - mitverantwortlich gewesen. Drum’n’Bass, Jungle, vom Regal purzelnde Elektronika und von Hand an echt angreifbaren Instrumenten eingespielte „Band“-Musik - bei Squarepusher passt so einiges ins geile Repertoire. Nach ein paar Jahren, die eher gen Jazz und Live-Bass geneigt waren, ist das neue Squarepusher-Album „Ufabulum“ eine Rückkehr zu harscher, fast schon ist man geneigt zu meinen: purer Elektronik. Es sei ihm ein Anliegen gewesen, sagt Jenkinson selbst.

Diese neue Platte präsentiert Squarepusher beim Donaufestival – und nicht nur dort, sondern auf der gesamten mit dem Album-Release einhergehenden Tour - mit einem quasi mit der Musik fast gleichbedeutenden, von ihm selbst konzipierten und dirigierten Visuals-Konzept. Squarepusher steuert nicht nur die musikalische Elektronik von „Ufabulum“, sondern auch die in Schwarz und Weiß über eine Wand im Bühnenhintergrund springenden und sich windenen Pixel. Er trägt dazu einen Daft-Punk-haften Helm, dessen Visier (in diesem Falle wohl nicht im Wortsinne) ebenfalls mit Visuals bespielt wird. Die Musik fußt im Drum’n’Bass, hat Null mit Post-Step zu tun und klingt – im besten Sinne – wie scharfkantiges Beatgewitter mit Vorliebe für Melodie und Arpeggios aus dem Jahre 1993. Es ist eine Musik, die klingt wie kaum etwas anderes heutzutage - man kann die Retro-Diskussion dazu dann morgen führen. Es blinkt, schrillt, ist hart und hell. Eine Blendung.

Squarepusher

Florian Schulte